Wie steht es derzeit eigentlich um die Landwirtschaft? Die Bauern wissen das aus erster Hand, doch das widerspricht häufig dem, wie die Verbraucher auf die Landwirte blicken. Ein unlösbarer Konflikt? Das fragt sich auf Professor Andreas Hensel. Er ist der Leiter des Bundesinstituts für Risikobewertung und beschäftigt sich bei seinem Vortrag mit der modernen Landwirtschaft zwischen Wahrnehmung, Wissenschaft und Ökonomie.
Herr Hensel, wenn man sich die billigen Lebensmittelpreise anschaut, kann man sich stellenweise nicht vorstellen, dass unsere Nahrung tatsächlich noch qualitativ hochwertig ist. Dazu kommen gelegentliche Lebensmittel-Skandale. Wie gefährlich ist das Essen heutzutage?
Es gibt einen Unterschied zwischen Gefahren und Risiken: Gefahr bedeutet ja, dass irgendetwas im Essen drin ist, das krank machen könnte. Aber die Frage ist, ob da etwas drin ist, das auch krank macht. Ob ein Stoff - in welcher Konzentration auch immer - im Lebensmittel ist, ist nicht so interessant wie die Frage, ob diese Konzentration die Gesundheit schädigen kann - das ist ein Riesenunterschied. Unter den Bedingungen der heutigen Analytik, wo wir praktisch schon Moleküle nachweisen können, muss die Antwort darauf, ob etwas potenziell Krankmachendes im Essen ist, mit Ja beantwortet werden. Es gibt letztlich kein Lebensmittel, in dem man nicht - wenn auch in einer sehr niedrigen Verdünnung - Stoffe findet, die in höheren Konzentrationen nachteilige Effekte auf die Gesundheit haben.
Sind diese Stoffe nicht vermeidbar?Wie gesagt: Dass irgendetwas Schädliches im Essen drin ist, ist häufig nicht vermeidbar. Entscheidend ist aber immer die Dosis, denn sie macht das Gift. Unerwünschte Stoffe können im Übrigen auch natürlicherweise in Lebensmittel gelangen. So sind Schwermetalle Bestandteile der Erdkruste. Sie können sich von dort zum Beispiel über die angebauten Pflanzen in Lebensmitteln anreichern, wie Blei oder Kadmium. Dioxine entstehen hauptsächlich durch Verbrennungsvorgänge, gelangen so in die Umwelt und von dort in Lebensmittel. Die Frage ist: Wie kann man sichere Lebensmittel in einer industrialisierten Welt produzieren und dabei gleichzeitig dem Umweltschutz Rechnung tragen? Industrialisierungsprozesse gibt es ja schon seit Jahrhunderten, sodass wir es heute mit potenziell gesundheitsschädlichen Stoffen zu tun haben, deren Anwesenheit in der Umwelt wir nur wenig beeinflussen können. Man kann diese zwar regulieren, aber nicht aus Lebensmitteln „rausverbieten", da sie unvermeidbar sind. Für diese Fälle gibt es gesetzliche Höchstgehalte, an denen wir uns bei der Festsetzung orientieren, ob ein Lebensmittel noch handelbar und zugleich sicher ist.
Ist eine chemiefreie Landwirtschaft in einer industrialisierten Gesellschaft wie die unsere möglich?Schon den Begriff „chemiefrei" halte ich für falsch. Was heißt das denn? Es gibt keine Welt ohne Chemie, alles ist stofflich, wir bestehen alle zu 100 Prozent aus Chemie. Analysiert man die Situation im Pflanzenschutz, sehen wir, dass sowohl der Bio-Bauer als auch der konventionell arbeitende Landwirt verschiedene chemische Substanzen gegen Schaderreger einsetzt. Man will eben etwas ernten und nicht zusehen, wie es von Schädlingen aufgefressen wird oder vergammelt. Es ist zivilisatorisch gesehen ein Riesenfortschritt, dass wir Pflanzengesundheit heute selbst beeinflussen können.
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