Jan Dietrich* erinnert sich gut. 2007 besuchte er das Kröller-Müller-Museum in den Niederlanden. Drinnen hängen Gemälde von Van Gogh, draußen fielen Schüsse. Sie kamen von einem Truppenübungsplatz in der Nähe. Dietrich aber katapultierten sie ins Jahr 1994 zurück. Herzrasen, kalter Schweiß, Panik: "Mein Fluchtreflex hat eingesetzt", erinnert sich Dietrich. "Ich dachte: Bring dich sofort in Sicherheit."
Dietrich war im kongolesischen Goma im Funk- und Fernmeldewesen der Bundeswehr stationiert gewesen. Schießereien, verletzte Kinder und andauernde Angst: Bis heute leidet der 60-Jährige an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Die Schüsse, die er vor dem Museum hörte, waren der Trigger (siehe Infobox), der quälende Erinnerungen an sein emporspülte.
Hätte er vor diesem Trigger gewarnt werden können? Hätte das Museum etwa ein Warnschild aufstellen sollen?
Nicht erst seit dem Ukrainekrieg diskutiert die Gesellschaft über Triggerwarnungen. Die kommen typischerweise nicht als Schild vor dem Museum daher, sondern als Einblendungen vor Posts in den sozialen Medien, vor Videos, Theateraufführungen oder Vorträgen an Universitäten. "Triggerwarnung: Blut" steht etwa über einem auf Twitter geteilten Foto, das einen verletzten Arm zeigt. "Triggerwarnung: Gewalt" über einem geteilten Artikel mit Video, in dem ein Mann seine Frau schlägt. Für Menschen mit PTBS sollen solche Warnungen eine Hilfe sein, denn sie sollen Flashbacks verhindern, also jene blitzartigen Rückblenden, die Betroffene ein Trauma erneut durchleben lassen.
Aber auch Menschen, die nicht traumatisiert sind, soll so Unbehagen erspart werden. Wer eine Triggerwarnung liest, hat die Wahl: Er oder sie kann entscheiden, sich den Bildern oder Geräuschen auszusetzen oder sich ihnen zu entziehen. Triggerwarnungen, das klingt logisch, ermächtigen nicht nur Fernsehzuschauer, Studierende oder Social-Media-Scroller. Sie helfen auch Leid zu ersparen.
Traumatisierung
Dass Menschen nach einem traumatischen Erlebnis schwer erschüttert sind und es ihnen eine Zeit lang schlecht geht, ist grundsätzlich eine normale Reaktion. Viele erholen sich nach einer Weile. In manchen Fällen entwickeln Betroffene aber eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Sie kann zum Beispiel auftreten, wenn Menschen Opfer von Gewalt, vor allem sexueller Gewalt wurden, wenn sie Naturkatastrophen, Gefangenschaft, Kriege oder schwere Unfälle überlebt haben und/oder nahe Angehörige verloren haben.
Wer bereits in der Kindheit traumatische Erfahrungen machen musste, hat im Erwachsenenalter ein höheres Risiko, nach einem erneuten Trauma eine PTBS zu bekommen.
Menschen mit PTBS werden von häufig wiederkehrenden Erinnerungen (sogenannten Intrusionen und/oder Flashbacks) gequält. Die schrecklichen Bilder, Emotionen oder Gedanken im Kontext des Geschehenen kehren unkontrollierbar zurück und drängen sich auf, sodass Betroffene den traumatischen Stress oder das Trauma selbst erneut durchleben.
Hinzu kommen Angstzustände, Albträume und Schlafstörungen, die Betroffenen sind schreckhaft und kaum in der Lage zu entspannen. Auch Konzentrations- und Gedächtnisstörungen können auftreten.
Eine posttraumatische Belastungsstörung kann mit traumaspezifischen Therapien behandelt werden. Mehr Informationen bietet die fachliche Leitlinie zur PTBS.
Die PTBS ist nicht die einzige psychische Erkrankung, die nach einem Trauma auftreten kann. Auch schwere Depression, Angststörungen und Suchterkrankungen zählen zu den möglichen Folgen. Über die psychischen Leiden hinaus werden traumatisierte Menschen auch häufiger körperlich krank - was weitere seelische Erkrankungen nach sich ziehen kann.
Doch tun sie das wirklich? Wie gut wirken sie überhaupt?
Um das Konzept des Triggers zu verstehen, muss man zunächst verstehen, was bei einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) geschieht. "Ein traumatisches Ereignis kann uns alle treffen. Aber nicht jeder entwickelt danach eine Traumafolgestörung", sagt Ulrike Schmidt, stellvertretende Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik Bonn. Zwei Personen, die das gleiche Ereignis erlebt haben, können sehr unterschiedlich darauf reagieren. "Wir alle können eine gewisse Menge an Stress und Trauma aushalten, bis wir psychisch erkranken. Wie groß diese Menge ist, ist individuell verschieden", sagt Schmidt. Das hänge zum einen von biologischen Faktoren ab und zum anderen von Umweltfaktoren, vor allem davon, wie viel traumatischen und chronischen Stress ein Mensch bereits erlebt hat.
Bei einer PTBS kommt es zu einer Fehlspeicherung von Erinnerungen. Traumatische Erinnerungen werden später, also Jahre oder gar Jahrzehnte nach dem traumatischen Erlebnis - auf einen Trigger hin - wieder abgerufen. Dann tauchen sie ganz plötzlich in Form von Bildern oder Sinneseindrücken wieder auf. "So als würde man eine Datei auf dem Computer in einem Ordner abspeichern, aber sie taucht trotzdem immer wieder ungeplant auf dem Desktop auf", sagt Schmidt.
Wie genau es dazu kommt, hat die Forschung noch nicht klären können, es gibt unterschiedliche Erklärungsmodelle. Eines steht aber fest: "Untersuchungen haben gezeigt, dass es bei einer PTBS zu einem Umbauprozess im Gehirn kommt", sagt Ulrike Schmidt. Betroffen ist davon unter anderem der Hippocampus - "das Tor zum Gedächtnis", wie Schmidt sagt. "Diese Hirnregion verkleinert sich."