Schon seit meiner Kindheit spiele ich Videospiele und erkundete dabei riesige Kirchen, sah Kruzifixe und Zeichen der Hoffnung, ich erlebte unzählbare Heilsgeschichten. Zwei Welten, die für viele nicht zusammenpassen: Gaming und Göttliches - dabei sind Videospielwelt und religiöse Symbolik längst stärker miteinander verwachsen, als viele wissen.
Im Rollenspiel Terranigma kämpfte ich kleiner Niemand aus Niedersachsen darum, den untergegangenen Planeten wieder zum Leben zu erwecken. Ich kämpfte mich durch verdorrte Steppen, um das Wasser zurück auf die Erde zu holen. Dann die Pflanzen, die Tiere und schließlich die Menschen. Dann half ich dabei, dass ihre Städte und Dörfer gediehen und sie friedlich zusammenlebten. Ich habe gewaltet wie eine göttliche Figur. Oder nehmen wir das Rollenspiel Lufia 2, nach zehrenden Kämpfen begab ich mich in eine Kirche, um mich zu heilen. Damals waren das für mich einfach Videospiele. Wenn ich mir diese Spiele heute ansehe, sehe ich darin plötzlich Zeichen den Glaubens, des Religiösen, letztlich des Christentums.
Ich bin nicht gläubig, aber katholisch erzogen. Aufgewachsen in einer Orgelbau-Familie in Osnabrück. Wenn ich an meine Jugend zurückdenke, kamen Videospiele damals in der Kirche nur vor, wenn es in Predigten mal wieder um gesellschaftliche Verrohung ging. Killerspiele, Suchtpotenzial, Vereinzelung der Kinder - das Übliche. Das Medium, das mir als Heranwachsendem so viel Freude bereitete, sei eigentlich ein Problem, diese Botschaft nahm ich mit. Ich hingegen dachte, ich habe doch gerade noch Menschen vor dem Verderben gerettet - zugegebenermaßen nur virtuell. Aber wie kann die Kirche das verurteilen?
Newsletter
Starten Sie mit unserem sehr kurzen Nachrichten-Newsletter in den Tag - von Montag bis Samstag.
Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzbestimmungen zur Kenntnis.
Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement.
Viele junge Menschen befassen sich in der Gaming-Welt mit religiösen Themen, aber bringen das nicht mit der analogen Kirche in Verbindung. Glaube und Religiöses - was besonders bei Jüngeren sehr oft im Verdacht steht, etwas angestaubt, im Zweifel von gestern zu sein, hat es durch Videospiele längst auf ihre Monitore geschafft.
Ist das nicht eigentlich die Lösung? Ein Mittel gegen die Relevanzkrise des Kirchlichen, das biedere Image des Religiösen? Dem Glauben spielend begegnen. Verpennt die Kirche das gerade?
Ich mache mich auf die Suche nach Menschen, die sich in dieser spirituellen Gaming-Welt bewegen, will erfahren, was diese virtuellen Glaubensräume ihnen geben, wie die Chancen für Gott im Gaming so stehen.
Auf meinem Streifzug stoße ich direkt auf eine virtuelle Kirche. Alles beginnt mit einer VR-Brille, einer Brille für virtuelle Realitäten. Ich starte das Programm AltspaceVR und betrete eine virtuelle Welt voll gläubiger Menschen. Ich sehe einen Teich vor mir, umrundet von Gestein. Langsam steigt eine Figur ins Wasser. Hinter ihr ein Bildschirm mit einem Text. "Endlich bin ich bereit, mich für Jesus Christus, meinen Heiland, fallen zu lassen." Auf einer Tribüne sitzen mehrere Computerfiguren, gesteuert von Menschen, ich bin einer von ihnen. Wir wohnen einer Taufe bei.
"Mit 17 Jahren habe ich zum Glauben gefunden, durch die christliche Jugendbewegung Jesus Freaks", erzählt Markus Neher am Telefon. Der 38-Jährige aus Erlangen gehört zur Führungsriege der VR Church. Ende 2017 habe er einen Artikel über virtuelle Kirchen in einem Videospiel-Magazin entdeckt, die Idee kommt aus den USA. Neher war sofort neugierig. Heute wird er in der virtuellen Welt Pastor Bismik genannt und ist für die VR Church in Europa zuständig. "Mir ist klar, dass ich mich in Deutschland nicht Pastor nennen kann. Ich habe kein theologisches Studium. Aber in den USA wird mit diesen Bezeichnungen etwas freier umgegangen", sagt Neher. Er habe auch schon Menschen getauft. "Ob das eine 'echte' Taufe ist, muss jeder für sich entscheiden. Wer dem Heiligen Geist richtig zuhört, bekommt eine Antwort", sagt er. Zumindest klingt Neher hier und da wie ein Pfarrer aus der analogen Welt.