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Leningrad-Belagerung der Wehrmacht: Russland verlangt Geld für nichtjüdische Opfer

Auf dem Friedhof Piskarjowskoje in St.Petersburg sind Tote der Leningrader Blockade in Massengräbern beerdigt. © Dmitri Lovetsky/AP/dpa

03.01.2024, 12:17 Uhr

Von: Mathias von Hofen

Die Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg forderte über eine Million Tote. Jetzt verlangt Moskau Ausgleichszahlungen.

Moskau - Die Blockade von Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, gilt als eines der größten Kriegsverbrechen des 20. Jahrhunderts. Die Stadt wurde im Zweiten Weltkrieg drei Jahre lang von deutschen Truppen belagert. Die meisten der Opfer sind verhungert oder erfroren. Die Stadt war von der Versorgung mit Nahrungsmitteln in dieser Zeit abgeschnitten. Der Historiker Timothy Snyder zur Blockade: „Ziel war die Vernichtung Leningrads durch den Hungertod."

Die russische Regierung kritisiert heute, dass zwar jüdische Opfer der Blockade direkt von Deutschland entschädigt werden, aber nicht Russen oder andere Nationalitäten der früheren Sowjetunion. Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, sprach in diesem Zusammenhang von „rassischer Diskriminierung." Im September richteten russische Veteranen einen Brief an das deutsche Kanzleramt. Darin warfen sie der Bundesregierung vor, mit zweierlei Maß zu messen. Laut einer Meldung der russischen Nachrichtenagentur Tass hieß es in dem Schreiben „Der grausame Plan der Nazis, alle Einwohner im unbeugsamen Leningrad durch Hunger und Kälte zu vernichten, machte keinen Unterschied zwischen den Nationalitäten." Es gebe noch 60.000 Überlebende, die keine Hilfszahlungen aus Deutschland erhalten.

Sowjetischer Verzicht auf weitere deutsche Reparationen

Die deutsche Bundesregierung steht auf dem Standpunkt, dass mit den Reparationen an die Sowjetunion nach dem Ende des Kriegs die Fragen der Hilfszahlungen an nichtjüdische Opfer abgeschlossen sein. Zudem habe die Sowjetunion 1953 auf weitere deutschen Reparationszahlungen verzichtet. Sowohl die damalige sowjetische Führung als auch die von ihr abhängige Regierung in Warschau verzichteten auf weitere Reparationen, da das deutsche Volk seiner Verpflichtung zu Reparationszahlungen „bereits in bedeutendem Maße nachgekommen sei." Seitdem beharrt die deutsche Regierung sowohl gegenüber Russland als auch gegenüber Polen darauf, dass dieser Verzicht weiter Gültigkeit habe.

Deutsche Hilfen für Opfer der Leningrader Blockade

Allerdings hatte der deutsche Außenminister Heiko Maas 2019 die Summe von zwölf Millionen Euro für ein Hilfsprojekt in St. Petersburg zugesagt. Mit diesen Geldern wurde vor allem ein Petersburger Krankenhaus modernisiert, in dem viele der mittlerweile hochbetagten Überlebenden der Blockade behandelt werden. Trotz des mittlerweile stark belasteten deutsch-russischen Verhältnisses zu Russland läuft das Projekt weiter.

Dass jüdische Opfer der Blockade von Deutschland eine höhere finanzielle Entschädigung erhalten, begründet die Bundesregierung damit, dass jüdische Opfer in Leningrad einem noch höheren Risiko ausgesetzt gewesen seinen als andere Nationalitäten. Denn ihnen habe bei einer Festnahme durch deutsche Soldaten der sichere Tod gedroht. Seit 2008 haben jüdische Überlebende der Blockade die Möglichkeit, Einmalzahlungen zu erhalten. Außerdem erhalten sie seit 2021 auch monatliche Rentenzahlungen.

Russische Vergleiche zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Ukraine Krieg

Dass jüdische Opfer individuell entschädigt werden, aber nicht andere russische Opfer, wertet das russische Außenministerium als „rassische Diskriminierung". Laut der regierungsnahen russischen Zeitung Rossijskaja Gaseta sieht die Sprecherin des Außenministeriums darin ein Beispiel für Nationalismus in westlichen Gesellschaften. So weigere sich der Westen, die „Nazi-Natur des Kiewer Regimes" zu erkennen.

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Dass Maria Sacharowa versucht, hier einen Zusammenhang zu konstruieren, hängt zusammen mit der Kritik des Kremls an der deutschen Unterstützung für die Ukraine. Diese wird in russischen Medien scharf kritisiert und gerne in Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg gebracht. Sacharowa hatte bereits mehrfach die Weigerung von Reparationszahlungen durch die Bundesregierung kritisiert.

Putins Vergleich zwischen Leningrad und Gaza

Wladimir Putin versuchte im Oktober sogar einen Zusammenhang mit dem Krieg in Gaza herzustellen, indem er laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters die Blockade von Gaza mit der Belagerung von Leningrad verglich. Angesichts der viel höheren Opferzahl in Leningrad ist dies eine erstaunliche Einschätzung. (mit dpa)


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