Mathias Peer

Auslandskorrespondent, Bangkok

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Artikel

Die Macht bleibt in der Familie

Die Presse – 30.07.2017 – Der Patriarch muss gehen, doch seine Familie soll in Pakistan weiter das Sagen haben. Nach seiner Amtsenthebung durch das Oberste Gericht in Islamabad will der abgesetzte Regierungschef Nawaz Sharif seinen Bruder Shahbaz Sharif offenbar als Nachfolger installieren. Das machte er laut lokalen Medien bei einem eilig einberufenen Treffen der Führungsspitze seiner Muslimliga PML-N deutlich. Die Regierungspartei gab sich alle Mühe, möglichst unaufgeregt zu wirken. Sharifs Tochter Maryam verbreitete auf Twitter Fotos von dem Treffen, die lauter gut gelaunte Funktionäre zeigten. „Echte Männer lächeln, wenn sie den Kampfhandschuh überstreifen", schrieb sie.

Die Botschaft ist klar: Der Familienclan, der Pakistans Politik seit Jahrzehnten prägte, will sich nach der Absetzung Sharifs nicht geschlagen geben. Tatsächlich ist es auch nach dem vernichtenden Urteil der fünf obersten Richter, die Sharif im Zuge einer Korruptionsaffäre von der Regierungsspitze entfernten, zu früh, die mächtigen politischen Dynastien in dem Land mit rund 200 Millionen Einwohnern abzuschreiben.

Denn die Sharifs sind nicht die Einzigen, die im Kampf um die Machtverteilung mit ihrer Ahnentafel punkten wollen. Direkt unter der bisherigen First Family zeigten die Zeitungen, die Händler am Samstag in Islamabad verteilten, den Nachkommen einer weiteren prominenten Politikerfamilie, der sich durch den Regierungsumsturz bessere Chancen auf höchste Staatsämter ausrechnet: Bilawal Bhutto Zardari, der Sohn der vor zehn Jahren ermordeten Benazir Bhutto, die als erste Regierungschefin der islamischen Welt in die Geschichte einging. Wie wichtig die familiären Verflechtungen in Pakistans Innenpolitik sind, zeigte auch Bilawals erste Reaktion nach der Absetzung von Premier Sharif: Er zitierte seine Mutter. „Sharif mag zwar einmal mit seiner Verschwörung erfolgreich gewesen sein", soll diese über ihren politischen Erzrivalen mit Blick auf ihre Absetzung als Premierministerin in den 1990er-Jahren gesagt haben. „Aber irgendwann wird er selbst derjenige sein, der weinen muss."

Bilawal, der 28 Jahre alte Anführer der oppositionellen Pakistanischen Volkspartei PPP, erhofft sich nun Rückenwind für seine eigenen Ambitionen: Bereits 2016 hat er angekündigt, selbst Regierungschef werden zu wollen. „Mit der Hilfe des Volkes wird uns das gelingen", versprach er den PPP-Anhängern, von denen viele vor allem in Erinnerung an die populäre Benazir Bhutto der Partei die Treue halten. Bilawal versucht damit in große Fußstapfen zu treten: Auch sein Großvater, der Großgrundbesitzer und PPP-Gründer Zulfikar Ali Bhutto, regierte bereits das Land. Sein Vater, Asif Ali Zardari, war von 2008 bi 2013 Präsident.

Doch die politischen Erfolge seiner Angehörigen zu wiederholen, dürfte Bilawal nur schwer gelingen. Bei der Parlamentswahl im Jahr 2013 holte seine Partei eines der schlechtesten Ergebnisse seit ihrer Gründung. Auch seitdem gab es in Umfragen kaum Anzeichen, dass Bilawal, dem das Charisma seiner Mutter fehlt, merklich aufholen konnte.

Siegesprophezeiung

Unterdessen versuchen die Sharifs ihre Macht zu konsolidieren - und sprechen schon von einer möglichen vierten Amtszeit von Nawaz Sharif, der in Pakistan bereits zwischen 1990 und 1993 sowie von 1997 bis 1999 regiert hat. Die erneute Absetzung werde ihrem Vater den Weg für einen Erdrutschsieg bei den Wahlen im kommenden Jahr ebnen, prophezeite Tochter Maryam Nawaz nach der Gerichtsentscheidung. Sie und ihre Familie weisen die Anschuldigungen zurück und sprechen von einer Verschwörung. Der Clan hofft darauf, dass die Anhänger der Regierungspartei das ebenso sehen. Vor dem Höhepunkt der Affäre konnte die Muslimliga laut Umfragen damit rechnen, mit großem Abstand wieder stärkste Kraft zu werden.

Ausgelöst wurde der Skandal, der die Regierungspartei nun ausbremste, durch die Veröffentlichung der sogenannten Panama Papers im vergangenen Jahr: Ein Journalistenkonsortium hatte Kundendaten der in Panama beheimateten Kanzlei Mossack Fonseca zugespielt bekommen und damit die Verbindungen der globalen Elite zu karibischen Briefkastenfirmen offengelegt. Auch Maryam und ihre Brüder tauchten darin auf. Die Dokumente zeigten Verbindungen der Offshore-Firmen zu Luxusimmobilien in London, wo sich Sharif nach dem Militärputsch 1999 jahrelang im Exil aufhielt. Die Sharifs versuchten, den Besitz der noblen Apartments laut einer pakistanischen Untersuchungskommission mithilfe gefälschter Dokumente zu verschleiern. Brisant sind die Wohnungen vor allem deshalb, weil sich offenbar nicht plausibel erklären ließ, wie die Familie das Geld für den Kauf auftrieb. Sharifs Gegner mutmaßten, dass illegale Machenschaften wie Steuerhinterziehung, Korruption oder Geldwäsche hinter dem Auslandsvermögen stecken.

Von einem Gericht nachgewiesen wurden die Anschuldigungen jedoch bisher nicht. Die obersten Richter jagten Sharif am Freitag wegen eines technischen Details aus dem Amt, das im Zuge der Korruptionsermittlungen ans Licht kam. So soll er Einnahmen aus einem Vorstandsposten bei einem Unternehmen in Dubai auf einem Formular bei seiner Kandidatur verschwiegen haben - es geht dabei nicht um die Millionensummen wie in London, sondern um gerade einmal rund 2300 Euro im Monat. Die fehlende Angabe gab den Richtern nun die Möglichkeit, Sharif aufgrund einer umstrittenen Verfassungsbestimmung für „unehrlich" zu erklären und ihn dadurch für das Amt des Regierungschefs zu disqualifizieren.

Angespannte Beziehung

Nicht nur die Anhänger des Sharif-Clans halten diesen Vorgang für fragwürdig. „Natürlich ist Sharif kein Heiliger", kommentierte der politische Kolumnist Mihir Sharma. „Man muss aber kein Genie sein, um zu sehen, dass er mit einer gefährlichen und unliberalen Verfassungsbestimmung herausgegriffen wird." Als Hintergrund vermuten Beobachter die angespannten Beziehungen zwischen Sharif und dem Militär. Die Generäle, die Sharif nach seiner Entmachtung 1999 zeitweise ins Gefängnis steckten, nahmen ihm zuletzt unter anderem seine Annäherungsversuche an Indien übel. In der Untersuchungskommission, die zuletzt die lautesten Vorwürfe gegen Sharif vorbrachte, spielten Militärangehörige eine Hauptrolle.

Für Sharifs Gegner ist der Wechsel an der Spitze der Regierung aber nur ein Teilsieg. Erwartet wird, dass der abgesetzte Premier weiterhin großen Einfluss auf die Regierung haben wird. „Vorerst dürfte sich nicht viel ändern", sagte der pakistanische Talkshow-Moderator Kashif Abbasi. „Nawaz Sharif hatte ohnehin die Machtübergabe an seine Tochter geplant." Mit der geplanten Einsetzung seines Bruders Shahbaz blieben die Regierungsgeschäfte nun ebenfalls in der Familie.

Shahbaz Sharif leitet derzeit die Regierung in der Provinz Punjab. Er wird erst nach einer Übergangszeit das Premierministeramt antreten können, weil er dafür zuvor noch ins Parlament gewählt werden muss. Dies ließe sich jedoch durch den Rücktritt eines Parteifreundes relativ leicht realisieren. Bis dahin soll ein Übergangspremier die Regierung leiten. Auch Sharifs Tochter Maryam dürfte sich von ihren politischen Ambitionen nicht so schnell verabschieden. Ihre Zukunft wird jedoch stark von dem Ausgang eines formellen Verfahrens der Antikorruptionsbehörde abhängen, das infolge des Panama-Papers-Skandals auch gegen sie eingeleitet wurde.

Der Machtanspruch der großen Politikerfamilien wurde in Pakistan zuletzt allerdings immer stärker infrage gestellt. Am meisten Widerstand bekommen die politischen Dynastien zurzeit von dem Oppositionsführer Imran Khan. Er verdankt seine Popularität nicht seinem Stammbaum, sondern seinen früheren Erfolgen als Cricketspieler. Die einflussreichen Familien würden Pakistan ausrauben, klagte er jüngst auf einer Kundgebung: „Milliardensummen werden durch Korruption und Geldwäsche ins Ausland gebracht."

Imran Khan zeigt sich überzeugt davon, die Dominanz der beiden Clans, Sharif und Bhutto, brechen zu können. Zuletzt gelang es ihm mehrfach, seine Anhänger zu Großdemonstrationen zu mobilisieren. Bei den Wahlen 2018 erhofft er sich nun den Machtwechsel. Die Absetzung Sharifs kommentierte er mit den Worten: „Das ist erst der Anfang."

("Die Presse am Sonntag", Print-Ausgabe, 30.7.2017)

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