Mathias Liebing

Sportjournalist und Blogbetreiber, Leipzig

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Teambuilding in der Fußball-Bundesliga sollte mehr sein als Rafting

"Gerade von Klassikern wie dem Floßbau oder dem Hochseilgarten haben erfahrene Bundesligaspieler langsam die Nase voll", erklärt Dr. René Paasch. Der Sportpsychologe, der beim VfL Bochum im Nachwuchs und bei den Profis arbeitet, hat in den vergangenen Jahren beobachtet, wie inflationär solche Events geworden sind.

Ein gegenläufiger Trend kommt gegenwärtig aus der Wirtschaft, sagt Paasch: "Moderne Unternehmen machen vor, dass es sich lohnt, in die Menschen zu investieren. Es hat einen Wert, dass sich die Mitarbeiter besser kennenlernen." Im Fußball sieht Paasch die TSG Hoffenheim als Vorreiter: "Teambuilding ist hier ein Prozess, der die gesamte Saison über läuft."

Auf die Krise kommt es an

Team-Events wie etwa das Fahrsicherheitstraining von Werder Bremen im Trainingslager in Österreich seien dabei nur die Spitze des Eisbergs. "Was als Auflockerung in der Vorbereitungsphase gemacht wird, ist relativ egal. Es geht ja nur darum, dass sich das Team kennenlernt und miteinander Zeit verbringt", erklärt Paasch.

Deutlich spannender werde es in Konfliktphasen. Wenn es sportlich nicht läuft. Wenn sich Spieler untereinander auf die Nerven gehen. Oder wenn wie bei Schalke 04 der altgediente Kapitän Benedikt Höwedes aussortiert wird. Paasch: "Gelingt es, diese Auseinandersetzungen zu lösen, gibt sich die Mannschaft damit mehr oder weniger unbewusst Werte und Normen. Jeder weiß jetzt um seine Rolle in der Mannschaft und die wichtigen Führungspersönlichkeiten stehen fest."

Wie man das Wir-Gefühl trainiert

Erst dann könne ein leistungsförderndes Wir-Gefühl entstehen, wie es Paasch bei der WM zum Beispiel bei der kroatischen Mannschaft gesehen hat. Paasch: "Wie die Stars Modric und Rakitic in den Partien immer wieder den Kontakt zu ihren Mitspielern aufgebaut haben, war beeindruckend. Diese Mannschaft hat als echte Einheit funktioniert."

Entscheidend sei, dass der Gestaltungsprozess eines Teams gesteuert werde, so der Sportpsychologe. Die Auswahl an konkreten Maßnahmen bleibt der Kreativität der Trainerstäbe und dem Zeitbudget überlassen. Paasch: "Das können kleine Spiele in den Positionsgruppen sein. Übungen, die die Kommunikation fördern und das Nachdenken übereinander provozieren." Der Bochumer Sportpsychologe nennt eine Übung, bei der einem Spieler ein Zettel auf den Rücken geklebt wird. Dort schreiben die Mitspieler auf, was sie Positives über ihn sagen können. Paasch: "Auch gestandene Bundesliga-Kicker haben diese Zettel dann nicht selten die ganze Saison in ihrer Tasche."

Teambuilding endet mit dem Saisonstart

Im Gegensatz zu den Rafting-, Klettergarten- oder Paintball-Events der Sommerpause bleibt der fortlaufende Teambuildingprozess von der Öffentlichkeit in der Regel unbeobachtet. Sofern es ihn überhaupt gibt: Denn bei vielen Bundesligisten endet die Förderung des Zusammenhalts mit dem Start der Pflichtspiele.

Oder das Problem mit dem fehlenden Teamgeist wird erst akut, wenn die Konfliktphase aus dem Ruder gelaufen ist. Paasch: "Erlebnispädagogische Events sind über das Jahr verteilt wertvoller als vor der Saison, weil sich in der Kennenlernphase jeder von der besten Seite zeigt. Optimal ist es zudem erst dann, wenn die Maßnahmen ausgewertet werden und auch auf dem Platz sportpsychologisch gearbeitet wird."

Der Trainer ist der Schlüssel

Der Experte nennt aktuell nur Hoffenheim, wo die Sportpsychologie ein akzeptiertes Arbeitsfeld sei und selbst in der Saison Zeit und Raum bekomme. Paasch: "Unter Julian Nagelsmann dürfen Experten periodisiert arbeiten und damit kommt auch das Teambuilding ganzjährig zum Tragen."

Der Schlüssel sei der Trainer, der Wert auf Zwischenmenschlichkeit legen müsse. Und es gehe darum, dass im Funktionsteam Kompetenzen an einen oder mehrere Sportpsychologen abgegeben werden. Paasch: "Noch haben Sportpsychologen längst nicht das Standing wie Videoanalysten, Fitnesstrainer oder Physiotherapeuten. Das kann man ganz einfach auf den Mannschaftsfotos vor der Saison ablesen."

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