Mathias Liebing

Sportjournalist und Blogbetreiber, Leipzig

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Ultramarathon: 246 Kilometer für einen Kniefall vor dem König

Schon bei den Aufnahmen vor dem griechischen Restaurant Taverne Akropolis ahnt man, dass es in diesem Youtube-Video nicht ganz ernst zugehen wird. Als dann wenig später Florian Reus aus dem Off erklärt, dass diese doch recht mitteleuropäisch anmutende Obstbaumwiese, über die er gerade läuft, sich irgendwo in Griechenland zwischen Korinth und Nemea befinden soll, ist die Sache entlarvt: als Gagvideo, das seine Fans auf einen seiner Saisonhöhepunkte vorbereiten soll, den Spartathlon.

Spartathlon? Spartathlon. 246 Kilometer von der Athener Akropolis bis nach Sparta wie einst der Bote Pheidippides. Heute ein sogenannter Ultramarathon über Asphalt, brüchigen Beton und Bergpfade. Keine 24 Stunden werden die schnellsten Teilnehmer für diese Strecke benötigen. Reus ist einer der Favoriten.

"Mich treibt die Faszination an, mir Ziele zu setzen und dafür hart zu arbeiten. Der Gewinn sind am Ende die besonderen Momente, allen voran der Augenblick, in dem klar ist, es geschafft zu haben", sagt Reus. Der Sport- und Soziologiestudent der Uni Frankfurt ist mit seinen 30 Jahren der erfolgreichste Athlet der Ultramarathon-Nationalmannschaft des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV).

Spartathlon

Der Spartathlon ist ein Nonstop-Lauf über 246 Kilometer. Er beginnt an der Athener Akropolis, das Ziel ist mit dem Berühren des Fußes der Statue von König Leonidas in Sparta erreicht. Vor 2.500 Jahren soll ein Bote namens Pheidippides diese Strecke zurückgelegt haben, um für die durch die Perser bedrohten Athener Hilfe bei König Leonidas zu beantragen. In diesem Jahr wird der Spartathlon zum 32. Mal ausgetragen.

Neben Florian Reus zählen die beim Spartathlon bereits siegreichen Läufer Joao Oliveira (Portugal) und Ivan Cudin (Italien) zum Favoritenkreis. Hinzu kommen zwei Amerikaner: Der amtierende Weltmeister im 24-Stunden-Lauf, John Olsen, sowie der laufende Bestseller-Autor Dean Karnazes (Ultramarathon Man - Aus dem Leben eines 24-Stunden-Läufers).

Er ist Vize-Weltmeister, Europameister und vierfacher Deutscher Meister in der Disziplin 24-Stundenlauf, über die selbst viele Sportverrückte nur den Kopf schütteln können. "Das Stigma eines Wahnsinnigen bekommt man schnell zugeschoben, aber so schlimm ist es bei mir gar nicht", sagt Reus.

Nur wer mit den gewöhnungsbedürftig physischen Belastungen dieses Kraftaktes keine Probleme hat, kann so etwas sagen. So wird etwa die Darmtätigkeit vollends herunterreguliert und selbst Wasserlassen ist nur nötig, wenn der Athlet sehr viel trinkt. Blasen an den Füßen lassen sich nicht vermeiden. "Aber sie stören mich nicht wirklich", sagt Reus, "ich kenne das ja."

Im Dunkeln durch Geröll bergab

Erheblicher sei die geistige Belastung. Ohne Probleme und Krisen durchzulaufen sei praktisch unmöglich. "Der Psyche kommt eine enorme Bedeutung zu. Wenn ich bei einem klassischen 24-Stundenlauf oder dem sogar etwas länger angelegten Spartathlon vorne landen will, kann ich mir keine einzige Sitzpause leisten," sagt der Sportler. Er weiß vor jedem Rennen, dass ernste Schwächeperioden kommen werden. "Das Bedürfnis, das Laufen zu unterbrechen, ist dann grenzenlos."

Beim Spartathlon wartet die größte Herausforderung für die ausschließlich eingeladenen Teilnehmer in der Nacht. Nach etwa 160 Kilometern muss in der Dunkelheit und meist einzeln der Sangapass überquert werden. Die Abstände zwischen den Startern sind zu diesem Zeitpunkt groß. "Das sind steile und geröllige Bergabpassagen, die es in sich haben," sagt Reus. "Wer hier nicht konzentriert ist, für den kann es böse enden."

Die Angst läuft bei Reus mit: "Das mag absurd klingen, doch ich habe meine besten Leistungen immer dann erbracht, wenn ich vor dem Wettkampf und den damit verbundenen Strapazen eine gehörige Portion Angst hatte." So wendet der Student einen nicht unerheblichen Zeitraum seiner Vorbereitung dafür auf, sich in Problemsituationen hineinzuversetzen. Er stellt sich alle Strapazen und Schmerzen vor, die für die jeweilige Strecke erwartbar sind. Reus: "Oft mache ich das bei lockeren Trainingseinheiten. Wenn ich dann meine Trainingsuhr trage, schießt die Herzfrequenzanzeige nur durch das mentale Nachspüren richtig in die Höhe."

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