Mitten im Gewerbegebiet von Schledehausen, einem kleinen Ort in der niedersächsischen Provinz, steht ein Dinosaurier. Knapp drei Meter ist das Tier groß, die Haut gestreift, das Maul weit aufgerissen wie zum Gebrüll. Hinter einem Metallzaun wacht er über einen Garten mit Teich und Trauerweide. Ein Schild warnt: "Vorsicht! Bissiger Hund!" Es wirkt wie ein kleiner deutscher Jurassic Park, ein Paralleluniversum - als verstecke sich hier jemand vor der Welt.
Der Mann, der hier wohnt, ist im Internet eine Berühmtheit. Auf Facebook gibt es Seiten in seinem Namen, auf Twitter zitieren ihn Fremde, auf ahmen Jugendliche ihn nach. Klingelt man, öffnet ein großer, schlanker Typ. Er grüßt freundlich, bittet herein. Das also ist Karsten Wöllner.
Während andere sich ihre Prominenz hart erarbeiten, kam sie über den 53-Jährigen eher wie ein Unfall, er schlitterte so hinein. Alles begann im Jahr 2007, als Wöllner für die Sendung Wildes Wohnzimmer von einem Team des Fernsehsenders Vox begleitet wurde. Wöllner ist Reptilienzüchter. Hinter dem Metallzaun erstreckt sich ein Grundstück von etwa tausend Quadratmetern, auf dem er eine private Schlangenfarm unterhält.
Drei Tage lang war das Vox-Team in Schledehausen zu Besuch, drei Tage filmten die Fernsehleute Wöllner dabei, wie er seine Schlangen von einem Terrarium ins andere hob, wie er ihre Gehege ausstaffierte, wie er sie fütterte. Dann, am dritten Tag, passierte es. Der Clip, der davon zeugt, ist nur 26 Sekunden lang; er ist vorbei, bevor er richtig begonnen hat, und doch verfolgt er Karsten Wöllner nun seit über einem Jahrzehnt.
Man sieht in dem Video, wie Wöllner, ein sportlicher Mann in braunem T-Shirt und kurzer Hose, seinen Hausflur entlangläuft. Er kramt in einer Box und redet irgendwas, dann ruft aus der Ferne jemand: "Karsten!" Wöllner stockt, er bricht mitten im Satz ab und sprintet los, wie von einer unsichtbaren Kraft erfasst. Mit großen Schritten rennt er ins Wohnzimmer, eine Helferin springt aus dem Weg. Er stürzt über einen Stuhl, donnert gegen die Wand und sackt zusammen wie ein Boxer, niedergestreckt in der elften Runde.
Aus dem Off kommentiert der Moderator: "Was ist denn mit Karsten los? Das sieht gar nicht gut aus." Dann die Werbeunterbrechung: "Und gleich in Wildes Wohnzimmer ..."
Würde man einen Beleg dafür suchen, dass das Internet nichts vergisst, würde man herausfinden wollen, welche Folgen es haben kann, im Web quasi für immer verewigt zu sein, in einem wenig schmeichelhaften Moment - das Video von Karsten Wöllner wäre ein perfektes Beispiel.
Zum Original