Martina Kix

Chefredakteurin ZEIT CAMPUS, Hamburg

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Medienkrise: Früher war mehr Buzz

Vielleicht war es der Tonfall, der Vice so erfolgreich machte. Mit einer rotzigen Haltung nahm die Medienmarke sich ihrer Themen an, von Sex und Drogen bis Pop und Politik - und mit großem Selbstbewusstsein. "Wir wollen der einflussreichste Jugendmedienkonzern der Welt werden", das war die Mission - und es sah lange so aus, als ob das gelingen könnte. 1994 in Montreal als Punkrock-Fanzine gegründet, wuchs zu einem globalen Medienunternehmen mit mehr als 2500 Mitarbeitern und Büros in 36 Ländern. Investoren pumpten Hunderte Millionen Dollar ins Unternehmen, bis der Wert von vor zwei Jahren auf 5,7 Milliarden US-Dollar geschätzt wurde. Vice war damit wertvoller als die New York Times.

Anfang des Jahres dann der Schock: Vice Media strich weltweit etwa 10 Prozent der Belegschaft, rund 250 Stellen, einige davon auch im Berliner Büro. Wie viele genau, dazu schweigt das Unternehmen. Und klingt dann doch nicht mehr rotzig, sondern wie alle anderen auch, die in schwierigen Zeiten Zuversicht verbreiten wollen. "Transformationsprozesse sind immer eine spannende, aber auch notwendige Herausforderung", sagt Benjamin Ruth, 45, Geschäftsführer von Vice Deutschland. Eine ehemalige Mitarbeiterin fand Worte, die eher zum Vice-Tonfall passen, und twitterte: "Ich hab endlich den arbeitslosen Sommer in Berlin im Gucci-Jogginganzug, von dem ich immer geträumt habe."

Es traf nicht nur Vice. Das amerikanische Online-Magazin entließ in den vergangenen Monaten rund 200 Mitarbeiter, etwa 15 Prozent. Bei den Konkurrenten Vox,Mic und Refinery29 wurde gekürzt, auch Media, unter anderem Eigentümer der Huffington Post, kündigte rund 800 Mitarbeitern.

Der deutsche Ableger wurde Ende März eingestellt. Der Verlag BurdaForward, der die deutsche Huffington Post mit einer Lizenz betrieben hatte, will sich zu deren Ende nicht näher äußern.

Die Medienkrise, so scheint es, hat die journalistischen Digitalunternehmen und damit die nächste Generation erreicht. Lange sah es so aus, als würden sie die Sorgen etablierter Medienhäuser wie sinkende Auflagenzahlen, also Reichweite, und schwindende Werbeerlöse nicht betreffen. Die jungen Unternehmen schienen den Schlüssel gefunden zu haben, um im Internet mit Unterhaltung und Journalismus gigantische Umsätze zu generieren. Auch nach Deutschland wurde expandiert. Vice ist schon seit Sommer 2005 da, 2013 kam die Huffington Post und ein Jahr später BuzzFeed. Wie viel Aufbruchstimmung bleibt nach den Krisennachrichten?

"Ich habe keine Angst um meinen Job", sagt der "BuzzFeed"-Chefredakteur

Im Berliner BuzzFeed-Büro hängt an der Wand ausgerechnet ein Bild der berühmtesten Katze des Internets: Grumpy Cat. Fotos von ihrem mürrischen Gesichtsausdruck waren über Jahre beliebte Memes und ein Sinnbild für cat content, mit dem auch BuzzFeed groß geworden war: Spaßinhalte. Mitte Mai aber ist Grumpy Cat gestorben. Ihre Botschaft war stets: Alles ist mies. Hier etwa auch?

"Ich habe keine Angst um meinen Job", sagt Daniel Drepper. Der 33-Jährige ist Chefredakteur von BuzzFeed Deutschland. Am 23. Januar hatten er und seine Kollegen die E-Mail des BuzzFeed- Gründers Jonah Peretti bekommen. Betreff: "Schwierige Veränderungen". "Leider reicht das Umsatzwachstum allein nicht aus, um langfristig erfolgreich zu sein", schrieb Peretti. Das ist nun drei Monate her. Drepper versichert, dass im Berliner Büro niemandem gekündigt wurde. Aber schon vor der E-Mail wurden Stellen im ohnehin kleinen Team nicht nachbesetzt; waren es bis Sommer 2018 noch elf, sind es heute drei weniger.

Als Drepper im April 2017 übernahm, rückte er BuzzFeed raus aus der cat content- Ecke. Drepper baute, nach dem Vorbild der USA, ein News-Team mit vier Redakteuren auf, das monatelang zu ernsten Themen recherchierte, Vergewaltigungen unter Erntehelferinnen etwa oder Mobbing in der Wissenschaft. "Wir brauchen Geschichten, die durch die Oberfläche stoßen und die Leute zwingen, auf uns aufmerksam zu werden", sagt Drepper.

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