Unsere Autorin dachte, sie müsste Bon Jovi nach der Abi-Party nie wieder hören. Dann bekam sie eine E-Mail vom Management der Band - und wurde Praktikantin.
Die Frau mit der Eins wartet schon seit Tagen vor dem Münchner Olympiastadion. Sie wird die Erste sein, die ihre Eintrittskarte bekommt. Die Erste, die mit tiefem Dekolleté vor der Bühne steht und schreit. Ein Securitymann hat ihr die Eins auf den Handrücken gemalt. Das war am Donnerstagabend. Jetzt ist Samstagvormittag, in neun Stunden beginnt das Konzert. Sie sieht abgekämpft aus: Ihre Haare sind zerzaust, die Augenringe hat sie mit Make-up überdeckt. "Ich mache das für Bon Jovi", sagt sie. Auch ich bin für Jon Bon Jovi hier. Aber ich bin kein Fan. Ich bin seine Praktikantin.
In den neunziger Jahren war die Band Bon Jovi die uncoolere Alternative zu Nirvana und ihr Sänger Jon so was wie der Kurt Cobain der braven Bürger: kein Punk, sondern Kuschelrocker. Eingeweihte gingen damals auf Raves oder auf die ersten deutschen Hip-Hop-Jams. Uneingeweihte hörten Bon Jovi.
Mir begegnete die Band zum letzten Mal bei meiner Abiparty in einer Disko in Herford. Ich tanzte zu It's My Life und dachte, dass ich das nie wieder tun würde, wenn ich erst einmal Studentin wäre und in einer Großstadt lebte. Einige Jahre später bekam ich die E-Mail, die Bon Jovis Management an Studenten der Hochschulen in München geschickt hatte: Praktikanten gesucht! Seinem Schicksal kann man nicht entkommen. Also schrieb ich eine Praktikumsbewerbung.
Zwei Tage vor dem Konzert im Olympiastadion erhielt ich die Zusage. "We are very excited to have you be part of our family", stand in der E-Mail der Bon Jovi Internship Campaign. Und ein paar Hinweise, wie sich Familienmitglieder zu verhalten haben: "Expectations while working: No tweeting or posting backstage images that include the band or their belongings; no gum chewing while talking to fans; no phone usage while interacting with fans; no sneaking around backstage; no drinking or eating in front of guests; smile and greet all of our guests; be as informative and friendly as possible; have fun! Can we photograph the show? Yes. [...] Will we meet the band? No."
Nach dieser E-Mail haben fünf der zehn ausgewählten Praktikanten gleich wieder abgesagt, erfahre ich später. Außerdem ist das Praktikum selbstverständlich unbezahlt. Ich bleibe trotzdem dabei.
Meine erste Aufgabe als Praktikantin ist, vor dem Olympiastadion eine Ticketausgabe aufzubauen. Die Eintrittspreise für das Konzert beginnen bei 70 Euro. Dafür kriegt man einen Stehplatz hinten im Stadion oder einen Sitzplatz auf der Tribüne. Ich soll die Fans betreuen, die teurere Karten bestellt haben. Etwa das Diamond-Ticket, das 450 Euro kostet. Man bekommt es nur, wenn man Mitglied im Fanclub ist, das kostet zusätzlich bis zu 130 Euro im Jahr. Mit dem Diamond-Ticket darf man nach ganz vorne, in den Diamond Circle. Das Ticket ist eine Reservierung für die erste Reihe.
Ich ziehe Metallstangen aus Säcken, entrolle das schwarze Pavillondach, stelle weiße Klapptische auf. Meine Mitpraktikantin Hanna rammt die Fahnen mit Fanclub-Logo in die Erde. Hanna ist 25, studiert Produktion an der Hochschule für Fernsehen und Film und kennt It's My Life aus dem Radio. Fan sei sie nicht, erzählt sie beim Aufbauen. Sie mache das Praktikum, weil sie wissen wolle, wie bei so einem großen Konzert das Licht und der Sound gesteuert werden. Als wir fertig sind, wackelt das Pavillondach im Wind. Der Fanclub-Bereich sieht aus wie eine Losbude auf dem Straßenfest. Aber immerhin steht Bon Jovi drauf.
Mein erster Bon-Jovi-Moment:
Eine 40-Jährige mit rot gefärbten Haaren und Bon-Jovi-Herz auf der Brust fragt:
"Warum kriege ich die Tickets noch nicht?"
"Weil wir Verspätung haben."
"Aber es hieß doch um 12 Uhr?"
"Nein, wir eröffnen erst um 14 Uhr. Das Konzert beginnt ja auch erst um 20 Uhr."
"Aber ich habe 450 Euro für mein Ticket bezahlt! Es gibt doch heute ein Mittagessen. Was ist mit dem Mittagessen?"
"Essen gab es nur auf der The Circle-Tour, nicht auf der Because We Can-Tour, sorry."
Mit offenem Mund dreht sie sich um zu ihrer Freundin, ebenfalls um die 40, ebenfalls im Bon-Jovi-Shirt, die Haare blond gefärbt. "Das gibt es doch nicht!" Sie stampfen davon. Ich hätte sie gerne getröstet: Ein Mittagessen bekomme ich auch nicht. Und ein Wasser erst, als ich über Kopfschmerzen klage.
Melanie, eine 22 Jahre alte Amerikanerin, ist für uns Praktikanten zuständig. Sie ist der Typ "ambitionierte Tussi": gebleichte Zähne, Pferdeschwanz, Walkie-Talkie. An ihrer Jeans baumeln drei Access-All-Areas-Pässe in Gelb, Blau und Rot. Ich frage sie, ob sie Bon-Jovi-Fan sei. "Nein", sagt sie. Ihr Stiefvater sei Manager der Band. Deshalb habe sie den Job als Assistant VIP Coordinator bekommen: "It's family business, you know?"
Um 14 Uhr sind mehrere Hundert Fanclub-Mitglieder vor unserem wackeligen Pavillon eingetroffen. Ein Securitymann in gelber Warnweste eröffnet die Ticketausgabe. Er ruft in sein Megafon: "Es sind genug Tickets für alle da, kein Gedränge, nicht schieben." Trotzdem beginnt der Ansturm.
Ich habe eine Liste bekommen, auf der die Namen und Rechnungsnummern der Fans stehen sowie die Anzahl der bestellten Tickets. Der erste Fan unterschreibt, ich checke seinen Perso, mache einen Haken und drücke ihm zwei Golden-Circle-Tickets in die Hand. Der Golden Circle ist die zweite Reihe, hinter dem Diamond Circle. Dazu gibt es ein silbernes Armband und eine Bon-Jovi-VIP-Kette. Wer Diamond-Tickets gekauft hat, bekommt zusätzlich eine Plastiktüte mit Tour-Buch sowie ein Notizbuch und einen Bon-Jovi-Wimpel.
Unter den Ausweisen, die ich in den nächsten Stunden kontrolliere, sind Pässe aus Italien und Tschechien, auf einem steht United States of America. "Wir haben keine Tickets mehr in den USA bekommen", sagt die Passbesitzerin in breitem Akzent, "da sind wir nach Deutschland." Ein Mann in weißen Shorts und mit langer Mähne sagt: "Ich habe mir gestern das Konzert in Wien angeschaut. Da haben Bon Jovi nicht Alwaysgespielt. Hoffentlich machen sie das heute."
Ich bekomme den Eindruck, dass die meisten Fans mit Vornamen Marion, Melanie oder Brigitte heißen. Sie kennen Bon Jovi aus der Livin’ on a Prayer-Phase in den Achtzigern und tragen Minikleider mit dem Aufdruck "I fancy the singer", obwohl der seit 24 Jahren mit seiner Jugendliebe verheiratet ist und vier Kinder hat. Er ist der Saubermann unter den Rockstars: keine Drogen, Affären, Skandale. Dafür mehr als 130 Millionen verkaufte Platten. In dem Dokumentarfilm When We Were Beautiful erzählt Jon Bon Jovi, dass er sich als Geschäftsführer einer internationalen Marke begreift. "Selbst wenn ich in der Wüste spielen würde, wäre das Konzert ausverkauft", sagt er, "und zwar mehrfach."
Mit seiner letzten Tour hat er 395 Millionen Dollar Umsatz gemacht und steht damit auf Platz fünf der erfolgreichsten Tourneen aller Zeiten, hinter U2 und Madonna. Allein heute sind 62.000 Fans gekommen, 900 von ihnen haben die Diamond- oder Golden-Tickets gekauft. Etwa 300 davon hake ich ab.
Gegen 17 Uhr haben fast alle Mitglieder aus dem Bon-Jovi-Fanclub ihre Diamond- und Golden-Tickets abgeholt. Dann räumen wir auf: Das Pavillondach, die Wimpel und die Merchandise-Tüten packen wir wieder in die Kisten. Dabei hilft uns Louis, der zum ersten Mal mit auf Tour ist. "Ich komme aus derselben Stadt in New Jersey wie Bon Jovi", sagt er. Louis ist 22 Jahre alt. Ein Fan der Band sei er nicht, sagt er. Mich überrascht das nicht mehr. Bon Jovi steht für die ewige Jugend der Uncoolen. Nach dem Konzert erzählen die Fans ihren Nachbarn von der wilden Nacht. Man braucht ein gewisses Alter, um das genießen zu können.
Um 20.05 Uhr kommen Bon Jovi auf die Bühne. Frauen kreischen. Hände gehen in die Luft. Livin’ on a Prayer! Ich habe mich in den Golden Circle geschmuggelt. Das soll die Belohnung für meinen Arbeitstag sein, quasi der Höhepunkt des Praktikums. Doch als It’s My Life kommt, bin ich viel zu müde, um dazu zu tanzen. Meine Mitpraktikantin Hanna geht mitten im Konzert. Sie kann nicht mehr.
Nach fast drei Stunden spielen Bon Jovi erst Always, den Mann in den Shorts wird es freuen, und dann ihren letzten Song. Das ist meine Chance. Ich ignoriere die Anweisung aus der E-Mail – "no sneaking around backstage" – und laufe hinter die Bühne, durch die Katakomben, dorthin, wo viele Securitymänner stehen und fünf schwarze Limousinen. Gleich muss er kommen. Aber ich sehe nur noch die Silhouette von Jon Bon Jovi hinter einer verdunkelten Scheibe.
In drei Tagen werden Melanie, Louis und die übrigen 247 bezahlten Crewmitglieder in Oslo die nächsten Praktikanten zum Aufbauen der Zelte, zum Austeilen der Luxustickets und zum anschließenden Abbau willkommen heißen. Auch die werden wohl nicht mal ein Praktikumszeugnis mit Autogramm dafür bekommen, ich jedenfalls gehe leer aus.
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