Wer darf auf dem Campus sprechen? Daniel Kehlmann, Schriftsteller und Dozent in New York, über Meinungsfreiheit
Während des Philosophiestudiums an der Uni Wien schrieb Daniel Kehlmann, 43, seinen ersten Roman. Ein österreichischer Literaturkritiker riet dazu, das Werk in der Toilette herunterzuspülen. Kehlmann ließ sich davon nicht beeindrucken. Inzwischen hat er 15 weitere Bücher geschrieben und ist einer der bedeutendsten lebenden deutschsprachigen Autoren.Sein neuester Roman "Tyll" stand monatelang auf der Bestsellerliste. Die Recherche dafür begann in einem Seminar an der New York University, wo Kehlmann am German Department lehrt. Wir haben ihn vor dem Kurs in einem Park in Uni-Nähe getroffen.
ZEIT Campus: Herr Kehlmann, Sie geben gleich Ihr Seminar. Schicken Ihnen die Studenten manchmal Mails mit der Bitte, schnell ihren Debütroman zu lesen?
DANIEL Kehlmann: Nein, nie! Ich unterrichte ja nicht kreatives Schreiben, sondern eher Germanistik, ohne Germanist zu sein. Dieses Mal bespreche ich in meinem Seminar den Roman Die Strudlhofstiege vom österreichischen Schriftsteller Heimito von Doderer.
ZEIT Campus: Dozieren Sie nur, oder geben Sie manchmal auch Lebenshilfe?
Kehlmann: Das würde ich mir gar nicht zutrauen. Ein großer Teil der Studenten am German Department sind übrigens Deutsche, viele davon Doktoranden, die wollen und brauchen auch keine Lebenshilfe mehr.
ZEIT Campus: An vielen amerikanischen Universitäten wird ein Kampf um Meinungsfreiheit und Minderheitenschutz geführt. Ein Professor schrieb in der New York Times, dass Aktivisten der sogenannten Alt-Right-Bewegung wie Milo Yiannopoulos nicht auf dem Campus reden dürfen. Wie sehen Sie das?
Kehlmann: Das war mein Kollege und Freund Ulrich Baer, der vergleichende Literaturwissenschaft und Germanistik an der New York University unterrichtet. Er hat einen Text über die sogenannte Snowflake-Generation geschrieben, die vor Positionen geschützt werden will, die sie emotional zu sehr verletzen. Dazu gehören auch rechte Positionen. Hier in den USA wollen sich Angehörige der Alt Right per Gerichtsklagen selbst Eingang in die Unis verschaffen. Ich hätte in dieser Debatte zwar nicht mit der Befindlichkeit der Studenten argumentiert, aber ich lande beim gleichen Ergebnis. Rechtsextreme haben kein vorgegebenes Recht, auf dem Campus zu sprechen.
ZEIT Campus: Warum nicht?
Kehlmann: Ich würde gerne öfter in der New York Times schreiben, ich habe aber keinen Rechtsanspruch darauf. Das entscheidet allein die Redaktion. Ähnlich wie eine Zeitung ist eine Universität ein kuratierter Ort. Professoren und Dozenten werden genau dafür bezahlt, dass sie entscheiden, womit die Studenten in ihren Seminaren konfrontiert werden sollen und womit nicht. Und in der Physik lädt man ja auch keine der vielen Wirrköpfe ein, die behaupten, die Relativitätstheorie sei eine Verschwörung.
ZEIT Campus: Aber in der Physik werden Fakten diskutiert. Der derzeitige Streit ist ein Streit der Ideale und Ansichten. Muss man den nicht führen?
Kehlmann: Man muss ihn vielleicht führen, aber er hat auch Grenzen. Es gibt keine rechtliche Notwendigkeit, Nazis an die Uni einzuladen. Das würde man in Deutschland auch nicht machen. Ich sehe da kein echtes Problem in Bezug auf die Meinungsfreiheit, Rechtsextreme können ja in den USA ihre Meinung vertreten, keiner hindert sie. Aber sie müssen es nicht an Universitäten tun.
ZEIT Campus: An der Columbia University wurden die Werke des römischen Dichters Ovid mit Triggerwarnungen versehen, das sind Hinweise, dass Textstellen Erinnerungen an traumatische Erlebnisse aufwühlen könnten. Sie haben in einem Ihrer Seminare Kriegsliteratur behandelt, haben Sie Ihren Studenten auch solche Hinweise gegeben?
Kehlmann: Das mit den Triggerwarnungen ist vielleicht manchmal ein bisschen albern, aber es ist kein echtes Problem. Es wird dadurch ja nicht davon abgeraten, Ovid oder Shakespeare zu lesen. Es wird nur vorher darauf hingewiesen, dass die Texte für zart besaitete Gemüter vielleicht ein wenig unangenehm sind. Ich habe mit den Studenten Ernst Jüngers Buch In Stahlgewittern gelesen und habe keine Triggerwarnung gegeben. Absolut nichts ist passiert. Niemand hat sich beklagt. Ich habe diese angebliche Hysterie nie erlebt.
ZEIT Campus: Sie wohnen nun seit mehreren Jahren in New York und waren dabei, als Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde. Was war das für ein Gefühl?
Kehlmann: Am Anfang dachte ich, dass wirklich alles möglich ist, dass die amerikanische Demokratie womöglich akut bedroht ist. Ich habe einen achtjährigen Sohn und bin für seine Sicherheit verantwortlich. In der Zeit musste ich viel an meinen Großvater denken.
ZEIT Campus: Warum?
Kehlmann: Er hat es geschafft, seine jüdische Familie durch das "Dritte Reich" zu bekommen. Ich habe darüber nachgedacht, wie sich das wohl anfühlen muss, wenn es plötzlich dunkel wird und sich das Land um einen in eine Diktatur verwandelt. Die Tatsache, dass ich eine Wohnung in Berlin habe und jederzeit zurückfliegen kann, das war mir seelisch schon ein Rettungsanker. Es liegt natürlich eine große historische Ironie darin, in New York zu sitzen und zu denken: "Wenigstens kann ich sofort nach Berlin fliehen." Die amerikanische Demokratie hat sich dann als recht widerstandsfähig erwiesen. Für bedroht halte ich sie aber weiterhin.
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