Martin Theis

Reporter, Redakteur, Tübingen

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EINE FÜR ALLE

Foto: Sebastian Berger

Warum nicht auch Firmen teilen? Ein Unternehmen aus Tübingen macht das möglich
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Der Wunsch, etwas neu und anders zu machen, entsteht oft aus Frustration. So auch bei David Jenaro, einem der Gründer von Your Company. „Ein Großteil der Wirtschaft ist im Zeitalter der Industrialisierung hängen geblieben", sagt der 35-Jährige im Büro eines Tübinger Coworking Spaces. Viele Unternehmen schafften es weder auf den digitalen Wandel zu reagieren noch den Bedürfnissen seiner Generation gerecht zu werden.

Jenaro, ursprünglich Mechatronik-Ingenieur, hat all das aus verschiedenen Perspektiven als Produktentwickler erlebt. In einem Biotech-Start-up hätten sich profitorientierte Investoren so lange nicht für technische Machbarkeit interessiert, bis das Unternehmen scheiterte. In einem Großkonzern habe man ihm verboten, kurze Hosen zu tragen. Dort habe er gut angezogene, aber mittelmäßig motivierte Mitarbeiter erlebt, die Benzinpumpen entwickelten - und ihre Lebenszeit einer dem Untergang geweihten Technik widmeten. So sah er das.


Zu einem anderen Job habe er täglich zwei Stunden pendeln müssen, obwohl er seine Arbeit von zu Hause aus hätte erledigen können. „Ich habe meine fünf Kinder jahrelang nur am Wochenende gesehen", sagt Jenaro. „Dabei müsste es mit dem heutigen Stand der Technik möglich sein, zu arbeiten, wie und wo man möchte." Außerdem wollte er am Gewinn der Unternehmen, in die er so viel Arbeit steckte, beteiligt sein.


Mit drei Gleichgesinnten rief er deshalb Your Company ins Leben: ein digitales Netz zur Produktentwicklung. Die Firma will es ihren Mitgliedern möglichst einfach machen, Neues zu entwickeln und auf den Markt zu bringen - und dabei flexibel zu arbeiten.


Man kann die Idee mit dem Prinzip von Carsharing vergleichen: Mehrere Nutzer teilen sich ein Auto und müssen sich nicht um Anschaffung oder Wartung kümmern. Sie können einfach einsteigen und losfahren. Bei Your Company teilen sich mehrere Nutzer eine Firma. Sie können sich einfach einloggen und losarbeiten. Companysharing sozusagen.


Konkret sieht das so aus: Ein Nutzer speist seine Idee für ein Produkt in das System ein und bekommt Profile von potenziellen Mitstreitern vorgeschlagen. Wenn sich eine Gruppe gefunden hat, gründet Your Company für sie eine GmbH. Außerdem bietet die Firma den Produktentwicklern eine Software-Infrastruktur, mit der sie Dinge wie Warenwirtschaft, Lagerhaltung und Finanzbuchhaltung organisieren können. Darüber hinaus erhalten sie Kontakte zu Zulieferern und Vertriebspartnern.


Die Nutzer des Service können sich im Grunde allen Projekten anschließen, die sie sinnvoll finden, und so oft und so intensiv daran mitarbeiten, wie sie wollen. Bislang tun das um die 25 Menschen. Geld bekommen sie erst, wenn ihre neu gegründete Firma mit dem Produkt Gewinn abwirft. Dann wird jeder im Verhältnis zum Wert seiner Mitarbeit beteiligt.


Die Teilhaber-Idee gibt es auch in anderen Start-ups. Das Besondere in diesem Fall ist, dass sich der Anteil des Einzelnen jederzeit verändern kann, je nachdem wie intensiv er mitarbeitet. Hierarchien gibt es keine, alle Nutzer von Your Company sollen gleichberechtigt arbeiten können.


Für potenzielle Gründer ist das Unternehmen eine interessante Alternative. „Sie müssen sich in der Anfangsphase normalerweise mit Themen wie Steuern, Gesellschaftsrecht und Personalakquise herumschlagen, von denen sie nichts verstehen", sagt der 37-jährige Volkswirt Stefan Schnei- der, aus dem Team von Your Company. „Das kostet viel Zeit und Geld. Wir können ihnen die Prozesse erleichtern, weil sich bei uns viele Unternehmen die gleiche Infrastruktur teilen."


Derzeit besteht das Your-Company-Team neben David Jenaro und Stefan Schneider noch aus einem zweiten Mechatronik-Ingenieur, einem Physiker, einem Juristen, einem Wirtschaftsingenieur und einer Wirtschaftswissenschaftlerin. Von den über Your Company gegründeten Unternehmen erhalten sie eine Gewinnbeteiligung, die allerdings nicht mehr als ein Mittel zum Zweck sein soll. „Wir verlangen nur genau so viel, wie wir brauchen, um unser System zu pflegen", sagt Schneider. Denn auch die Gründer von Your Company wollen in erster Linie an Produkten mitarbeiten und damit Geld verdienen.


Sechs Produkte haben sie bereits auf den Markt gebracht - vom Labortisch bis zum analogen Tonstudiogerät -, an einem Dutzend weiteren arbeiten sie gerade. Jenaro entwickelt zum Beispiel mit einem Nutzer aus der Bretagne eine Art Multifunktionswerkzeug für Gartenarbeit.


Der Tübinger Wirtschaftsethikprofessor Claus Dierksmeier ist von der Firma begeistert. „Es gibt viele Leute mit guten Ideen, die nie bis zur Umsetzung gelangen", sagt er. Die Firma ebne Innovationen den Weg und stelle sich durch ihre digitale Struktur von Anfang an global auf. Das Ziel der Gründer von Your Company ist es, weltweit tätig zu sein - auch deshalb suchen sie nun nach Investoren.


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