Martin Reischke

Freelance journalist // Periodista, Berlin

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Artikel

Der erfundene Staat

Riesenschwindel: Wie ein Schotte einst Siedler in die Karibik lockte

Für James Hastie beginnt das Jahr 1823 kalt und stürmisch. Der Holzarbeiter hat seinen gut bezahlten Job in Edinburgh aufgegeben, um mit seiner Frau und den drei Kindern ein neues Leben zu beginnen. Er wird künftig nicht mehr für einen schottischen Holzhändler arbeiten, sondern im Auftrag der Regierung von Poyais, einem fernen Land an der Karibikküste Zentralamerikas. Am Dienstag, den 14. Januar 1823, soll die „Kennersley Castle" in See stechen, mit fast 200 Emigranten an Bord und Proviant für ein ganzes Jahr.

Doch ein heftiger Sturm, der über die schottische Ostküste fegt, verhindert die pünktliche Abfahrt des Handelsschiffs. Die Wellen türmen sich meterhoch, an ein Auslaufen ist nicht zu denken. Aber was sind schon ein paar Tage Sturm in Europa, wenn auf der anderen Seite des Atlantiks eine blühende Zukunft in der Neuen Welt wartet?

Mit gut einer Woche Verspätung legt die „Kennersley Castle" schließlich ab und segelt entlang der Nordspitze der Britischen Inseln vorbei an den Hebriden hinaus auf den offenen Atlantik. Die Menschen an Bord sind keine verzweifelten Hasardeure, die vor der Armut fliehen, die der Beginn der industriellen Revolu­tion in Großbritannien mit sich gebracht hat. Es sind gelernte Arbeiter wie Hastie, aber auch Doktoren, Anwälte und Banker; sogar ein Theaterdirektor ist darunter. Sie alle werden dringend gebraucht für den Aufbau des jungen Staats Poyais.

Das Ziel ihrer Reise in der Bucht von Honduras kennen die Passagiere schon so genau, als wären sie längst selbst da gewesen. Als äußerst hilfreich hat sich dabei die Lektüre des Werks „Sketch of the Mosquito Shore" erwiesen, geschrieben von einem gewissen Thomas Strangeways. Das landeskundliche Handbuch beschreibt detailreich Flora und Fauna der Moskitoküste, aber auch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von Poyais - und porträtiert die Region in der Karibik zwischen dem heutigen Honduras und Nicaragua als tropischen Garten Eden, „voll von großen Flüssen, die sich über Hunderte von Meilen durch dieses gesunde und fruchtbare Land winden".

Die Wälder seien voller Mahagonibäume, Zedern und Kiefern und das gemäßigte Klima ideal für den Anbau von Kaffee, Kakao oder Zuckerrohr. Als vorteilhaft erscheint auch die Tatsache, dass billige einheimische Arbeitskräfte offenbar ausreichend zur Verfügung stehen. „Die Urbevölkerung arbeitet gern mit den Siedlern zusammen, vorzugsweise nicht gegen Geld, sondern Abgabe von Naturalien wie etwa Kleidung", heißt es im Handbuch.

Das Beste aber: Mit St. Joseph gebe es sogar schon eine Hauptstadt nach europäischer Art - mit gepflasterten Straßen und einer Kathedrale, Parlament und Nationalbank, sogar ein stattliches Theater sei schon errichtet. Eine Abbildung im Handbuch zeigt den Hafen des Lands als tropisches Paradies. In der palmengesäumten Mündung eines Flusses dümpeln Segelboote, dahinter erhebt sich majestätisch der mächtige Sugar Loaf Mountain. Es verwundert daher nicht, dass die Stimmung an Bord entsprechend euphorisch ist.

Der Mann, dem die Passagiere der „Kennersley Castle" ihre Reise zu verdanken haben, geht derweil in London seinen Amtsgeschäften nach. Gregor MacGregor, ein groß gewachsener Schotte mit hellen, blauen Augen, eleganter Kleidung und der aufrechten Haltung eines Militärs, ist im Sommer 1821 eigens aus Lateiname­rika nach England gereist, um dort für den Aufbau seines Staats zu werben. Ein Jahr zuvor, so erzählt es MacGregor, habe ihm George Frederic Augustus I., der König der zentral­amerikanischen Moskitoküste, 12 500 Quadratmeilen überlassen, um das Gebiet zu entwickeln und zu kultivieren. Ihn selbst habe König George Frederic persönlich zum „Cazique von Poyais" - eine Art Herrscher oder Häuptling - ernannt, um fortan die Geschicke des Lands in die Hand zu nehmen.

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 159. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.
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