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Ausgesetzt

Seit drei Jahren, immer im Spätsommer, setzt eine Frau im Nordosten Berlins Neugeborene aus. Emma, Lilo und Hanna. Der Fall stellt die Ermittler vor ein ungeheures Rätsel. Und bald ist wieder Spätsommer.


Martin Nejezchleba und Alexander Dinger


Heike Krieger ist eine Frau wie eine Naturgewalt. Sie lacht wie ein Gewitter, berlinert wie eine Sturzflut. Aber an jenem Sonnabendmorgen vor zwei Jahren, als sie die schmale Holztreppe in ihrem Einfamilienhaus herunter ging und das Baby auf ihrem Fußabstreifer sah, da wusste Heike Krieger einmal nicht, was sie sagen sollte. Auch nicht, was sie machen sollte.


In der Nacht war die Temperatur auf 13 Grad gesunken. Kriegers Sohn, damals 19 Jahre alt, war gegen 5.30 Uhr nach Hause gekommen. Da war der Fußabstreifer noch leer.

Weniger als eine Stunde später stand Kriegers Lebensgefährte auf. Sie nennt ihn ihr Männle. Er ist an die zwei Meter groß und Schichtarbeiter. Sein Rhythmus spielte mal wieder verrückt und so war es gegen 6.30 Uhr, als er an seinen neuen SUV dachte, der vorne in der Einfahrt stand. War er auch richtig abgeschlossen? Schließlich stand das Tor immer offen. Wenn uns jemand etwas klauen will, so dachte das Paar, dann wird ihn der grüne Metallzaun nicht abhalten. Dass ihnen jemand etwas bringen würde, damit haben sie nicht gerechnet.


Der Mann fand das Baby auf dem Betontreppchen vor der Haustür, weckte Heike Krieger, sie folgte ihm herunter zum Eingang, wählte die 110. „Ich wollte es nicht anfassen", sagt Krieger heute. Sie holte eine Decke, wickelte es ein, sah, dass das Blut auf dem Köpfchen noch feucht war. Erst legte Krieger es auf ihre orangefarbene Ledercouch, dann nahm sie es auf den Arm. Es machte ein winziges „mm, mmm." Krieger sah es an, sagte: „Zu essen hab ick nüscht." Die Kinderärzte im Helios Klinikum Berlin-Buch gaben dem Mädchen einen Namen.


Lilo, geboren am 6. August 2016, 3260 Gramm, 49 Zentimeter.


Was zu diesem Zeitpunkt keiner im Krankenhaus wissen konnte: Es gab eine Verbindung zu einem anderen Findelkind. Das wurde von einem Klinikmitarbeiter knapp ein Jahr zuvor in einem Bushäuschen vor der Helios-Klinik in Buch gefunden.


Emma, geboren am 2. September 2015, 2365 Gramm, 48,5 Zentimeter.


Und zu einem weiteren Baby, das ein Jahr später in Schwanebeck ausgesetzt werden wird, ein Dorf, wenige Hundert Meter von der Klinik entfernt, gleich hinter der Stadtgrenze in Brandenburg.


Hanna, geboren am 27. August 2017. 3050 Gramm, 49,5 Zentimeter.


Emma, Lilo und Hanna. Der erste Säugling hatte einen blau-weiß gestreiften Strampler an und war auf ein Kissen gebettet. Das zweite Baby lag in einem blutverschmierten kleinen Handtuch vor einer Türschwelle. Das dritte in einem blutverschmierten kleinen Handtuch in einer Kieseinfahrt. Emma war warm, Lilo unterkühlt, Hanna stark unterkühlt.


Jeden Sommer ein Baby. Die Ermittler erkennen darin ein Muster. Bald könnte es wieder so weit sein.


Rainer Schwarz sagt: „Ich nehme eine zunehmende Verwahrlosung bei den abgelegten Babys wahr". Schwarz ist 40 Jahre alt, Oberkommissar beim Landeskriminalamt Berlin, Dezernat 12, zuständig für Misshandlung und Vernachlässigung von Schutzbefohlenen. „Wir wollen verhindern, dass wir das nächste Baby tot auffinden." Aber die Spuren sind rar. Es ist einer der rätselhaftesten Kriminalfälle Berlins. Und einer der aufsehenerregendsten.


Mitte Mai lädt die Polizei zum Gespräch ins Polizeipräsidium, Platz der Luftbrücke, erster Stock. An die 50 Journalisten, Kameramänner, Tontechniker, sie alle haben sich in den Medienraum gezwängt. Der ist kaum größer als ein Klassenzimmer, die Luft stickig. In den letzten Wochen haben die Presseanfragen die Postfächer der Beamten verstopft. Nur, es gab nichts Neues zu verkünden.


Und so erzählt Schwarz noch einmal, was er schon so oft erzählt hat. Er spricht von der entscheidenden Wendung, die so unwahrscheinlich klang. Der Verdacht stand schon länger im Raum. Aber so etwas hat es noch nicht gegeben in Deutschland. Die drei Mädchen sind Schwestern. Das hat die DNA-Analyse ergeben. Sie haben die gleiche Mutter und vermutlich denselben Vater. Warum setzt eine Mutter jedes Jahr, kurz nach der Entbindung, ihr neugeborenes Mädchen aus? Zwingt sie jemand dazu? Wer ist diese Frau?


Ermittlergruppen in Berlin und Brandenburg sind mit diesen Fragen beschäftigt. Seit drei Jahren wird an dem Fall gearbeitet. Dabei schien man der Antwort schon am Anfang so nahe. Eine Überwachungskamera hat die erste Aussetzung gefilmt. Die Polizei will das Video nicht veröffentlichen, es ist auch kaum etwas zu erkennen, die Bilder zu dunkel, zu körnig. Die Bushaltestelle ist winzig klein am oberen Rand der dreiminütigen Aufnahme zu sehen. So beschreibt es eine Beamtin, die sich das Video wieder und wieder angesehen hat.


2. September 2015. Vor knapp 45 Minuten ist die Sonne über Berlin-Buch untergegangen. Ein Schatten mit einem Bündel in der Hand läuft über einen Parkplatz, dann über den Lindberger Weg, die Straße direkt vor dem Nebeneingang der Helios-Klinik. Es ist eine Frau, darin stimmen Zeugenaussagen und die Analyse der Aufnahme überein, sie ist zwischen 17 und 25 Jahren alt, schlank, trägt schulterlange, dunkle Haare, dunkle Hosen, eine dunkle, hüftlange Jacke. An der Haltestelle bleibt sie stehen, blickt auf den Fahrplan. Bald soll ein Bus kommen. Unter dem Plexiglasdach blickt sie auf das Baby und wiegt es eine Weile auf dem Arm. Dann legt sie es auf den Boden, geht, dreht sich noch einmal um, dann rennt sie. Es ist 21.47 Uhr.


Wenige Minuten später läuft ein Klinikangestellter auf dem Weg in den Feierabend an der Bushaltestelle vorbei, findet das Baby und trägt es in die Klinik. In den ersten Ausscheidungen von Emma, im sogenannten Kindspech, findet sich ein weiterer Anhaltspunkt. Rückstände eines Medikaments namens Metoprolol. Das sind rezeptpflichtige Betablocker und helfen gegen vieles, etwa gegen Bluthochdruck - oder Angstzustände.


Lange werden nicht viel mehr Spuren hinzukommen. Es gibt kaum Hinweise aus der Bevölkerung - und alle führen ins Leere. Keiner kennt eine junge Frau, die schwanger war und jetzt kein Kind hat. Ärzte, die das Medikament verschrieben haben könnten, verweisen auf die Schweigepflicht.


Die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind. Kaum ein Gefühl ist ursprünglicher, bedingungsloser, archaischer. Dass eine Mutter dieses emotionale Band zum Neugeborenen zerreißt, es schutzlos dem Zufall einer Sommernacht überlässt, das klingt ungeheuerlich. Die Frau befindet sich in einer erheblichen Notsituation, zu diesem Schluss kommen Psychologen, Kriminologen und Ermittler. Sie alle suchen nach einer Erklärung. Auch Heike Krieger, die Finderin des zweiten Mädchens, hat das getan.


Lilo, das Baby, das Krieger nicht berühren wollte, es war nur wenige Minuten bei ihr, hat einmal gewimmert, und hat doch ihr Leben aufgewühlt. Die Spürhunde, das DRK, die Spurensicherung, Kriminalpolizei, LKA, sie fegten durch den ruhigen Sonnabend in der Einfamilienhaussiedlung in Blankenburg, dort, wo die Luft schon nach Brandenburg riecht, die Autobahn etwas lauter rauscht als die Linden, wo das Kopfsteinpflaster Wellen schlägt.


Vielleicht war sie von dem Fund derart berührt, weil sie womöglich ein totes Baby vor der Haustür gefunden hätte, wenn dieser Sonnabend so wie jeder andere begonnen hätte: Frühestens um zehn Uhr aufstehen, runter in die Küche, Kaffee, raus auf die Terrasse. An der Eingangstür kommen sie manchmal erst nachmittags vorbei. Und Neugeborene kühlen sehr schnell aus, dann besteht Lebensgefahr.


Bis in den späten Nachmittag wurden sie befragt, sie mussten mit den Beamten die Straße entlang laufen, auf der Suche nach was auch immer. Kriegers Sohn zog sich die Kapuze über den Kopf. „So peinlich, eh." Langsam schlich sich ein Verdacht in die Familie von Heike Krieger ein.


Das LKA und ihr Männle, so erzählt es Krieger, sie haben sie verrückt gemacht. Hat ihr Sohn etwas damit zu tun? Man wisse ja nie. Seit einem Jahr hatte der Junge keine feste Freundin. Wenn der nur mal was mit einer hatte, nicht verhütet hat, weeßte ja alles nicht, man glaubt ja dann alles. Im Wäschekorb fand Heike Krieger keine blutigen Sachen. Der Sohn habe so schnell wie möglich einen DNA-Test gewollt.


Ein paar Tage später wurden sie ins LKA beordert, irgendwo tief im Westen, so sagt es Heike Krieger. Erst musste ihr Lebensgefährte rein, wurde drei Stunden lang befragt. „Siehste", habe der Sohn gesagt. Ich habe nichts damit zu tun, meinte er wohl. Von dem DNA-Test und all dem Verdacht gegen den Sohn haben sie seitdem nichts mehr gehört.


Auch Lilo hat ein Indiz in diese Geschichte gebracht: einen Grashalm. Er klemmte in der Halsfalte des Babys. Wurde Lilo im Waldstück an der Autobahn, ein paar Meter von Heike Kriegers Haus entbunden? Die 49-Jährige ist Erzieherin an einer Grundschule. Vielleicht eine ehemalige Praktikantin? Eine Schülerin? Wollte die Mutter, dass Lilo zu Heike Krieger kommt?


Bei Hanna jedenfalls wollte sie das nicht. Wer sich nach Sonnenuntergang jener Siedlung nähert, in der das dritte Mädchen abgelegt wurde, der fährt zunächst durch ein dunkles Meer von Weizenfeldern, dann sieht er die Außenposten des Wohngebiets leuchten, Parkplatzlaternen und Leuchtreklamen. Netto, Rewe, dm. Wer dann nach rechts in die Siedlung einbiegt, der wird die ersten zwei Häuser dunkel vorfinden. Die Zahnarztpraxis rechts und die Tierarztpraxis links, sie waren am 27. August 2017, in jener Sonntagnacht, als Hanna ausgesetzt wurde, bereits verlassen. Dahinter ein weißes Einfamilienhaus, das geschwungene Holztor offen, im Haus brannte Licht.


Es war 21.50 Uhr, als eine Bewohnerin des Hauses noch einmal mit dem Telefon am Ohr die Steinstufen herunter ging, auf das Kies in der Einfahrt trat, das Neugeborene fand. Auch Hanna wurde ins Klinikum in Buch gefahren, auch hier war die Nabelschnur nicht fachgerecht durchtrennt. Alle drei Geburten fanden ohne Ärzte, ohne Hebammen statt. Bald nach dem dritten Fund stand fest, dass die drei Mädchen Schwestern sind.


Und eine weitere Parallele war jetzt deutlich zu erkennen: die Babys wurden so abgelegt, dass sie gefunden werden. Erst die Bushaltestelle vor der Klinik, dann zwei Einfamilienhäuser, jedesmal gab es Anzeichen, dass die Bewohner wach sind. Die Frau will, so wirkt es, dass ihre Babys leben. Aber von Jahr zu Jahr, von Mädchen zu Mädchen, wurden sie liebloser abgelegt, stärker unterkühlt aufgefunden, entrannen die Neugeborenen knapper ihrem Tod.


Rechtlich ist das Aussetzen eines Säuglings eine Straftat. Paragraf 221, Strafgesetzbuch: Wer in Kauf nimmt, dass sein Säugling stirbt oder schwer verletzt wird, dem drohen Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. In Brandenburg ermittelt, im Gegensatz zu Berlin, die Mordkommission. Denn Hanna war derart unterkühlt, ihr Fund so zufällig, sie hätte auch sterben können. Der Fall habe oberste Priorität, sagt Kriminalhauptkommissar Stefan Möhwald.


Je näher der August rückt, desto größer die Anspannung bei den Ermittlern. Auch in Brandenburg rechnen sie damit, dass in den kommenden Wochen wieder ein Baby ausgesetzt wird. Auch sie hadern damit, noch einmal an die Öffentlichkeit zu gehen. Vielleicht bemerkt diesmal ein Nachbar eine schwangere Frau, die irgendwann weder Babybauch noch Kind hat. Vielleicht hört die Mutter die Appelle der Polizei: „Bitte geben Sie das Kind in einer Babyklappe ab", sagt Möhwald. Aber es gibt keine neuen Spuren, was soll die Polizei der Öffentlichkeit sagen? Und: Man will die Frau nicht in Bedrängnis bringen, sie könnte sich verfolgt fühlen, unüberlegt handeln.


Entsprechend vorsichtig ist Stefan Möhwald, wenn es bei einem Gespräch Mitte Juli darum geht, den Ermittlungsstand zu beurteilen. Was wissen wir über die Mutter der drei Babys, Herr Kriminalhauptkommissar?


Die Polizei geht davon aus, dass die Frau in der Nähe der Fundorte lebt. Aber die liegen weit auseinander, zwischen Fundort zwei und Fundort drei liegen sechs Kilometer. Die Babys wurden wohl mit einem Auto dorthin gefahren. Den Wohnort der Mutter vermuten die Ermittler im Norden Pankows, in Panketal, die Gemeinde zu der auch der zweite Fundort Schwanebeck zählt, oder in Ahrensfelde. Sie suchen noch immer nach der Frau aus dem Video, eine junge Frau mitteleuropäischen Aussehens.


Über den Grund, warum die Mutter nicht verhütet, können die Ermittler nur spekulieren. Ist sie streng religiös? Wird sie zum Sex gezwungen? Und: Akzeptiert ihr Umfeld nur männlichen Nachwuchs? Bei den Berliner Ermittlern fällt in den Gesprächen der Name Josef Fritzl, in Brandenburg der von Natascha Kampusch.


Das sind Namen aus zwei der verstörendsten Kriminalfälle der europäischen Nachkriegsgeschichte. Kampusch wurde entführt und in einem Kellerverlies misshandelt. Fritzl vergewaltigte über 24 Jahre seine eigene Tochter, zeugte sieben Kinder mit ihr. Wird irgendwo in den beschaulichen Einfamilienhaussiedlungen oder in einer Gartenlaube im Nordosten Berlins eine Frau gefangen gehalten? Wird sie immer wieder aufs Neue von ihrem Peiniger schwanger?


Allerdings ist da Lilos Grashalm. Auch andere Spuren belegen: Das erste Kind, Emma, wurde in einem Haus oder einer Wohnung geboren, die zwei jüngeren Kinder draußen. Lebt die Mutter also in Gefangenschaft, so konnte sie diese mindestens zweimal verlassen. Und: Die Babys kommen immer im August oder September auf die Welt, die Frau wird also immer gegen Weihnachten oder um den Jahreswechsel schwanger. Lebt sie vielleicht gar nicht mit dem Vater zusammen? Kommt es nur einmal im Jahr zum Geschlechtsverkehr?

Hanna ist jetzt elf Monate alt, Lilo hat in acht Tagen ihren zweiten Geburtstag, Emma wird bald drei. Sie leben bei Adoptiveltern. Und werden früher oder später fragen: Wer sind unsere Eltern und warum sollten wir nicht bei ihnen bleiben?


Die Ermittler hoffen, die Mutter zu finden, bevor die Mädchen diese Fragen stellen. Die Frau leidet, darin sind sich Kriminologen oder Psychologen einig. Ihre Situation verschlechtert sich, sie handelt zunehmend ungeplant. Und jeden Sommer kämpft sie womöglich aufs Neue mit sich. „Das ist keine Rabenmutter", sagt Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie an der Charité. An das Aussetzen der eigenen Neugeborenen könne sich eine Mutter nicht gewöhnen, jedes Mal würde sie zerrieben, zwischen der starken Bindung zum Kind und den Zwängen, die sie zur Aussetzung treiben. „Die Polizei muss diese Frau finden", sagt Heuser. Nicht um sie zu bestrafen. Um ihr zu helfen.


Hanna lächelt. Sie hat sich in die silberne Rettungsfolie gekuschelt, ein rotes Handtuch bedeckt sie, ihre linke Hand berührt ihr Kinn. Das Foto ist in der Nacht entstanden, in der das Mädchen ausgesetzt wurde. Jetzt ziert das Bild das Deckblatt eines 28-seitigen Berichts, der die Polizeiermittlungen im Fall der drei Schwestern auf den Kopf stellen könnte.


Katrin Brandt hat ihn zusammen mit drei weiteren Fallanalytikern erstellt. Brandt ist eine Frau der Fakten und Wahrscheinlichkeiten. In drei Monaten hat sie alle objektiven Spuren neu bewertet, sie ist die Tatorte noch mal abgegangen, hat drei Leitz-Ordner voller Befragungsprotokolle und Beweisaufnahmen zu einem möglichen Profil der Kindsmutter destilliert. Sie blickt auf das Deckblatt mit dem Babyfoto und sagt: „Die Mäuse haben einfach nur Pech gehabt."


Wieder war es die erste Kindsaussetzung, in der Bushaltestelle vor drei Jahren, bei der Brandt und ihre Kollegen auf die entscheidende Spur gestoßen sind. Oder besser: auf eine entscheidende Spur sind sie dort nicht gestoßen.


Im Gegensatz zu den zwei späteren Findelkindern fehlten auf dem Strampler und dem Kissen, auf dem das erste Baby abgelegt wurde, DNA-Spuren der Mutter. Dafür gab es dort andere Spuren. Die Analyse ergab: Sie stammen von einer nahen Verwandten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war jene junge Frau, die nach Sonnenuntergang mit Emma zur Bushaltestelle am Klinikum schlich, nicht die Mutter. Womöglich war es eine ältere Schwester der drei Mädchen.


Vermutlich gibt es im Haushalt der Mutter sogar noch ein weiteres Kind. Denn Emma hatte eine Windel, die viel zu groß für ein Neugeborenes war. Ihr blauer Strampler war abgetragen, stammt aus einem Otto-Versand-Katalog aus dem Jahr 2005.


Hat die Polizei also drei Jahre lang nach der falschen Frau gesucht? Der Bericht von Katrin Brandt legt das nahe. Das neue Profil: Eine Frau zwischen 33 und 48 Jahren, die in einer familiären Beziehung lebt, über ein Auto verfügt und womöglich bereits ein oder zwei Kinder hat. Auch Brandt hofft auf eine baldige Aufklärung. Aber da ist die Sache mit den Wahrscheinlichkeiten. Die legen etwas anderes nahe: „In der Vergangenheit blieb ein großer Teil solcher Straftaten unaufgeklärt", sagt sie.


Tatsachen haben auch Heike Krieger geholfen, der Frau, die vor zwei Jahren Lilo auf ihrem Fußabstreifer fand. Die Erkenntnis, dass die Mädchen Schwestern sind, sie hat ihr die Angst genommen, dass das Findelkind etwas mit ihrer Familie zu tun haben könnte. Heike Krieger setzt sich in diesen heißen Sommertagen immer mal wieder an ihren Rechner, tippt „Ausgesetzte Babys Berlin Blankenburg" bei Google ein. Sie wartet auf Neuigkeiten. „Das habe ich schon drin", sagt sie.


Das grüne Metalltor zu ihrer Hauseinfahrt unter der großen Linde in Blankenburg, es bleibt jetzt verschlossen.

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