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Tschechiens ungelöstes Problem: Tödlicher Methanol-Mix

Als es abends an seiner Tür klopfte, hatte er bereits alles hinter sich: Bauchkrämpfe, Erbrechen, Erblindung, Panik. Kein Lebenszeichen drang aus der Wohnung des 25-Jährigen im tschechischen Opava. Besorgte Verwandte riefen die Polizei. Die konnte später nur noch den Leichnam des jungen Mannes aus der Mehrfamilienwohnung tragen. Tschechien beklagte ein weiteres Methanol-Opfer.


Das Land kämpft weiter mit den Folgen eines Alkoholpanscher-Skandals, der im Herbst 2012 europaweit Schlagzeilen machte. Damals zählte man 26 Tote, doch die Aufregung legte sich, das Problem schien gelöst. Heute geht man von bis zu 44 Toten aus.


Vaclav Kucera wirkt müde. Der Vize-Präsident der tschechischen Polizei leitet die Spezialeinheit "Metyl". Als er den Posten übernahm, war das Land im Ausnahmezustand. Mit hochgiftigem Methanol gepanschte Spirituosen waren im Umlauf. Fast täglich starben Menschen. Gesundheitsminister Heger hatte ein Schankverbot für Hochprozentiges verhängt. Polen, die Slowakei und Russland stoppten die Einfuhr tschechischer Spirituosen.


Ermittlungen gegen rund 70 Verdächtige

Zwölf Tage nach Gründung der Spezialeinheit um Kučera konnte der schnauzbärtige Beamte der Presse einen entscheidenden Erfolg vermelden. Man sei zur Spitze des illegalen Vertriebssystems vorgedrungen, sagte der Polizeivizepräsident Ende September 2012. Man fand sie in Opava im Nordosten der Republik. In der Region mit den meisten Methanolvergiftungen. In der Stadt, aus der auch das vorerst letzte Todesopfer stammt.

Auf einem alten Fabrikgelände waren Tausende Liter einer giftigen Mischung gelagert, die offiziell als Frostschutzmittel für Scheibenwischanlagen diente. In Garagen im ganzen Land wurde sie mit Wasser und Aromen vermischt und abgefüllt. Die Flaschen trugen Aufschriften wie "Albanischer Wacholder" oder "Wodka Lunar Extra mild". Den beiden Hauptangeklagten drohen bis zu 20 Jahre Haft. Insgesamt wird gegen rund 70 Verdächtige ermittelt.


"Das Team 'Metyl' ist mit seiner Arbeit bei weitem nicht am Ende", sagte Kucera damals. Nun wartete Sisyphusarbeit: Verhöre, Nachspüren von Lieferwegen, falsche Fährten. "Die Ergebnisse entsprechen nicht den Erwartungen", sagt Kucera heute. Ende September hieß es, 15.000 Liter des Giftschnapses seien in Umlauf geraten. Von rund 5000 Litern fehlte damals jede Spur. Heute will Kucera keine konkreten Zahlen mehr nennen. Er muss zugeben, dass manche Vergiftungen auch aus Quellen außerhalb des aufgedeckten Methanol-Kartells stammen könnten.


EU-Entscheidung begünstigte die Panscherei

Gepanscht wird in Tschechien seit vielen Jahren. "Das Problem kam sofort nach der Wende, mit der Einführung der Verbrauchssteuer", sagt Petr Pavlik, Vorsitzender der Union der Importeure und Hersteller von Spirituosen. Eine Steuererhöhung habe das schmutzige Geschäft 2010 zur Blüte getrieben. Ein gepanschter - und daher nicht versteuerter - Liter bringt etwa vier Euro Gewinn. Und die Panscher konnten lange ungestört ihrem Geschäft nachgehen: Bevor deren Geldgier Menschenleben kostete, ging keiner ernsthaft gegen den Schwarzmarkt vor.


Am Werk sind waghalsige Hobby-Chemiker: Industriealkohol, der keiner Besteuerung unterliegt und schrecklich bitter schmeckt, wird genießbar gemacht. Mit dem ätzenden Desinfektionsmittel Savo etwa. In tschechischen Haushalten bleicht man damit Wäsche und schrubbt Küchenböden. Das Lösungsmittel Methanol konnte laut Pavlik auch wegen einer EU-Entscheidung seinen Weg in die Schnapsflaschen finden. Vor rund zwei Jahren habe sich die Gefahrenstoffklassifizierung geändert. Methanol ist seitdem frei zugänglich und um die Hälfte günstiger als Ethanol.


Sergey Zakharov beobachtet das Geschehen aus sicherer Entfernung. Er leitet das Toxikologische Informationszentrum in Prag, koordiniert die Versorgung mit Gegengift im Land. Bei der Mischung aus Opava handele es sich um eine Kombination von Methanol und Ethanol, von Gift und Gegengift. Erst nachdem das Ethanol abgebaut wurde, beginnt das Methanol zu wirken.


Giftschnaps ist in den Haushalten

"Die Symptome treten manchmal erst 48 Stunden nach dem Konsum ein", erklärt Zakharov. Nachdem das Augenlicht erloschen ist, folgen Atemnot, Bewusstlosigkeit, Herzstillstand. Um dem vorzubeugen, wird purer Alkohol verabreicht. Rund zwei Drittel der über 120 Methanol-Vergifteten konnten vor den schlimmsten Folgen bewahrt werden.


Dass weitere Menschen sterben, überrascht Zakharov nicht. Der Giftschnaps ist in den Haushalten, neue Opfer eine Frage der Zeit. Das Staatliche Hygieneamt fand kürzlich erneut vergiftete Spirituosen. Diese hatten Bürger nach einem Aufruf eingeschickt. Zwölf Prozent waren belastet - mit Methanol oder Isopropanol, ein toxisches Nebenprodukt des Panschens.


Handlungsbedarf sehen Experten vor allem bei den Gesetzgebern. Nachdem unmittelbar nach der Prohibition sogenannte Geburtsurkunden für Spirituosen eingeführt wurden, verhandelt das Parlament nun über spezielle Genehmigungen für den Verkauf von Alkohol. Verbandsvertreter kritisieren jedoch, die Novelle sei sinnlos. Handelsminister Kuba gibt zu, dass sie lediglich einen Überblick darüber verschaffe, wo im Land Alkohol über den Ladentisch geht. Das Finanzministerium verspricht schärfere Kontrollen.


Fest steht: Weitere Menschen werden Methanol trinken. Manche werden sterben. Vor kurzem wurde im Nordosten Tschechiens wieder ein Frau ins Krankenhaus eingeliefert. Diagnose: Methanolvergiftung. Ob das Gegengift anschlägt, ist ungewiss.

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