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Minijobs: "Wir haben keine Gewerkschaft!"

Minijobs sind gut, um sich was dazuzuverdienen. Zum Problem werden sie, wenn man von ihnen abhängig wird. In Unterfranken ist das häufiger als vermutet. Zwei Beispiele.

Die Fenster der Fachwerkhäuser dunkel, die Gassen leer. Wenn Frank nachts um vier mit ein paar Packen Zeitschriften im Wagen durch seine Stadt läuft, von einem Briefkasten zum nächsten,  dann erst fühlt er sich richtig wohl. "Dann habe ich meine eigene Sprache. Ich kann ich sein", sagt er.


40 Jahre lang war er Kaufmann, hat Haushaltsartikel ge- und verkauft. In den Firmen, in denen er arbeitete, lief es manchmal besser, manchmal schlechter – letzteres vor allem zum Ende hin.


Mit 60 Jahren war er durch: erst Reha, dann Frühverrentung und damit Rentenabzüge. Weil die Mieten immer weiter stiegen, wurde das Geld knapp. Nun also Zeitschriften austragen – und das mit über 70 Jahren. Frank sagt: "Ich liebe meinen Job, aber ich brauche ihn auch."


Wie viele Unterfranken einen 450-Euro-Job haben

Neben Frank, der eigentlich anders heißt, arbeiten in Unterfranken etwa 134 000 Menschen in sogenannten Minijobs. Das sind zehn Prozent der Gesamtbevölkerung hier. Das monatliche Gehalt darf hier nicht höher als 450 Euro sein. Dafür müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht in die Sozialversicherungen einzahlen.

Häufig ist das eine Win-Win-Situation. Doch sollte man allzu abhängig von seinem Nebenverdienst sein, wird's problematisch – für Einzelne wie Frank und für die gesamte Gesellschaft.


Für Kreisgeschäftsführerin Christiane Straub vom Sozialverband VdK in Würzburg ist ein Mini-Job vor allem ein Symptom dafür, dass in der Gesellschaft etwas nicht ganz passt. Allein sie kennt Dutzende Fälle wie den von Frank. Fälle, in denen sich Menschen mit 450-Euro-Jobs gerade so über Wasser halten. "Wir sind die, die schauen, dass die ökonomisch Schwachen nicht vergessen werden", sagt Straub.


Altersarmut und Mini-Jobs: Wie das zusammenhängt

Betrachtet man ganz Unterfranken, dann arbeiten laut der Agentur für Arbeit mehr als 20 000 Menschen über 65 Jahre in einem Minijob. Wie viele aus Spaß und wie viele davon abhängig sind, lässt sich nicht genau sagen. Straub vermittelt den Eindruck, dass die Abhängigkeit überwiegt. "Die durchschnittliche Rente liegt aktuell bei Männern bei 1209 Euro und bei Frauen bei 623 Euro. Wenn man dann noch zur Miete wohnt, am Land ein Auto bezahlen muss, dann bleibt kaum etwas übrig."


Frank nippt an seinem Cappuccino. Koffeinfrei, er hat heute Urlaub. "Manchmal frage ich mich, ob ich die letzten Jahre trotzdem einfach hätte durchziehen sollen", sagt er. Dann könnte er morgens später aufstehen und zum Kaffeekränzchen gehen, ohne vorher eine Tour machen zu müssen. Alleine mit seiner Rente komme er zwar gerade so rum. Der Cappuccino im Kaffeekränzchen aber ist schon das bisschen Luxus zu viel.


Dafür geht er bei Wind und Wetter raus. Dafür ärgert er sich mit "Sesselfurzern" herum, wie er sagt. Wenn seinen Kollegen, auch vorwiegend Rentner, und ihm mal wieder Routen und Zeiten geändert werden. Meist geht das einher mit weniger Geld. Richtig dagegen wehren, so fühlt es Frank, könne er sich nicht: "Wir Minijobber haben keine Gewerkschaft, keine Lobby und keine Verhandlungsmacht."


Warum Minijobs gut sein können

Im Gegensatz zu Frank hat Sophie ihre Karriere noch vor sich. Die 24-Jährige macht gerade eine Schreinerlehre. Zwar hat sie schon einen Bachelor-Abschluss in Lebensmittelchemie. Aber wie das mit dem Studieren so ist: Am Anfang ist es spannend, mittendrin wird es gleichgültig und am Ende ist man wieder auf Sinnsuche. Ausgleich fürs Lernen und Rumsitzen ist für Sophie deshalb schon immer gewesen: der 450-Euro-Job.


Mit 16 Jahren sucht sie sich direkt den ersten. Seit drei Jahren kellnert sie nun in einem Würzburger Café, jetzt parallel zur Lehre. Sie sei eigentlich nicht auf das Extra-Geld angewiesen. "Aber ich finde es wichtig, dass ich es mir verdiene, wenn ich etwas kaufen will." Dazu kommt: Kellnern mache einfach Spaß.

"Das Soziale, die Kollegen. Mein Freund arbeitet auch da. Wenn ich freitags aus der Berufsschule komme, freue ich mich aufs Arbeiten." Das Finanzielle hatte ihr während der Lockdowns nicht gefehlt - "aber dieser Ausgleich, das Soziale schon sehr".

Albert: "Minijobs sind extrem krisenanfällig"

"Ein Minijob ist sinnvoll, sobald man nicht davon abhängig ist", sagt Wolfgang Albert. Der Pressesprecher der Würzburger Agentur für Arbeit empfiehlt, es sich genau zu überlegen, ob man einen Mini-Job annimmt. Denn gerade die vergangenen anderthalb Jahre hätten noch einmal verdeutlicht, wie krisenanfällig diese seien.

Arbeitslosengeld, Kurzarbeit: All das gibt es nicht für 450-Euro-Kräfte. Werden sie nicht gebraucht, werden sie einfach entlassen. Darauf sei diese Beschäftigung ja auch ausgerichtet, so Albert.


Das unterstützen auch die Zahlen. Eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt: Zwischen Juni 2019 und Juni 2020 sank außer in den Haßbergen in allen unterfränkischen Landkreisen der Anteil von Minijobbern an den Gesamtbeschäftigten. 


Leichterer Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt?

Ein gern genanntes Argument für den Minijob war immer auch der "leichtere" Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Quasi mal unverbindlich die Zehen in den (Arbeitsmarkt-)Pool halten und austesten, ob das Wasser zum Schwimmen taugt. Ideal für Väter und (vor allem immer noch) Mütter nach der Kindererziehung, für Geflüchtete, Studierende, Schülerinnen und Schüler. Oft seien es aber einfach nur Teilzeitkräfte, die keine Vollzeitstelle finden, sagt Albert.


Das mit dem sprichwörtlichen Schwimmenlernen kann funktionieren, oft genug bleibt es aber beim Zehen-in-den-Pool-halten.  Albert sagt: "Minijobs werden häufig zur Falle."

Das liege daran, dass sie in der Regel niedrige Qualifikationsanforderungen haben. Dadurch ebenfalls niedrig: Lohn, Qualifikationsmöglichkeiten und Aufstiegsanreize. Die Verweilrate im Niedriglohnbereich sei dementsprechend hoch, sagt Albert, ebenso die Armutsgefährdungsquote. Die Ursache und gleichzeitig die Folge überrascht deshalb kaum: Ein Viertel aller Minijobber in Deutschland lebt in Haushalten unter der Armutsgrenze. Unterfranken ist da voll im Trend. 


Verteilung von 450-Euro-Jobs in Unterfranken

Dabei würde, laut Albert, einer von drei Minijobbenden gerne mehr arbeiten. Und viele seien unter ihrem Qualifikationsniveau beschäftigt. "Hier liegt viel wirtschaftliches Potenzial brach." Trotzdem schafften sie, laut Albert, häufig nicht den Sprung in eine sozialversicherungspflichtige Stelle. Warum?


Die Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt zum einen, dass in den meisten unterfränkischen Landkreisen etwa jeder sechste Arbeitnehmer höchstens 450 Euro verdient. Zum anderen zeigt sie die regionale Verteilung von Minijobs. Den höchsten Anteil von Minijobbenden an allen Beschäftigten hat der Landkreis Haßberge mit 16,4 Prozent. Positives Schlusslicht ist Schweinfurt mit einem Anteil von 6,9 Prozent.


Die starken Unterschiede bei der regionalen Verteilung liegen laut Albert an der Wirtschaftsstruktur: je industriestärker der Landkreis, desto niedriger die Minijob-Quote. Großbetriebe könnten und müssten einfach viel länger planen als kleine - zum Beispiel in der Gastronomie - und binden dafür auch ihre Mitarbeiter stärker.

Beispiel Frank: Am Ende hilft nur Galgenhumor

450-Euro-Jobber können also zu einem gewissen Grad gar nicht aus den Minijobs herauskommen, außer sie suchen in einem anderen Landkreis. Ob sich das dann noch lohnt?


Franks Cappuccino ist getrunken, Zeit für die letzte Frage. Was passiert, wenn er irgendwann nicht mehr gut oder schnell genug austragen kann? "Ich kann vielleicht noch ein paar Jahre", sagt er. Was dann passiert, das frage er sich nicht. Er kontert mit Galgenhumor: "Ich frage mich immer, was zuerst schlapp macht: meine Beine oder gedrucktes Papier?"


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