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Buckeln

Dominik Funk entrümpelt Häuser. Sechs Tage die Woche, elf Stunden am Tag. Eine Geschichte über zu viele Dinge, Keller-Entdeckungen - und was von ihm selbst mal übrig bleiben wird.

Zwei Arbeitstage dauert es, das Leben eines Menschen wegzuwerfen. Je nach Wohnung, Einfamilienhaus, Villa kann es etwas länger werden. Dazu noch die Ausstattung. Ein Mensch drückt sich ja immer auch in der Summe dessen aus, was er besitzt. Doch irgendwann werden all die Habseligkeiten und lieb gewordenen Dinge, die man durch Erinnerungen an Urlaube, Feiern, Freunde, Familie mit Bedeutung aufgeladen hat, wieder zu dem, was es mal war: Gerümpel. 


Und wenn es soweit ist: Einsatz Dominik Funk.


Funk. Diesem Namen kann man in Marktheidenfeld (Lkr. Main-Spessart) kaum entkommen. An den Ortseingängen, in der Innenstadt, an Altglas- und Altkleidercontainern - überall wirbt dieser Funk mit seinen knallpinken Werbeschildern: "Wohnungsauflösungen, Entrümpelungen, Messie-Buden". Wäre Entrümpeln (oder das Werben dafür) ein Sport, könnte man Funk Lokalmatador nennen. 


Pink. Funk lacht. Schon sein Vater habe die Farbe für seinen Containerdienst verwendet. Als er noch in der Hauptschule war, hätten ihn die Mitschüler deswegen "verarscht", sagt Dominik Funk. Doch sein Vater habe Recht gehabt. Pink bringt Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit bringt Aufträge. Oder wie in diesem Fall: Anrufe eines Redakteurs, der fragt, ob er mal mit bei einer Entrümpelung dabei sein könnte, da sich hier doch sicher einiges über die Menschen lernen lasse. 


Na klar, sagt Funk. Er hätte da auch schon das perfekte Haus. Es steht einige Kilometer von Marktheidenfeld entfernt. Vier Zimmer, Bad und Küche im ersten Stock und ein Laden mit Werkstatt im Erdgeschoss. Dem Bewohner sei alles über den Kopf gewachsen. Mit dessen Betreuer kläre er noch, ob der Reporter-Besuch klar gehe, sagt Funk. Bis nächste Woche dann. 

Der Dschungel aus Zeugs

Die nächste Woche beginnt mit Nebel auf dem Main. Kalte Luft drückt eine Querstraße weiter durch die schwere Holztür in das Fachwerkhaus mit dem Funk-Container davor. Hier sollen mal feine Herrschaften gewohnt haben, steht auf der Glasplakette neben der Tür. Ein paar Schritte ins Foyer getreten, muss man schon einem halben Dutzend Staubsauger ausweichen. 


Dominik Funk trägt Haare und Bart kurz geschoren, schwarze Brille. Im Ohr hat er einen Bluetooth-Stecker, wie man sie von diesen besonders geschäftigen Geschäftsmännern in den Filmen der frühen Zweitausender kennt. Auf dem Rücken seiner Arbeitskluft und der seiner zwei Mitarbeiter an diesem Tag steht der Firmenname gedruckt. Natürlich in pink. 


Eigentlich habe er ja Koch gelernt, erzählt Funk. Bis ihn der Vater in die Firma holte. "Er hat gesagt: Du trittst auf der Stelle. Ich sollte was mit meinem Leben anfangen". Also stieg der Junior ins Familiengeschäft ein, arbeitete hart, wollte mehr, gründete sein Unternehmen. Das mit den Containern mache der Vater. Die Entrümpelungen, das aber sei er allein, sagt Funk. Es stimme, Entrümpeln sei ein Buckeljob. "Nicht sexy, aber ich mag es. Obwohl ich jeden Tag um sieben Uhr auf den Beinen bin und um sechs Feierabend mache, weiß ich: Ich hab' die Arbeit für mich gemacht und für niemand anderen." 


Der erste Schritt des Entrümplers ist derselbe, wie der, wenn man zum ersten Mal in die neue Wohnung von Freunden eingeladen ist. Funk verschafft sich einen Überblick. Also geht es vom Foyer aus durch die Ladentür. Ein schmaler Pfad Linoleum führt vorbei an aufgestapelter Elektronik aus den 80ern. Unter einer abgezogenen Bettdecke lugt ein Flipper hervor, rot mit Rennautos drauf. In der Werkstatt dahinter hängen Kabel wie Lianen von der Decke, die Wände aus Zeugs verschwimmen zu einer Masse. Nicht über die drei Besen stolpern. Ah, noch ein Staubsauger. Da ein weiterer. "Das war ein richtiger Daniel Düsentrieb", sagt Funk. "Aber viel ist es halt."

Wer ist Dominik Funk?

Ungefähr 100 Häuser hat Funk in seinen zwei Jahren der Selbstständigkeit ausgeräumt. "Man taucht jeden Tag in eine neue Geschichte ein", sagt er, dreht sich um und zeigt im Vorraum des ersten Stocks auf den Boden eines Regals. In den Regalen und um die Tische davor stapeln sich Tabakdosen. In den meisten davon befinden sich Bänder von Armbanduhren oder Schlüssel, Hämmer, Kabel. Mehr Zeugs eben. In der Ecke: wieder zwei Staubsauger. 


Im gezeigten Regal sind fein säuberlich beschriftete Ordner eingereiht. "Rente neu" steht zum Beispiel drauf. Auf dem Boden ein kleiner Tresor. In solchen Stahlkästen lagert normalerweise das wertvollste, was ein Mensch besitzt. Keinen Schlüssel, keine Kombination habe er gefunden, sagt Funk bedauernd. Noch rätseln die Entrümpler, was drin sein könnte. Etwas Wertvolles? Etwas Persönliches? Funk hat da so eine Theorie.


Nach einer kurzen Tour durch das Bad und zwei fast identische Fernseh-Zimmer, beide dominiert von zwei fast identischen Schrankwänden aus dunklem Holz, ist die Zeit ist gekommen. Über dem Bett im Schlafzimmer, neben einem gold umrahmten Bild von Baby-Jesus im Arm der heiligen Mutter, zeigt eine Pendeluhr 20 nach sechs. Neben dem Bett stehen drei weitere Wecker. Ein kleiner, kantiger weißer zeigt zehn nach fünf. Wie alle anderen der insgesamt sechs Uhren im Raum ist er nicht gerade nah an der wirklichen Zeit. Dominik Funk und seinen Mitarbeiter zücken ihre blauen Müllsäcke.

Das Spannungsfeld eines Entrümplers

Entrümpler bewegen sich in einem Spannungsfeld. Wie Bestatter werden sie in der Zeit des Abschieds gerufen, in der Regel, wenn Menschen aus dieser Welt gehen. Doch von den vielen Tausend Euro, die manche Bestattung kostet, kann Funk nur träumen. Die Familie stöbert schnell durch die Sachen des Verstorbenen, holt sich aus den materiellen Überresten, was wertvoll ist. Die weniger wertvollen Dinge mit Erinnerungen? Die hätten die meist selbst, sagt Funk. 


Wenn ein Mensch die Summe all dessen ist, was er besitzt, sind Entrümpler dann nicht auch Bestatter?


Wenn Funk ran soll, heißt es: So schnell wie möglich, so günstig wie möglich. Mit Nachdenken über einen Menschen, mit einem sanftem In-den-Müll-Legen seiner Erinnerungen schafft man kein Haus in zwei Arbeitstagen. Er habe mal einen Sportwagen gefahren, erzählt Funk. Ein richtig schnelles Ding. Den habe er immer zwei Straßen weiter parken müssen, wenn's ans Verhandeln ging. 

Nur harte Arbeit führt nach oben

Man könnte fast sagen: Dominik Funk baut sich Eigenes auf, indem er anderes einreißt. Fein säuberlich trennt er in Holz, Bauschutt, Elektroschrott, Plastik und Textil und fährt es in Wertstoffhöfe und Recyclinganlagen, damit aus dem alten Gerümpel wieder neues werden kann. Der Kreislauf des Lebens. "Darin bin ich der Beste", sagt Funk, der Lokalmatador. Sein Geld steckt er wiederum in Immobilien, hübscht sie auf und vermietet sie. "Am liebsten wäre mir, wenn du reinschreibst, dass ich das mit einem Hauptschulabschluss geschafft habe", sagt Funk. Hiermit passiert. Über seine ehemaligen Mitschüler, die ihn ob der pinken Werbung früher "verarschten", sagt er heute: "Wenn die sehen könnten, wo ich jetzt bin."


Also, wo ist er? Noch immer im ersten Stock des Fachwerkhauses und füllt mit seinen Mitarbeitern Müllbeutel um Müllbeutel. Wenn sie die vollen Säcke über die Schulter werfen, aus den Zimmern tragen, erinnern sie ein wenig an Weihnachtsmänner. Der Weihnachtsmann bringt Gerümpel, die Entrümpler bringen es wieder weg. Wie Anti-Weihnachtsmänner quasi.


Ein kleiner ferngesteuerter Gabelstapler verschwindet genauso in ihren Müllsäcken wie das an der Wand hängende Gabelstaplerdiplom. Fliegenklatschen, Rückenkratzer, alte Kondensmilchfläschchen mit der Aufschrift "Weihwasser", ein paar zerbrochene dritte Zähne, unzählige Bierkrüge, edel wirkende Porzellanteller, Heiligenfiguren und und und. Doch bei all dem Zeug fehlt etwas an den Wänden und auf den Ablagen zwischen Plüschfiguren und Zigarettenboxen. Es gibt kaum festgehaltene Erinnerungen an Urlaube, Feiern, Geliebte und Feiern in Urlauben mit Geliebten.

Wer war der Bewohner? 

Wenige Wochen nach dem Besuch beim Entrümpler meldet sich der Betreuer des Bewohners aus dem Fachwerkhaus. Und erzählt: Nach dem Tod seiner Frau sei der Mann immer schwieriger zurecht gekommen. Irgendwann sei ihm alles über den Kopf gewachsen, auch die Wirklichkeit. Der Betreuer sagt, dass es dem Mann gut gehe. Er befinde sich in psychologischer Behandlung. Reden könne er aber nicht, das würde nur alte Wunden aufreißen. "Deshalb hat er auch nichts aus dem Haus mitgenommen. Er hat abgeschlossen."


Das Entrümpeln des Hauses - ein Abschluss. Dominik Funk hat mal einen Sadomaso-Keller ausgeräumt. Ein Haufen Zeug, um anderen lustvoll weh zu tun. Vielleicht hätte es da den Benutzern  gefallen, als die Männer es volle Kanne in ihre großen blauen Plastiksäcke pfefferten? Und was soll man machen, wenn der Besitzer ein Arsch war? Funk erzählt von einem uralten Bauernhof. Der Bewohner hatte einen Haufen Nazi-Orden hinterlassen.

Mit der Erlaubnis der Nachfahren des Mannes habe er einen der Orden behalten, sagt Funk. Nicht weil er ihn gut findet, sondern weil er interessante Dinge sammelt. Aus dem Haus hier? Den roten Flipper mit den Rennautos im Erdgeschoss werde er reparieren und dann damit spielen.


Ein schöner Gedanke eigentlich: So finden die Erinnerungen aus vielen Leben bei dem zusammen, dessen Auftrag es eigentlich war, sie zu entsorgen. 

Vier Mal "Zeit für eine Tasse Gelassenheit"

In der Küche sind alle Schlagergrößen versammelt. Im Kassettenregal hängen Gitti & Erika mit "Der Schneewalzer" oder die Flippers mit "Auf der Alm da gibt's ka Sünd". Dazwischen ein Bild der Muttergottes. Auf dem weißen Gasherd stehen sauber aufgereiht fünf Tees. Auf vieren steht: "Zeit für eine Tasse Gelassenheit."


Gelassenheit braucht auch Funk, wenn unentwegt sein Handy klingelt. Nicht nur Kunden, nein. Vier Stiefkinder hat er, seine Frau ist gerade hochschwanger. Es ist sein erstes. Deshalb arbeite er so viel, sagt er. Allen solle es gut gehen. Den Sportwagen hat er für ein Familien- und ein E-Auto eingetauscht. Aber irgendwann, da will er sich vielleicht dann doch wieder eine geile Karre kaufen. Er weiß auch heute schon, was auf der Heckscheibe stehen soll: "Hauptschule 2000".

Was ist in dem Tresor? 

Einen Monat später. Dominik Funk erzählt von seinem Kind ("So etwas verändert alles"), als er die Holztür zum Fachwerkhaus ein letztes Mal aufsperrt und den Strom anstellt. Im Flipper-Automat hat Funk den Schlüssel zum Tresor gefunden. Was würden die Entrümpler über sein Haus sagen, wenn er mal nicht mehr sein sollte? Er überlegt kurz: "Was für ein Chaot." Dann lacht er: "Meine Frau sagt immer: Wenn dir was passiert, dann bräuchten wir mehr als nur einen Container." 


Mit dem Strom beginnt ein Radio die nackten, frisch gestrichenen Räume mit Schlager zu fluten. Es ist, als wäre der Bewohner noch einmal in sein Haus zurückgekommen, um beim Lüften seines letzten Geheimnisses dabei zu sein. Auf der Ladentheke wartet der Tresor. Türchen auf. "Ich hab's ja gesagt, dass so etwas drin ist", sagt Funk.


In einer Tabakdose knäulen sich Armbanduhren-Bänder und Schlüssel. Als bewahrheite sich am Ende die Gewissheit des Anfangs: Ein Mensch ist, was er besitzt.

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