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Die Schattenseite des Bau-Booms

Wenn man Leuten beim sich um die Wette Beschweren zuhören will, braucht man sich nicht auf Facebook anzumelden. Spazieren Sie nur in den Stadt- oder Gemeinderat vor Ort, wenn Nachträge für Baumaßnahmen auf der Tagesordnung stehen. 


Diese Sitzungen laufen oft ähnlich ab. Seit Jahren steigen die Kosten für alles, was mit Bauen zu tun hat. Im Schnitt um drei Prozent jährlich, heißt es aus dem Staatlichen Bauamt Würzburg. Sobald aber die Bürgermeister eine Erhöhung verkünden, so scheint der Brauch unter den Räten, wird erst einmal tief ausgeatmet. Meist melden sich noch ein paar zu Wort, um Empörung oder Überraschung kund zu tun. Die demonstrativ tiefsten Ausatmer - und darüber soll es in diesem Text gehen - sind regelmäßig bei den Entsorgungskosten zu hören.


Jeder von uns produziert Müll. Neben einer Deponie leben wollen aber die wenigsten. Erst recht nicht, wenn es um toxisch belasteten Müll geht. Das jüngste Beispiel ist Helmstadt im Landkreis Würzburg. Dort soll eine Deponie für toxisch belasteten Bauschutt der Klasse eins (DK1) entstehen. 15 bis 20 Jahre soll sie befüllt werden, mit 120 000 Tonnen pro Jahr. Eine Bürgerinitiative wehrt sich dagegen, noch ist nichts entschieden.

Aber unabhängig davon, ob der 2000-Einwohner-Ort für eine Deponie geeignet ist oder nicht: Irgendwo in Unterfranken wird es eine solche brauchen, am besten zwei. Denn es gibt keine Kapazitäten im Regierungsbezirk. Seit Jahren sind deshalb die Entsorgungskosten viel höher als sie eigentlich sein müssten.


Viel mehr Bauschutt in den kommenden Jahren?

Nicht jede Deponie ist gleich. In Deutschland werden sie in fünf Klassen aufgeteilt, von 0 bis IV. Je höher die Zahl, desto toxischer der Müll, desto höher die Sicherheitsstandards. Wichtig für diese Geschichte sind Deponien der Klassen 0, I und II, weil dort hinein Straßenaufbruch, Bauschutt sowie Dämmstoffe, Asbest und anderes Baumaterial in unterschiedlicher Giftigkeit verfüllt werden. Es ist die Art von Müll, die schon jetzt üppig und in Zukunft noch üppiger anfallen könnte.


Der Grund: der Bau-Boom der vergangenen Jahre, den auch die Corona-Krise kaum ausbremste. Wohnungsnot herrscht weiter, keine Straße hält ewig. Im Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern ist zwar von "Flächensparoffensive" die Rede, für Mobilität und Wohnen soll immer weniger Fläche neu versiegelt werden. Doch wo an neuen Flächen gespart wird, müssen bereits bebaute weichen.


Grund Nummer zwei: Es steht eine Änderung der Mantelverordnung an, in der erstmals bundesweit geregelt werden soll, was in welche Deponieklassen kommt. Bisher war das Ländersache. Das führt laut einer Studie des Landesamts für Umweltschutzes (LfU) dazu, dass in Bayern die Menge an Bauschutt, der in Deponien der Klasse eins verfüllt werden muss, steigen wird.


Nicht genug Kapazitäten in Unterfranken

Laut der LfU-Studie aus dem Jahr 2016 ist der Regierungsbezirk im Gegensatz zu anderen Regionen in Bayern bei Deponien der Klasse null und zwei relativ gut ausgestattet ist. Eine Deponie der Klasse eins, also dort wo die Mengen anzusteigen drohen, gibt es nur in Guggenberg (Lkr. Miltenberg). Für Bauschutt sei die nicht ausgelegt, sagt Ruth Heim, die zuständige Sachgebietsleiterin im Landratsamt. Und sowieso nehme man nur noch Müll aus dem Landkreis Miltenberg an.


Während es in allen anderen Regierungsbezirken mindestens zwei Deponien der Klasse eins gibt, steht fast allen unterfränkischen Landkreisen also praktisch nicht mal eine zur Verfügung. Weil es in Ober- und Mittelfranken mit den Kapazitäten kaum besser aussieht, lässt sich der Schutt nicht einfach in den nächsten Regierungsbezirk fahren.


Wie sich die fehlenden Deponien auf Umwelt und Baukosten auswirken

Die Folge der Engpässen bei den regionalen Deponien: Lange Zeit haben unterfränkische Bauherren - Gemeinden, Städte, Landkreise und private Bauherren - mehr für die Entsorgung von toxisch belastetem Boden und Bauschutt zahlen müssen, als eigentlich notwendig gewesen wäre. Den Grund erklärt Steffen Beuerlein, der Entsorgungsunternehmer, der in Helmstadt die Deponie der Klasse eins errichten will: "Weil es regional nahezu keine Möglichkeiten mehr gibt, muss das Material entweder nach Nordrhein-Westfalen, Ostdeutschland oder in Deponien der Klasse zwei gefahren werden."

Die aktuelle Situation nennt Beuerlein "sehr bedenklich". Die Umweltschäden durch die viel zu langen Wege (Beuerlein spricht von "CO2-Super-GAU"), die Fahrtkosten und die Straßenschäden durch die zahlreichen LKW-Fahrten quer durch Deutschland, die Mehrgebühren durch die höheren Sicherheitsbestimmungen bei Deponien der Klasse zwei – das alles könne deutlich reduziert werden.


Auch die Zeit sei ein wichtiger Faktor. Schon jetzt würden viele Baustellen stocken, weil die Entsorgungsunternehmer nicht mehr mit dem Abtransportieren des Schutts nachkommen würden, sagt Beuerlein. Verzögerungen kosten wiederum Geld. "Wir können die Nachfrage nicht decken", sagt der Unternehmer aus Volkach (Lkr. Kitzingen). Und in den kommenden Jahren stünden in der Region viele weitere große Projekte an.


Entsorgung ist wichtig für die Wirtschaft

Ein Sprecher des Landesamtes für Umweltschutz, bringt es so auf den Punkt: "Unsere ganze Wirtschaft hängt an ausreichenden Entsorgungsmöglichkeiten. Jede Deponie ist wichtig. Haben wir die nicht, können wir eigentlich zu machen." Eine weitere Deponie der Klasse eins in Unterfranken sei wichtig, so der Sprecher, dann sei man für einige Jahre abgesichert.

Und wenn Helmstadt nicht kommt? Dann laufe alles weiter wie bisher, jahrelang, heißt es vom LfU. Denn das Zulassungsverfahren für Deponien dauert lange und der zu erwartende Bürgerprotest schreckt Unternehmer wie Politiker ab.


Entsorgungsunternehmer Beuerlein kann sich an keine Deponie erinnern, gegen die es keinen Widerstand gegeben habe. "Es müssen dringend weitere Kapazitäten geschaffen werden", sagt er – um mehr Schutt lagern zu können und große Mengen auch in Spitzenzeiten abtransportieren zu können. Für Helmstadt gäbe es, so hat es die Genehmigungsbehörde festgelegt, ein Limit von 50 LKW-Ladungen pro Tag. Eine weitere Deponie der Klasse in Unterfranken könnte also zusätzlich sinnvoll sein - um Konkurrenz zu schaffen und damit sicherzustellen, dass die Preise dann auch wirklich sinken.

Eine erfreuliche Entwicklung gibt es immerhin: Es wird immer mehr und besser recycelt. So teilt das Staatliche Bauamt Würzburg beispielsweise mit, es sei grundsätzlich Ziel, bei der Erneuerung von alten Straßen vorhandenen Boden wiedereinzubauen oder nach einer Aufbereitung wieder zu verwenden.


Landesamt für Umweltschutz: regionale Deponien wichtig

Das LfU fordert generell eine offensiv und transparent geführte Entsorgungsdebatte. Die Leute müssten verstehen, wie wichtig regionale Deponien seien, sagt der Sprecher. Die Betreiber und Politiker müssten wiederum deren Ängste ernst nehmen und gemeinsam einen ordentlichen Betrieb sowie eine vernünftige Überwachung garantieren.

Das ist zwar anstrengender als sich kurz mal aufzuregen, aber dafür billiger.

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