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"Wie ein Virus"

Den Leuten geht das Geld aus, sagen Kornelius Klatt und Markus Schädler. Im Interview berichten die Würzburger Insolvenzverwalter auch, was Stand bei "Hagenauer" ist.

In den kommenden Wochen und Monaten werden die Meldungen über Insolvenzen zunehmen, da sind sich die Insolvenzverwalter Markus Schädler, 53, und Kornelius Klatt, 36, sicher. Beide sind im Vorstand der Würzburger Kanzlei "Bendel und Partner" und haben unter anderem den Marktheidenfelder Glashersteller Okalux durch die Krise geführt. Gerade verwalten sie die Insolvenz der alt eingesessenen Würzburger Autowerkstatt "Hagenauer". Im Interview sprechen die beiden darüber, warum Unternehmen scheitern, wieso eine Pleite-Welle auch ohne Corona unausweichlich war und wie Wichtigtuer für wilde Geschichten sorgen.


Frage: Über "Hagenauer" kursieren in Würzburg jetzt einige Gerüchte. Leute befürchten, dass sie ihre Autos nicht mehr repariert bekommen oder haben Angst, dass die eingelagerten Reifen im Insolvenzverfahren verkauft werden. 

Markus Schädler: Da können wir in den klassischen Politiker-Sprech antworten: Die Reifen sind sicher! Ganz klar, fremdes Eigentum zu schützen ist sogar wesentlicher Job des Insolvenzverwalters.


Was sind Ihre ersten und wichtigsten Schritte, sobald Sie in ein strauchelndes Unternehmen kommen?

Schädler: Am Anfang muss alles schnell gehen. Wir verschaffen uns einen Überblick über die wesentlichen Kennziffern, sichern die Liquidität des Unternehmens und kümmern uns um die Finanzierung der Löhne für die Mitarbeiter. Es ist wichtiger als alles andere, bei den Mitarbeitern und den Gläubigern Vertrauen zu schaffen. Das ist die Basis, damit wir überhaupt über eine Sanierung nachdenken können.


Das Verfahren "Hagenauer" läuft seit einem Monat. Was können Sie jetzt schon sagen? 

Schädler: Die Mitarbeiter sind sehr motiviert, die Kunden treu. Wir haben Kosten gespart und Abläufe gestrafft. Wir können jetzt noch kein definitives Versprechen machen, dass eine Sanierung klappt, aber wir sind sehr zuversichtlich.


Prognose um Prognose sieht in den kommenden Monaten eine "Pleite-Welle" über Deutschland hereinbrechen. Haben Sie Angst, das Büro bald gar nicht mehr verlassen zu können?

Kornelius Klatt: Also "Angst" ist vielleicht nicht der richtige Begriff, aber es ist schon so, dass wir im Endeffekt seit März 2020 auf die Welle warten.


Passiert ist bisher nichts.

Klatt: Wir merken schon einen Anstieg. Inzwischen landen fast jeden Tag Akten von Amtsgerichten mit einem neuen Verfahren im Posteingang. Das sind jetzt nicht immer Insolvenzen von Großkonzernen. Da sind auch viele ganz normale Leute dabei.


Was sind die Gründe?

Klatt: Den Firmen geht einfach das Geld aus. Weil zudem keine Perspektive da ist, verlieren die Eigentümer – das ist jetzt stark verkürzt – auch einfach die Lust. Schauen Sie in die Innenstadt. Inzwischen schließen sogar Cafés und Restaurants, die eigentlich gut gewirtschaftet und auch schon Vermögen aufgebaut hatten. Das ist teilweise jetzt aufgezehrt. Oder die Eigentümer wollen den Rest davon nicht auch noch verlieren, nur um nachher dazustehen und immer noch nicht zu wissen: Geht es überhaupt weiter?


Sie sagen, dass Corona für die meisten jetzt erwarteten Pleiten gar nicht der Grund ist. Was dann?

Klatt: Durch die Zinspolitik der vergangenen Jahre sind "Zombieunternehmen" entstanden. Weil Geld nichts mehr wert ist, konnten viele dieser Unternehmen ihre alten Schulden fast umsonst durch neue ersetzen. Dieses System kann natürlich nicht endlos aufrecht erhalten bleiben. Nun ist die Pandemie das Initialereignis, es hätte auch irgendein anderes sein können. Eine Finanzkrise wie vor 13 Jahren zum Beispiel.


Reden wir jetzt nur über Unternehmen, die schon vorher Probleme hatten?

Klatt: Nein, das sind nur die ersten in der Kette. Verschleppte Insolvenzen sind selbst wie ein Virus. Ein krankes Unternehmen steckt durch seine schlechte Zahlungsmoral die nächsten an.

Schädler: Gläubiger darf man sich nicht als Leute vorstellen, denen es gut geht und denen es vollkommen egal ist, ob sie jetzt 10 000 oder 100 000 Euro verlieren. Das sind Zulieferer oder auch Privatpersonen. Es ist teilweise so dramatisch, dass Leute bei uns anrufen und sagen: Um Gottes Willen, wenn ich das Geld nicht bekomme, dann kippe ich selbst um.


Ihr gesetzlicher Auftrag ist relativ einfach: Sie müssen die Gläubiger bestmöglich schützen. Wie entscheiden Sie, ob das Unternehmen saniert, verkauft oder geschlossen wird?

Schädler: In aller Regel ist es sinnvoll, ein Unternehmen zu sanieren, damit es irgendwann wieder Gewinne erwirtschaftet und daraus die Gläubiger bezahlen kann. Entweder wird es dazu verkauft oder es kann von innen heraus saniert werden. Nur wenn ein Unternehmen gar keine Perspektive mehr hat, muss ich es schließen. Sonst verlieren alle Beteiligten nur immer mehr Geld, unwiederbringlich.


Der Markt um ein insolventes Unternehmen soll wild sein...

Klatt: Vor allem Konkurrenten spielen gerne den weißen Ritter. In der Regel wollen die einfach nur zeigen, wie gut sie sind und wie schlecht die anderen. Das sind manchmal auch banale menschliche Auseinandersetzungen, zum Beispiel zwischen Geschäftsführern, die sich nicht mögen, weil sie sich ein paar Mal zu oft um denselben Auftrag gestritten haben.

Schädler: Am Telefon kann man auch nie genau sagen, welcher Interessent jetzt seriös ist und welcher weniger. Bei der Insolvenz eines größeren Unternehmens vor einiger Zeit habe ich einen Interessenten durch die Firma geführt, der schon am Telefon auffällig ahnungslos wirkte. Beim Rundgang trug er einen Anzug, an dem noch das Preisschild dran war. Wir vermuten, dass er einfach mal einen Tag auf Big Business machen wollte. Danach haben wir nie wieder was von ihm gehört.


Wie viele haben denn überhaupt ernsthaftes Interesse?

Klatt: Bei zehn Interessenten können Sie froh sein, wenn Sie mit einem überhaupt in richtige Vertragsverhandlungen einsteigen, geschweige denn einen Vertrag unterschreiben.

Wie schnell bekommen Sie einen Eindruck davon, wie es mit dem Unternehmen weitergeht?

Schädler: Nach dem ersten Gespräch mit dem Geschäftsführer. Entweder kann er uns die Insolvenzgründe nennen oder er ist selbst der Grund. Wir hatten mal einen Geschäftsführer zum Erstgespräch bei uns in der Kanzlei. Seine Antwort auf die Frage wie viele Mitarbeiter er hat: 500. Am nächsten Tag drückte er uns die Personalliste in die Hand: 405. Da wussten wir, dass die Situation dramatisch ist, wenn er nicht mal weiß, wie viele Mitarbeiter er hat.


Ist der Geschäftsführer so zentral? 

Klatt: Geschäfte führen kann mehr oder weniger fast jeder – solange es gut läuft. Oft war ein Unternehmen viele Jahre am Markt und hat Geld verdient. In Krisensituationen trennt sich die Spreu vom Weizen.


Meist ist bei der Sanierung von Unternehmen zu lesen, wie viele Leute entlassen wurden. Was, wenn Sie solche Entscheidungen treffen müssen?

Schädler: Es ist richtig bitter, wenn du einem Mitarbeiter mitteilen musst, dass er entlassen wird. Aber es bringt ja nichts, wenn wir das Unternehmen am Ende nur formal saniert haben, aber wissen, dass die in drei bis sechs Monaten wieder umkippen. So verlängern wir das Leiden nur.

Klatt: Wenn du Jahre später siehst, dass ein Unternehmen wieder floriert, neue Mitarbeiter anstellt oder ein neues Geschäftsgebäude baut: Das ist ein schönes Gefühl. Das macht es aber nicht besser, dass man einen armen Kerl entlassen musste, der selbst keine Schuld daran hatte.

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