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Helmstadt will nicht zu Würzburgs Mülldeponie werden

In und um Würzburg wird gerade unglaublich viel gebaut. Der Bauschutt soll ab 2021 in Helmstadt vergraben werden. Viele Bürger wollen das aber nicht. Ein Besuch vor Ort.

Ein Mittwochabend im Oktober. Gemeinderatssitzung. Draußen muss Bürgermeister Tobias Klembt zwei Dutzend Helmstadter vertrösten. Die knapp 80 Zuschauerplätze in der Hans-Böhm-Halle sind alle besetzt. Wer wolle, könne sich aber an die Fenster stellen und von draußen reinschauen. Es regnet. An den Fenstern drängeln sie sich trotzdem. Trotz Corona: Es sei noch nie so voll gewesen, sagt die für Helmstadt zuständige freie Mitarbeiterin der Redaktion. 

Helmstadt hat eine alte Tongrube. Was damit passiert, ist der Aufreger in der Hans-Böhm-Halle. Weit mehr, als dass am Anfang der Sitzung zwei Vertreter von Amazon die Helmstadter dazu bringen wollen, ein Versandzentrum ins Gewerbegebiet stellen zu dürfen. Die schwärmen von der Helmstadter Verkehrsanbindung. Würzburg bekommt die Pakete, Helmstadt den Verkehr (und etwas Gewerbesteuereinnahmen) – das wäre der Deal. Helmstadt kann ihn ablehnen. Das Problem ist: Das ist bei der Tongrube kaum möglich.

Beuerlein und Helmstadt: die Geschichte

Als deutsche Ziegel nicht mehr rentabel genug waren, landete das Grundstück, zu dem die Tongrube gehört, über Umwege bei der Beuerlein Gruppe. 1963 gegründet, führen Steffen und Jan-Felix Beuerlein inzwischen in dritter Generation das Unternehmen. Recht loslassen könne der Vater noch nicht, sagen sie und schmunzeln. Ein typisches, unauffälliges Familienunternehmen eben... wäre da nicht die Branche, in der es tätig ist.

Denn die Beuerlein-Gruppe ist für große Bauprojekte das, was Müllabfuhr, Wertstoffhof und Deponie für den Normalbürger sind. Wer wissen will, wo der ganze Schutt aus dem Abriss von Häusern und Straßen hinkommt, der kann sich das wunderbar von den beiden erklären lassen. Das Problem ist, so die Beuerleins, dass zwar jeder ein neues Gebäude will, aber der Bauschutt vom alten nirgendwo richtig willkommen ist. So scheint es jetzt auch in Helmstadt zu sein. Oder wie es Bürgermeister Klembt ausdrückt: "Eine Deponie ist so angenehm wie eine Wurzelbehandlung."

Was soll in der Deponie gelagert werden?

Damit wären wir wieder in der Gemeinderatssitzung. Beuerlein will die Tongrube zu einer Deponie der Klasse 1 (DK1) umwidmen lassen. 

DK1 ist auf der Deponiegefährlichkeitsskala das zweitharmloseste. Das bedeutet aber nicht, dass der Inhalt harmlos ist. Auf der Zulassungsliste für Helmstadt stehen zum Beispiel: Bodenaushub, Bauabfälle, Glas, Straßenbruch, Gleisschotter, Ziegel, Teer. Was das Material belastet, ist das, was in einem Bauwerksleben so passiert: Abrieb von Autoreifen, auslaufendes Öl, Lackierungen. In die Grube soll, was Beuerlein nicht mehr recyceln kann. Auf eigentlich erlaubte Dämmstoffe und auf Asbest verzichtet er sogar. Ein PR-Trick, nennen das Kritiker wie der Helmstadter Thomas Pilzer. Es seien trotzdem noch genug Giftstoffe drin, die der Regen auswaschen und in das Grundwasser sickern lassen könne. 


Nun darf Beuerlein den Müll nicht einfach in die Grube kippen. Die kann man sich wie einen dauerüberwachten, fußballfeldgroßen Müllsack vorstellen. Unterhalb der Deponie wird durchgängig eine Kunststoffdichtungsbahn verlegt. Für hunderte Jahre soll die dicht halten, heißt es. Darüber kommt eine Drainage. 2040 soll die Grube voll sein und versiegelt werden. Es gibt mehrere Rückhaltebecken, falls der Regen mal kein Ende fände. Selbst bei ausgefallenen Pumpen gibt es noch vier alternative Szenarien, wie Schaden für die Umwelt abgewendet werden kann. 


Trotzdem: Nicht nur Pilzer, sondern die überwältigende Mehrheit der Helmstadter scheinen das nicht zu wollen. Zumindest sagt das eine Umfrage, die Volker Fiederling durchgeführt hat. Mit Pilzer und einem dritten Bürger hat er inzwischen eine Bürgerinitiative gegen die Deponie gegründet. Fiederling erzählt, wie er vor ein paar Wochen an fast alle Haushalte Umfragezettel verteilt hat. 539 seien zurückgekommen, sagt er. 532 davon gegen die Deponie, sieben dafür. "Bei so einem Ergebnis sollte doch etwas geschehen. Wenn manch Zuständige den Bürgerwillen nicht hören wollen, dann muss man wohl selbst was tun", sagt Fiederling.


Natürlich könnte man auch sagen, das 1500 Helmstadter nicht abgestimmt haben. Das würde dem Eindruck Steffen Beuerleins entsprechen, dass nur eine kleine Minderheit gegen die Deponie sei. 

Wie auch immer die Umfrage zu interpretieren ist: Die Gemeinde hat bei der Deponie kaum etwas mitzureden. Sie ist nur einer von 47 Trägern öffentlicher Belange, die sich im Genehmigungsverfahren äußern dürfen. Entscheiden wird das Bergamt Nordbayern in Bayreuth. Es muss beurteilen, ob die Fehler, die die Helmstadter im Gutachten zur Deponie entdecken, zutreffend sind.


Sind Wind- und Wetterdaten aus 35 Kilometer entfernten Orten geeignet, um die Staubentwicklung in Helmstadt auszuschließen? Wieso wurde Wohnbebauung übersehen? Ist die Tongrube wirklich aus Ton oder nicht doch aus dem durchlässigeren Lösslehm? Solche Details können in den Köpfen Zweifel am großen Ganzen säen. Jeder kennt Geschichten über alte Mülldeponien, in denen stinkende und klimaschädliche Gase vor sich hingären. Auch wenn Deponien heute ganz anders angelegt werden und es hier um Bauschutt geht; 100 Prozent sicher ist nichts. "Der Stand der Technik wird in 30 Jahren auch wieder ein anderer sein als heute", sagt Bürgermeister Klembt. "Wir nehmen die Sache ernst." Dass er gegen die Deponie ist, sagt er aber auch nicht. 

Deponie liegt in einem geplanten Wassereinzugsgebiet

In der Hans-Böhm-Halle formuliert der Gemeinderat deshalb "so ausführlich wie noch nie" (Klembt) seine Einwände: der starke LKW-Verkehr ist einer. Von Ende 2021 an soll die Deponie etwa 15 Jahre lang befüllt werden. Beuerlein selbst kalkuliert, dass etwa 68 000 LKW-Ladungen in die Grube passen. Die Räte befürchten auch, dass die Grundstückspreise sinken werden. Über allem aber steht das Grund- und Trinkwasser. Das ist nicht nur für Helmstadt sondern auch für Würzburg interessant.

Die Deponie würde am äußersten Rand eines geplanten Trinkwassereinzugsgebietes liegen. Allein dieses Risiko einzugehen, findet Fiederling unverantwortlich. "Trinkwasser ist eines der höchsten Güter des Menschen und sollte keinem Risiko ausgesetzt werden." Die Firma Beuerlein hat übrigens selbst alternative Standorte geprüft: einen Steinbruch in Remlingen und eine Tongrube in Stadtlauringen. Das Gutachten ist auf der Internetseite des Bergamts einsehbar. Bei der hydrogeologischen Bewertung, also beim Wasser- und Bodenschutz, hat Helmstadt am schlechtesten von den dreien abgeschnitten.


Zur Wahrheit gehört aber auch: In die Grube kann bereits Bauschutt gekippt werden. Z2-Material, von der toxischen Belastung her eine Stufe unter DK1. Diese Genehmigung gab es schon, als das Unternehmen 2011 die alte Ziegelei übernahm und zum Recyclinghof umbaute. Z2-Material dürfte Beuerlein ohne zusätzliche Abdeckung in die Grube werfen. Es wird auf dem Gelände sogar schon Z2-Material verfüllt. Den Protest dagegen haben die Helmstadter verschlafen, obwohl das am Ende sogar schädlicher für das Trinkwasser sein könnte als das versiegelte DK1-Material. Das sagt nicht Beuerlein selbst oder der Bürgermeister, sondern es steht in einer Stellungnahme der Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH (WVV), die der Redaktion vorliegt. 

Die Stellungnahme der Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH

"Da die DK I-Deponie auf einer Fläche mit bergrechtlich genehmigten Tonabbau und der Verfüllung von Z 2-Material nach Eckpunktepapier Bayern (Bestandschutz) geplant ist, ergibt sich durch die Errichtung und den Betrieb der DK l-Deponie eine deutlich verbesserte Schutzwirkung gegenüber schädlichen Auswirkungen auf das Grundwasser und somit auf das Grundwasservorkommen der Zeller Stollen."
Quelle: WVV

Helmstadt will nicht die Müll-Deponie Würzburgs werden

Würzburg bekommt neue Straßen, neue Brücken, neue Häuser, Helmstadt bekommt Umweltverschmutzung und Verkehr, hat Volker Fiederling von vielen Helmststadtern bei seiner  Umfrage gehört: "Wir opfern doch schon genug für das Gemeinwohl." Der 2000-Seelen-Ort hat die A3, einen Steinbruch mit Schuttentsorgung, ein Aldi-Warenlager, Windräder, Photovoltaikflächen, vier Funktürme. In ein paar Jahren soll die Suedlink-Trasse durch das Gemeindegebiet gebaut werden. Sie wollen nicht auch noch die Bauschutt-Deponie Würzburgs werden.


Dass es Gewerbesteuereinnahmen im unteren sechsstelligen Bereich geben wird und der Landrat eine neue Abbiegespur zur Deponie versprochen hat, beruhigt Fiederling und Pilzer nicht: "Was hier an Lebensqualität und Wertverlust durch die Deponie geopfert werden soll, kann nicht mit Steuereinnahmen für eine Gemeinde kompensiert werden", sind sich beide einig. "Wir sollen jetzt auf einmal eine Straße bekommen, die wir sonst wahrscheinlich nie oder erst Jahrzehnte später bekommen hätten. Komisch, dass jetzt auf einmal vieles möglich wird", sagt der andere. Die viel wichtigere Frage, die sie stellen, lautet jedoch: Warum braucht es unbedingt eine Deponie auf einem geplanten Trinkwassereinzugsgebiet?

Brgerprotest Helmstadt will nicht zu Wrzburgs Mlldeponie werden

"In Würzburg bestehen schon jetzt erhebliche Entsorgungsengpässe", sagt Beuerlein. Gebaut wird aber immer weiter. Lange hat seine Firma diesen Schutt in stillgelegte Braunkohletagebauen in Nordrhein-Westfalen gekarrt. Eine Katastrophe für Entsorgungskosten und Umweltschutz.

Umliegende Deponien kommen schon seit einiger Zeit kaum mehr mit dem Bauschutt aus ihren eigenen Landkreisen klar. Deshalb ist nicht nur der Landkreis Würzburg um jeden froh, der sich den jahrelangen Genehmigungsprozess antut. Die Helmstadter Deponie wird etwa eine Million Kubikmeter Bauschutt fassen. Ihre Eröffnung würde mit einem Schlag die DK1-Kapazität in Bayern um ein Drittel erhöhen, in Unterfranken sogar verfünfzigfachen. 

Vorhandene Kapazitäten sind bereits erschöpft

Es drängt: Das Bayerische Landesamt für Umwelt hat im Jahr 2018 eine Bedarfsprognose für Deponien erstellt. Laut der wären die DK1-Kapazitätsgrenzen in Unterfranken bereits 2018 erreicht. Das System steht gerade noch, weil Unternehmen wie Beuerlein den Schutt nach NRW fahren. Doch auch dort wächst der Widerstand, sagt Beuerlein. Zur Grube am Dorfrand von Helmstadt, müssten die meisten Laster nicht einmal durch den Ort brettern. Beuerlein: "Wir sehen die Deponie als Umweltschutzprojekt. Es wäre unvernünftig, das Vorhaben nicht umzusetzen. Wir haben hier den perfekten Standort."


Über die begehrte Helmstadter Lage ist sich Bürgermeister Klembt natürlich im Klaren. Er mahnt davor, eine grundsätzliche Anti-Haltung zu entwickeln. "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Das funktioniert nicht." Der Protest gegen die Deponie hat für ihn auch was Gutes. "Wenn wir graues Mäuschen spielen würden, dann bekommen wir auch nichts", sagt Klembt. 


Fragt man die Beteiligten, dann sagt jeder von ihnen, Verständnis für die Situation der anderen Seite zu haben. Firmen wie Beuerlein erfüllen mit der Deponie ja nur einen wichtigen Bedarf, der lange vernachlässigt wurde. Der Firmenchef selbst kommt der Gemeinde in vielen Dingen entgegen. Das Verfahren sei noch im vollen Gang, schreibt das Bergamt. Bis 10. November können die Bürger noch Einspruch beim Bergamt einlegen. 

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