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Die Hysterie ist übertrieben - Das sagt ein Experte zur Jobangst in der Digitalisierung

Die Angst vieler Deutscher vor der Digitalisierung sei übertrieben, sagt Simon Janssen. Im Interview mit FOCUS Online spricht der Weiterbildungs-Experte des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung über den Wandel der Arbeit, Elon Musk und welche Fähigkeiten in Zukunft wichtig werden.


Zur Person: 

Dr. Simon Janssen ist Experte für digitale Weiterbildung des Deutschen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Er promovierte an der Universität in Zürich und der Copenhagen Business School. Er war außerdem langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Elite-Universitäten Princeton und Stanford.


Focus Online: Das Institut für Arbeits- und Berufsforschung prognostiziert in einer Studie, dass die Fülle an Jobs sich durch die Digitalisierung kaum ändern wird. Brauchen wir also gar keine „Angst" vor den Folgen der Digitalisierung haben?

Dr. Simon Janssen: Es gab die Angst vor dem technologischen Wandel schon in den 60er- und auch 90er-Jahren als die Computertechnologie eingeführt wurde. Es gibt Titelseiten der Nachrichtenmagazine von damals, die könnten Sie eins zu eins auch heute veröffentlichen. Es hat sich jedoch immer gezeigt, dass auch neue Berufe entstanden und dass die Gesamtbeschäftigung tendenziell eher gestiegen ist. Ich denke daher, dass die Hysterie, die an manchen Stellen betrieben wird, übertrieben ist. Ich blicke positiv in die Zukunft.


Focus Online: In vielen Studien sagen Autoren und Wissenschaftler, dass Jobs wegfallen...

Janssen: Niemand kann die Zukunft vorhersehen. Das muss man bei der Interpretation von Studien immer mitbedenken. Wer hätte vor 20 Jahren denn ahnen können, dass jemand mit einer Internetseite wie Facebook Geld verdient? Und das nicht zu knapp... Als das Auto erfunden wurde, gab es große Angst, dass viele Kutscher ihren Job verlieren. Im Nachhinein war es aber so, dass Straßen für die Autos gebaut wurden, der Tourismus dadurch erst richtig in Gang kam...


Focus Online: Sie sagen also, dass die Digitalisierung lediglich die Profile der Jobs verändert. Wie kann da der Mensch mithalten?

Janssen: Das ist so nicht ganz korrekt. Natürlich fallen Berufe weg, aber es kommen auch neue dazu. Und wir sehen, dass sich in fast allen Berufen die Tätigkeiten verändern.


Ganz allgemein: Weiterbildung ist in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger geworden. Im Jahr 2000 haben im Schnitt nur 37 Prozent der deutschen Unternehmen ihre Mitarbeiter auf Weiterbildung geschickt. 2016 waren das schon 54 Prozent. Man sieht eine Tendenz bei Unternehmern und Arbeitnehmern, dass die Anzahl der Weiterbildungen deutlich zunimmt.


Focus Online: Liegt das an der schneller werdenden Arbeitswelt?

Janssen: Firmenbefragungen zeigen uns recht deutlich, dass Unternehmen davon ausgehen, dass sich Ausbildungsinhalte schneller verändern werden, als es bisher der Fall war. Das wiederum bedeutet, dass die Fähigkeiten nach dem Abschluss der Ausbildung oder des Studiums nicht mehr ausreichen, um am Arbeitsmarkt über die ganze Karriere produktiv zu sein.


Focus Online: Wie viel schneller wird die Arbeitswelt denn?

Janssen: Kleines Beispiel: Elon Musk hat 2017 auf einer Konferenz gesagt, es werde ziemlich bald keine Tätigkeit mehr geben, in der der Mensch besser als ein Roboter ist. Vor Kurzem hat er zugegeben, dass er die Menschen unterschätzt und künstliche Intelligenz überschätzt hat. Nicht mal ein Mann, der täglich mit der ausgefeiltesten Technologie umgeben ist, kann in die Zukunft schauen.


Focus Online: Eine aktuelle Studie des IAB besagt, dass 25 Prozent der Deutschen in Jobs mit einem hohen Substituierungspotenzial arbeiten...

Janssen: Das bedeutet lediglich, dass mehr als 70 Prozent der Tätigkeiten in diesen Berufen nach heutigem Stand der Technik durch Maschinen ersetzt werden können. Wenn jetzt nur entscheidend wäre, ob diese Technik verfügbar wäre oder nicht, würde das in der Tat für ein Viertel der deutschen Arbeitnehmer heißen, dass sie arbeitslos wären.


Focus Online: Warum sind sie es dann nicht?

Janssen: Ganz einfach: Es ist nicht alles sinnvoll, was machbar wäre. Neben gesetzlichen und institutionellen Hürden spielt vor allem der Kosten-Nutzen-Faktor eine große Rolle. Für kleine Betriebe lohnen sich oft keine Maschinen oder künstliche Intelligenzen. Oder Mitarbeiter übernehmen neue Aufgaben. Außerdem sind viele Algorithmen noch sehr fehlerbehaftet.


Focus Online: Die Technik ist also noch nicht so weit, wie wir glauben?

Janssen: Es gibt ein Beispiel von Amazon. Die wollten vor fünf Jahren schon ein großes Netz aus diesen Läden haben, in die man reingeht, seine Waren nimmt und wieder rausgeht. Das Geld soll dann automatisch von der Kreditkarte abgebucht werden. Aber bis auf einen Beispielladen gibt es bisher nichts - weil sie große Probleme mit der Umsetzung hatten.


Focus Online: Trotzdem sehen wir im Supermarkt immer weniger Kassierer und immer mehr Selbstzahlerkassen. Hier fallen Berufe jetzt schon weg.

Janssen: Es werden sicher Tätigkeiten wegfallen, das tun sie aber schon seit vielen Jahren. Genauso wie eben neue Berufe hinzukommen. Aktuelle Berufe können sich aber auch verändern. Durch eine Verschiebung ihrer Aufgaben können vom Aussterben bedrohte Berufsgruppen ihr Aussterben verhindern. Das geht aber nur, wenn ich als Beschäftigter neue Tätigkeiten lerne. Idealerweise sollte die Weiterbildung hier ansetzen, um die Fähigkeiten der Mitarbeiter an die neuen Anforderungen anzupassen.


Focus Online: Bedeutet das, dass sich Menschen durch permanente Weiterbildung am Ende eines Berufslebens in einem ganz anderen Job wiederfinden könnten, obwohl er immer noch gleich bezeichnet wird?

Janssen: Es gab eine deutliche Verschiebung von Tätigkeiten seit den 90er-Jahren bis heute. Routinetätigkeiten haben in dieser Zeit kontinuierlich und stark abgenommen. Der Wandel der Arbeit hat also schon lange begonnen.


Focus Online: Welche Fähigkeiten werden in Zukunft wichtig sein?

Janssen: Unsere Firmenbefragungen zeigen, dass überfachliche Kompetenzen immer wichtiger werden, das könnten beispielsweise kommunikative Fähigkeiten, also verhandeln, beraten oder verkaufen sein oder Sprachkenntnisse. Auch der Umgang mit Menschen aus verschieden Kulturkreisen zählt dazu.

Denn durch die Digitalisierung und Globalisierung arbeiten viele Firmen zunehmend international. Natürlich kann man auch davon ausgehen, dass der Umgang mit der neuen Technologie immer wichtiger wird. Unsere Daten zeigen, dass Firmen mehr in den Umgang mit moderner Technologie investieren.

Was wir in den vergangenen Jahren außerdem beobachtet haben, ist, dass die Anforderungen viel größer werden. Vor allem Firmen, die schon in moderne digitale Technologien investiert haben, wollen deshalb, dass ihre Mitarbeiter sich höher qualifizieren, zum Beispiel mit einem berufsbegleitenden Studium.


Focus Online: Was können Arbeitnehmer konkret tun, um in der modernen Arbeitswelt zu bestehen?

Janssen: Sie sollten aufmerksam bleiben, was die Entwicklung in ihrem Beruf und ihrer Firma angeht - auch wenn sie sich nicht betroffen fühlen. Es schadet nie, neue Fähigkeiten und Horizonte zu entdecken. Informieren Sie sich über Möglichkeiten der Weiterbildung und deren Finanzierung. Es gibt viele Beratungsstellen und Fördermittel, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern nicht ausgeschöpft werden, weil sie einfach nicht davon wissen.

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Focus Online: Sehen Sie Deutschland in dieser Hinsicht dafür gerüstet, auch in Zukunft wirtschaftlich stark zu bleiben?

Janssen: Diese Frage ist schwer zu beantworten, da es wenige international vergleichbare Studien dazu gibt. Überdies würde dies ja auch wieder nach einem Blick in die Zukunft verlangen. Allerdings gibt es in Deutschland beispielsweise keinen vergleichbar starken Lohneinbruch in der Mitte der Lohnverteilung, wie wir ihn aus den USA kennen.

Das ist ein Anhaltspunkt, dass unser Ausbildungssystem den Menschen auch im Arbeitsleben noch lange weiterhilft. Das liegt daran, dass es regelmäßig von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern an den technologischen Wandel angepasst wird. Ich glaube deshalb, dass wir aktuell gut gerüstet sind. Die Zukunft wird zeigen, ob das stimmt.

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