Karl Marx' Staunen im Angesicht der in der bürgerlichen Gesellschaft entwickelten Produktivkräfte ist gut belegt. Die Bourgeoisie habe bislang unerreichte „Wunderwerke" geschaffen, heißt es im „Manifest der Kommunistischen Partei". Die Produktivkräfte seien jedoch von bereits überkommenen Produktionsverhältnissen gefesselt, die perspektivisch gesprengt werden müssten. Dieser Gedanke wurde von verschiedenen in der marxistischen Tradition stehenden Denkrichtungen zur Grundlage teleologischer Geschichtsphilosophien gemacht, in denen der technologische Fortschritt die zukünftige Emanzipation verbürgt. Allerdings finden sich im Marx'schen Werk, also in den veröffentlichten Texten, unveröffentlichten Manuskripten, Briefen und den Exzerptheften, die bis jetzt nur teilweise im Rahmen der historisch-kritischen Marx-Engels-Gesamtausgabe erschienen sind, genügend Äußerungen, die ein deutlich kritischeres Verhältnis zur Technologie erkennen lassen.
Überhaupt davon auszugehen, dass Marx von den 1840er- bis in die 1880er-Jahre eine konsistente Position bezüglich der Rolle von Technologie vertreten habe, wäre ein Irrtum. Vielmehr gilt es, die Brüche, Inkonsistenzen und Ambivalenzen herauszuarbeiten, die oft in Zusammenhang mit den Autor:innen stehen, die Marx an verschiedenen Zeitpunkten seines Schaffens gelesen hat, und die teils selbst einzelne Werke, wie „Das Kapital", durchziehen. Das ist das Anliegen, das die amerikanische Philosophin Amy Wendling in ihrem bereits 2009 im englischen Original veröffentlichten Buch „Karl Marx über Technologie und Entfremdung" verfolgt. Sie unterzieht eine Reihe bekannter und weniger bekannter Texte einer gründlichen Relektüre, um eine Verschiebung der Perspektive auf Arbeit, Technologie und Revolution herauszuarbeiten, die mit Marx' Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Materialisten wie Hermann von Helmholtz und der Wissenschaft der Thermodynamik zusammenhängt. Ergänzt und begleitet wird die Untersuchung von Überlegungen, wie die Kritik kapitalistischer Verhältnisse überhaupt möglich ist, wenn diese Produktionsweise selbst Wissensformen hervorbringt, die ihre „begrifflichen Voraussetzungen" nicht reflektieren (S. 25), und somit den Kapitalismus naturalisieren. Wendlings Buch, so viel sei vorweggenommen, schafft es nicht, beide Problemfelder vollkommen überzeugend zu bearbeiten, ist als Studie zu Marx' kritischer Theorie der kapitalistischen Gesellschaft aber durchaus lesenswert.
Wendling beginnt mit einer Analyse des Marx'schen Entfremdungsbegriffs. Louis Althussers These, dass es zwischen dem „jungen" und dem „reifen" Marx einen epistemologischen Bruch gegeben habe, bei dem die Entfremdungsproblematik auf der Strecke geblieben sei, lehnt sie ab. Stattdessen betont sie werkimmanente Kontinuitäten, die sie am Unterschied zwischen „Vergegenständlichung" und „Entfremdung" festmacht. Der erste Begriff beziehe sich auf die „Humanisierung und Vergeistigung der natürlichen Welt" (S. 31), die die menschliche Gattung durch die formgebende Kraft der Arbeit bewirke. Seien jedoch Produktionsmittel und Produkte Privateigentum einiger Weniger, seien die Produzent:innen von der Arbeit und ihrem Produkt entfremdet.
Später spricht Wendling auch von „technologische[r] Entfremdung", da diejenigen, die über nichts als ihre Arbeitskraft verfügten, zum Überleben gezwungen seien, Arbeit mit Maschinen „die ihnen nicht gehören und die sie nicht verstehen" (S. 80) zu verrichten.
„Maschinenfetischismus" nennt sie es, wenn - Analog zum Warenfetisch, in dem der Wert einer Ware als deren natürliche Eigenschaft erscheint - menschliche Eigenschaften der Maschine zugeschrieben werden. In dieser sei zwar „lebendige Arbeit" und „menschliche[s] Wissen" vergegenständlicht, doch blieben die vom Eigentum an Produktionsmitteln ausgeschlossenen Arbeiter:innen von ihr entfremdet (S. 78).
Die Ausführungen zu Marx' Auseinandersetzung mit der Thermodynamik gehören zu den spannendsten Passagen des Buches. Sie zeigen, dass Marx stets versuchte, auf der Höhe der (Natur-)Wissenschaft seiner Zeit zu bleiben. Mit Anson Rabinbach, der schon zuvor auf den Zusammenhang von thermodynamischer Wissenschaft und einem neuen Verständnis von Arbeitskraft und menschlicher Körperlichkeit im 19. Jahrhundert hingewiesen hat, postuliert Wendling eine „energetizistische Wende" im Marx'schen Werk. Das Hegelianische „ontologische Modell von Arbeit" sei zunehmend von einem thermodynamischen verdrängt worden (S. 83). Um die Einführung neuer Begriffe zu erklären, zieht sie Exzerpthefte aus den frühen 1850er-Jahren heran, in denen Marx' Studien der Dampfmaschine oder des naturwissenschaftlichen Materialisten Ludwig Bücher dokumentiert sind. Galt Marx die Arbeit zunächst als spezifisch menschliche Aktivität, welche die nicht-menschliche Natur vergeistigten konnte, führt er nun den Begriff der Arbeitskraft als Beschreibung für abstrakte, quantifizierbare Energieverausgabung ein, die sich nicht wesentlich von der Tätigkeit von Tieren oder Maschinen unterscheide. Trotzdem greift er auch in seinen späten Werken noch auf die Entfremdungstheorie zurück, um die auf Reduktion von Arbeit auf bloße Arbeitskraft zu kritisieren, was voraussetzt, dass die menschliche Arbeit qualitativ einzigartig sei. Wendling zufolge stünden beide Arbeitsbegriffe in einem teils spannungsreichen Verhältnis, was notwendigerweise zu Inkonsistenzen im Text führe.
Der Einsatz von Maschinen in der kapitalistischen Produktion reduziert die Rolle der Arbeiter:innen tatsächlich darauf, repetitive Teilarbeiten zu verrichten, die nicht mehr sinnvoll mit dem Modell von Arbeit als vergeistigter Tätigkeit beschrieben werden können. Diese technologische Entwicklung birgt aber auch emanzipatorisches Potenzial. Im dritten Kapitel wendet sich Wendling dem sogenannten „Maschinenfragment" aus den 1857/58 verfassten Manuskripten, die unter dem Titel „Grundrisse" bekannt sind, zu. Dort spekuliert Marx darüber, welche Rolle Maschinen in einer kommunistischen Zukunft spielen könnten, wenn die menschliche Arbeit durch weitgehende Automatisierung auf ein Minimum reduziert wäre.
Wendling argumentiert ähnlich wie Moishe Postone, wenn sie betont, dass Maschinen nicht nur in der Lage seien, menschliche Arbeit zu ersetzen, sondern so auch „ungeahnten materiellen Reichtum" zu produzieren, der nicht mehr mittels der an die Verausgabung menschlicher Arbeit gekoppelten kapitalistischen Wertform gemessen werden müsste. Unter diesen Bedingungen ließen sich neue Beziehungsweisen denken, die nicht durch Knappheit strukturiert seien, sondern freie Zeit und Genuss in den Vordergrund stellten.
Daran anschließend analysiert Wendling die Darstellung des kapitalistischen Gebrauchs von Maschinen im „Kapital". Dort fehle die Vision einer nicht-entfremdeten Gesellschaft, die „Symbiose" von Mensch und Maschine in der Produktion bringe bloß „monströse und deformierte Lebensformen" hervor (S. 166). Arbeiter:innen erschienen als „gleichgültige Teile der Systeme des Energieaustauschs" (S. 167) deren Tätigkeit zur „Tortur" (S. 180) werde.
Neben ihrer Rekonstruktion der Marx'schen Theorie reflektiert Wendling auch die unterschiedlichen Arten von Wissen, die die kapitalistische Produktionsweise hervorbringt. Während das energetizistische Modell menschliche Arbeit auf bloße Verausgabung von Arbeitskraft innerhalb des maschinellen Produktionsprozesses reduziere, gewönnen technophobe Diskurse an Einfluss. Deren Rhetorik zeichne sich durch Bezugnahmen auf die „Monstergestalten der Moderne" (S. 193) wie Vampire, Werwölfe oder Zyklopen aus, mittels derer die Verwerfungen des industriellen Kapitalismus kritisiert würden. Wendling weist darauf hin, dass diese „Dämonisierung der Moderne" häufig Gruppen, wie etwa Juden, treffe, welche herangezogen würde, um die schlechten Seiten der Moderne zu konkretisieren (S. 190). Den nostalgischen Humanismus, der sich vorindustrielle Gemeinschaften zurücksehnt, liest sie also als tendenziell antisemitisch. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sie im Schlusskapitel Martin Heidegger als einen Vertreter der reaktionären Technophobie des 20. Jahrhunderts identifiziert.
Marx klagt die Monstrositäten des Fabriksystems unter der Herrschaft des Kapitals freilich ebenfalls an. Und er bedient sich der Rhetorik des energetizistischen Paradigmas, das Wendling zufolge mit dem Humanismus gebrochen hat. Ihre originelle Auflösung dieses Widerspruchs besteht darin, Marx zu unterstellen, dass er die innerhalb des Kapitalismus hervorgebrachten Diskurse - ob thermodynamisch oder reaktionär-humanistisch - im „Kapital" im Sinne einer „ performance " vorführe (S. 20). Es sei also nicht Marx selbst, der hier spreche, sondern vielmehr gebe er die im Kapitalismus vorherrschenden Denkformen wieder. Das mag auf den ersten Blick plausibel scheinen und könnte Marx gegen den Vorwurf der Selbstwidersprüchlichkeit immunisieren, ist aber nicht durch Textstellen belegt und bleibt insofern thesenhaft. Darüber hinaus hat das Beharren auf der Vielstimmigkeit des Marx'schen Textes zur Folge, dass die Leser:in auch in Wendlings Ausführungen mitunter den Überblick darüber verlieren kann, wer nun eigentlich spricht: wissenschaftliche Materialisten, kapitalistische Humanisten, Marx oder Wendling selbst.
Überhaupt tendiert Wendling manchmal dazu, Positionen von Marx zu darzustellen, ohne ihre Ausführungen durch Zitate oder Verweise auf die entsprechenden Texte zu stützen. Aussagen wie die These, dass sich der Marx'sche Revolutionsbegriff unter dem Einfluss des thermodynamischen Konzepts der Entropie so gewandelt habe, dass die Vorstellung einer „akteursbasierten politischen Revolution" (S. 121) gegenüber der selbstwidersprüchlichen Dynamik eines quasi-energetischen Systems zurückgetreten sei, werden schlicht nicht belegt. Während in Texten von manch einem deutschen Marx-Forscher die philologische Präzision auf Kosten der Lesbarkeit geht, lassen sich hier Ungenauigkeiten bei der Verwendung zentraler Kategorien wie abstrakter Arbeit, Gebrauchs- oder Tauschwert ausmachen. So wird beispielsweise die repetitive „Teilarbeit", die Arbeiter:innen an Maschinen verrichten, mit abstrakter Arbeit identifiziert (S. 74), obwohl es sich doch um eine Form der konkreten Arbeit handelt.
Nichtsdestotrotz ist Wendlings Buch eine lesenswerte Studie zum Marx'schen Technologieverständnis. Sie zeigt, wie Marx in reger Auseinandersetzung mit der Wissenschaft seiner Zeit die Möglichkeiten und Risiken der raschen Einführung großer Maschinerie in die kapitalistische Produktionsweise für eben jene auslotete, die die Maschinen bedienten und zugleich stets fürchten mussten, dass diese ihre Arbeitskraft überflüssig machen und sie in zunehmend prekäre Lebensverhältnisse drängen würden. Das Buch zeigt auch, dass Marx zwar im Großen und Ganzen einen „positiven Begriff der Technisierung" hatte (S. 161), sein Werk aber zu viele Brüche und Inkonsistenzen enthält, als dass sich aus den verstreuten Passagen eine Geschichtsphilosophie ableiten ließe, die die fortschreitende Entwicklung der Produktivkräfte zum Garant für das Glück der Menschheit macht.
Dass das nicht zuletzt aus ökologischen Gründen kaum der Fall sein dürfte, ist ein Thema, das Wendling im Buch leider weitgehend ignoriert. Die deutsche Übersetzung enthält zwar ein neues Vorwort, in dem sie kurz auf die Kritik durch den Ökosozialisten Kohei Saito an einem von ihr ursprünglich falsch verwendeten Zitat eingeht, doch wurde der Haupttext inhaltlich nicht überarbeitet. Die Pointe von Saito war jedoch, dass Marx durch die Lektüre der Schriften Justus von Liebigs, die bei Wendling nur eine geringfügige Rolle spielen, angeregt wurde, dem kapitalistischen Raubbau an der Natur mehr Beachtung zu schenken. In Anbetracht der Klimakrise stellt die Aussparung ökologischer Fragen ein Versäumnis dar.
Trotz alledem macht Wendlings Darstellung der Auswirkungen kapitalistischer Produktion auf Körper und Geist der Arbeiter:innen deutlich, dass die Vision einer nicht-entfremdeten Produktionsweise und die Vorstellung eines „Humanismus des Kommunismus" (S. 22), der die vortechnisierte Vergangenheit nicht verklärt, seit Marx' Tagen nichts an Aktualität eingebüßt haben.