Mit den Schnäpsen verschwimmen die Hygieneregeln an Tischen und Wänden. Es ist noch nicht mal 19 Uhr, jemand stapft in Skihose durch die Bar, andere sitzen im Paillettenkleid oder mit weit aufgeknöpften Hemden an den hohen Holztischen. Eine ältere Französin hebt eine tropfende Champagnerflasche aus dem Eimer, schenkt dem jungen Italiener ein, den sie eben kennengelernt hat. Hirschgeweihe stieren in den Raum, neben Fotos von Lokallegenden, Herzchenstickern und einem Warnschild, auf dem steht: "Trinke niemals Wasser." Lila und grüne Partylichter strahlen auf die Balken an der Decke. Der DJ spielt den Ballermann-Hit "Ich schwanke noch". Willkommen in "Nikis Stadl". Eine Après-Ski-Legende in Ischgl - und ein verrufener Name in dieser Pandemiegeschichte.
Zwischenrechnung für Tisch 5718, bevor man gar nichts mehr versteht, weder das mit den neuen Corona-Fällen und dem Abstand, noch die 160 Schnäpse und ein paar Bier auf dem Zettel. 587 Euro. Die Männergruppe aus Köln johlt. "Das ist ja noch gar nichts!", schreit Siggi, der Anführer, der eigentlich Christian heißt, aber "Siggi", na ja, klingt lustiger. Sie jubeln bei dreistelligen Summen auf der Rechnung, wenn sie denn ehrlich ertrunken und nicht mit Radler gepanscht sind. Bis zur Sperrstunde um 22 Uhr knacken sie die 1000 Euro.
Alle sechs Jungs sind Ende 20, Singles und erfolgreich, Unternehmensberater, Metallbauer, aber wenn sie in Nikis Stadl sind, spielt das keine Rolle. Dann zählt die Gegenwart, der Moment. Mehr kann man sich nach 300 Birnenschnäpsen, die sie mit Hilfe einiger Gäste bis zur Sperrstunde zusammenbekommen, auch nicht merken.
Alkohol macht unvorsichtig, in einer Pandemie aber braucht es Vernunft und Voraussicht. Mit Alkohol ist Schauen schon schwer, Vorausschauen aber unmöglich. Dabei muss Ischgl jetzt aufpassen. Wo doch die halbe Welt auf den Ort blickt. ...