Koks, Crack, Heroin, Crystal, Ecstasy aus der Apotheke? Der Suchtforscher Heino Stöver sagt: Es braucht neue Wege, um Abhängigen zu helfen und Jugendliche zu schützen.
Die Legalisierung von Cannabis in Deutschland kommt, zumindest ein bisschen. Am Freitag befasste sich der Bundesrat mit dem Gesetz, Anfang Oktober ist es zur ersten Lesung im Bundestag, im Dezember soll es verabschiedet werden. Die Debatten darum sind stark emotionalisiert, doch einige Experten sehen im Cannabisgesetz nur den ersten Schritt zu einem anderen Umgang mit Drogen: Alkohol und Tabak sollten demnach restriktiver behandelt werden, die bisher illegalen Substanzen offener. Ein prominenter Fürsprecher dessen ist der Sozialwissenschaftler Heino Stöver, der das Institut für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences leitet.
ZEIT ONLINE: Herr Stöver, die Bundesregierung wird erst mal nicht vollständig legalisieren. Stattdessen kommt ein kompliziertes Zwei-Stufen-Modell. Ist das sinnvoll?
Heino Stöver: Dass der Eigenbedarf von Cannabis und der private Anbau entkriminalisiert werden soll, ist ein kleiner Schritt vorwärts. Das ist ein notwendiger Tabubruch angesichts einer Drogenpolitik, die seit 50 Jahren ausschließlich auf Strafverfolgung gesetzt hat. Aber ab wann man Cannabis unkompliziert in lizenzierten Fachgeschäften kaufen kann, steht weiterhin in den Sternen. Nur das wird aber den Schwarzmarkt eindämmen.
Heino Stöver
Stöver leitet das Institut für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences und engagiert sich seit den Achtzigerjahren in der akzeptierenden Drogenarbeit. Er ist Mitglied im Schildower Kreis, einem Zusammenschluss von Experten und Forschenden, die eine Legalisierung von Drogen befürworten.
ZEIT ONLINE: Dafür sind doch Cannabisclubs vorgesehen. Diese Anbauvereinigungen sollen Gras zum Selbstkostenpreis anpflanzen und die Qualität der Ware regelmäßig durch Schnelltests oder im Labor überprüfen.
Stöver: Ich fürchte, dass viele Menschen keine Lust haben werden, in einen Club einzutreten, und sich deshalb zunächst weiter auf dem Schwarzmarkt eindecken werden. Ohne zu wissen, was man da kauft. Letztlich enttäuscht mich aber etwas viel mehr: Dass sich die Politik beim Thema Drogen ausschließlich auf Cannabis kapriziert. Dabei steigt die Zahl der Drogentoten in Deutschland seit mehr als zehn Jahren. Das können wir doch nicht einfach weiter hinnehmen. Man hätte in der Debatte das Momentum nutzen müssen, um über die Entkriminalisierung und Legalisierung anderer Substanzen zumindest nachzudenken.
ZEIT ONLINE: Sie sind für diese umstrittene Position bekannt - und Sie dürften damit bei vielen, auch bei Therapeuten oder Ärzten, Kopfschütteln auslösen.
Stöver: Ja, ich fordere die Legalisierung aller Drogen für Erwachsene. Aber niemand will, dass am Kiosk verfügbar ist wie eine Flasche Bier. Man kann darüber nachdenken, ob unter sehr strikten Bedingungen eine legale Abgabe von allen Drogen möglich ist. Substanzen wie Kokain, Amphetamin, Ecstasy oder Heroin könnten beispielsweise apothekenpflichtig sein. Sie bergen deutlich größere gesundheitliche Risiken als Cannabis, also bräuchte es auch eine risikobasierte, höher angesetzte Schwelle für die Abgabe.
ZEIT ONLINE: Was soll das bringen? Drogensüchtige brauchen doch Hilfe und Sie wollen, dass Ärzte ihnen die Sucht per Rezept erleichtern?
Stöver: Die gesamte Argumentation, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zur Legalisierung von Cannabis vorträgt, gilt doch für andere Substanzen noch viel stärker: Wir müssen Konsumenten davor schützen, gepanschten Stoff auf dem Schwarzmarkt zu kaufen. Und Opioide, Kokain, Crack, Heroin, Crystal Meth, aber auch Amphetamine und sind viel mehr gepanscht als Cannabis. Das macht die Drogen gefährlicher und riskanter, als sie sein müssten. Wären Qualität und Reinheit sichergestellt und wüsste man genau, wie viel drin ist, gäbe es weniger Drogennotfälle und auch weniger Todesfälle. Und das sollte doch unser Ziel sein.
ZEIT ONLINE: Für dieses Ziel braucht es keine Legalisierung aller Drogen: Man könnte auch Drugchecking wie jetzt in Berlin ausweiten und Eigenbedarfsmengen erlauben.
Stöver: Das wäre auch ein erster Schritt. Drugchecking kann eine Hilfe sein, also die chemische Laboranalyse von Drogen, um nach Verunreinigungen zu suchen und Konsumenten und Konsumentinnen aufzuklären. Darüber hinaus könnte man aber auch Konsumeinheiten definieren, die als Eigenbedarf gelten. Dafür könnte man sich am Beispiel Portugals orientieren. Dort sind der Besitz und Konsum von zehn Tagesrationen, also 25 Gramm Marihuana, zehn Pillen Ecstasy, einem Gramm oder einem Gramm Heroin seit 2001 entkriminalisiert. Das ist eine erste Einschätzung, was Eigenbedarf bei diesen Substanzen eigentlich sein könnte.
ZEIT ONLINE: Entkriminalisiert bedeutet aber nicht legalisiert.
Stöver: Das stimmt. Wird man in Portugal mit der Eigenbedarfsmenge der jeweiligen Substanz erwischt, wird man an Drogenberatungsstellen verwiesen. Alles, was darüber liegt, wird auch in Portugal strafrechtlich verfolgt. Aber die meisten Konsumenten werden so nicht mehr als Straftäter betrachtet, sondern als Menschen, die Unterstützung brauchen. Das halte ich für den menschlicheren Ansatz. In Portugal haben auch alle Konsumierenden ein Recht auf Therapien und andere Hilfen. Aber auch dort wissen sie letztlich nichts über die Zusammensetzung, Wirkstoffkonzentration oder mögliche Verunreinigungen der Substanzen, die sie immer noch auf dem Schwarzmarkt kaufen müssen.
ZEIT ONLINE: Wer soll Kokain, Amphetamin, Ecstasy und Heroin Ihrer Meinung nach in der Apotheke kaufen dürfen? Wie stellen Sie sicher, dass Jugendliche nicht drankommen?
Stöver: Ich habe dafür kein fertig ausgearbeitetes Konzept in der Schublade. Das ist eine Debatte für die nächsten zehn, 20 Jahre. Mir ist schon klar, dass wir davon gesellschaftlich und politisch weit entfernt sind. Aber ich weiß aus meiner Forschung: Die Kriminalisierung von Drogen macht alles nur schlimmer. Und wir kommen da nur raus, wenn wir den Menschen einen legalen Zugang schaffen - mit welchen Zugangsvoraussetzungen und Hürden müssen wir diskutieren. So wie es jetzt ist, kann es jedenfalls nicht weitergehen.
ZEIT ONLINE: Wie ist es denn jetzt?
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