Marlene Halser

freie Reporterin für Print, Audio und Video, Berlin

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Artikel

Drugchecking: Reine Ekstase

Illustration: Erich Brechbühl

Cannabis, Kokain, MDMA: Häufig sind diese Drogen verunreinigt, der Konsum wird unberechenbar. Mit Drugchecking lassen sich eigene Drogen testen. Eine Reportage aus Thüringen.


Zwei bedenkliche Funde wird der Mikrobiologe Felix Blei in dieser Nacht in seinem Drogentestlabor hinterm Club machen. So bedenklich, dass er die getesteten Substanzen später zur Überprüfung in ein Labor schicken wird. "Um sicher zu gehen", wie er sagt, und damit man "über Soziale Medien einen Warnhinweis an Konsumentinnen rausgeben kann."

Es ist Freitag nach Mitternacht an einem Ort in Thüringen, der nicht genannt werden darf. Im unbeleuchteten Garten eines Clubs, dessen Name nicht öffentlich werden soll. "Klientelschutz" lautet die Begründung für die Geheimhaltungspflicht, um die die Veranstaltungscrew gebeten hat. Denn: Drogenkonsum ist in den meisten Fällen illegal und entsprechend stigmatisiert. Außerdem wollen die Veranstalter:innen vermeiden, dass Polizist:innen vorbeikommen und die Partygäste kontrollieren. Also veröffentlichen auch die Organisator:innen des Drugcheckings nicht, wo sie bei ihrem Einsatz zu finden sind.

Drugchecking ist die chemische Analyse von illegalen Drogen wie Ecstasy, Amphetamin, Kokain, Cannabis, LSD, oder Magic Mushrooms zur Aufklärung von Konsument:innen. In Deutschland ist es umstritten. Bis dato ist es nur unter der rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen erlaubt.


Mehr als 96 Millionen Europäer:innen zwischen 15 und 64 Jahren haben laut dem Europäischen Drogenbericht von 202 mindestens einmal im Leben illegale Drogen konsumiert. Das entspricht einem Anteil von 29 Prozent, Erhebungen aus Deutschland decken sich damit. Auf Platz eins liegt laut dem Bericht Cannabis, gefolgt - jedoch mit großem Abstand - von Kokain, dann MDMA, dem Wirkstoff von "Ecstasy" und Amphetamin.

Das Problem ist: Drogenkonsument:innen kaufen eine bunte Pille oder eine kleine Phiole mit Pulver bei einer Person, die aus rechtlichen Gründen nicht sagen darf, bei wem sie das Produkt erworben hat. Qualitätskontrollen, eine Konsumanleitung, oder einen Beipackzettel, der verrät, was drin ist und auf Risiken und Nebenwirkungen hinweist, gibt es nicht. Das Risiko, dass dabei etwas schiefgeht, ist groß. Aber so muss es nicht sein.

Im Garten hinter dem Club steht ein weißes Zelt auf einer mit Laub bedeckten Wiese. Drinnen warten Felix Blei, ein muskulöser Mann mit blauen Augen, Pferdeschwanz, Vollbart und Undercut, und seine Crew, dass die ersten Partygäste kommen, um ihre illegalen Substanzen einer chemischen Analyse zu unterziehen. Ein schneller Psytrance-Bass versetzt das alte Club-Gemäuer nebenan in ein rhythmisches Scheppern, das auch im Garten noch zu hören ist. Feiernde drängen sich draußen in kleinen Grüppchen zusammen, plaudernd und lachend blasen sie Rauchwolken in die Luft. Ihre Stimmen vermischen sich mit dem Beat.


Ein junger Mann Anfang Zwanzig duckt sich unter der Eingangsplane ins Zelt setzt sich an einen Klapptisch. Der Heizlüfter surrt. "Was hast Du uns denn mitgebracht?", fragt Blei im weißen Kittel mit freundlicher Stimme und einem Lächeln. "Pep." Der Mann wirkt wie Anfang Zwanzig, mit Käppi, Schnauzer und selbstgedrehter Zigarette hinter dem Ohr. Er friemelt ein Plastiktütchen mit weißem Pulver aus seinem Brustbeutel. 'Pep' steht für Amphetamin, auch als "Speed" bekannt.


"Ok, dann bitte ich Dich, mir hier drauf 35 Milligramm davon abzuwiegen", sagt Blei routiniert. Dabei reicht er dem Mann einen frischen Spatel und platziert ein kleines blaues Plastikschälchen auf der Metallfläche einer Digitalwaage.

Blei ist Gründer des Start-ups Miraculix in Jena. In Zusammenarbeit mit der Thüringer Suchthilfe bietet sein Unternehmen seit Juni 2021 integriertes Drugchecking auf Partys und Festivals in Thüringen an, also die Substanzanalyse in Kombination mit einem Beratungsgespräch. ALIVE nennen sie ihr Projekt. Das steht für analysebasierte Intervention.


Drugchecking erklärt Felix Blei so: "Stell dir vor, du gehst in eine Bar, auf der Karte steht einfach nur ,Alkohol'", sagt der 33-Jährige. "Die einzige Chance, die du hast, um herauszufinden, wie viel Prozent das Getränk hat, ist ein Glas davon zu bestellen und es zu trinken." Ein waghalsiges Experiment sei das, sagt Blei. "Alkohol kann fünf Prozent haben, aber auch 40 Prozent. Von einem leichten Schwips bis hin zum Koma ist bei diesem Experiment alles möglich." Genau das sei in Deutschland die Situation bei verbotenen Rauschmitteln.


Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht warnt davor, dass Ecstasy-Pillen, die auf dem Schwarzmarkt verkauft werden, immer größere Mengen des Hauptwirkstoffs MDMA enthalten und oft stärker sind, als von Konsument:innen erwartet. Mit dem MDMA-Gehalt steigt auch die Belastung fürs Heizkreislaufsystem, mit zum Teil schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen. Für Konsument:innen, die nicht wissen, wie viel MDMA in ihrer Pille ist und die entsprechend auch nicht wissen, wie sie dosieren sollen, ist der Trip ähnlich vorhersagbar wie die gewürfelte Augenzahl beim Roulette.


"Der Schwarzmarkt ist ein absolut unvernünftiger Markt", sagt auch Sozialarbeiter Sebastian Franke anderntags im Videochat aus dem Erfurter Büro der Thüringer Suchthilfe. Gemeinsam mit seinem Kollegen Patrick Krauße, der ebenfalls am Videochat teilnimmt, hat er das Thüringer Drugchecking Modell seit 2018 im Auftrag des Landesgesundheitsministeriums konzipiert. "Wir können mit so einem Drugcheckingangebot im Zweifel Leben retten", sagt Krauße.


Leben, die nicht nur durch zu starke Pillen gefährdet sind. Auch Verunreinigungen etablierter Drogen mit sogenannten Research Chemicals - also chemischen Verbindungen, zu denen es keinerlei Forschung gibt - sind ein Risiko. Dazu gehören auch synthetische Cannabinoide. Stoffe also, die Wirkung von THC imitieren und an dieselben Rezeptoren im Gehirn andocken. "Potente synthetische Cannabinoide können toxischer sein und zu stärkeren psychischen, physischen und verhaltensbedingten Wirkungen führen als Cannabis, wobei auch von schweren und tödlichen Vergiftungen berichtet wird", warnt die Europäische Beobachtungsstelle in einem aktuellen Bericht. Der Mikrobiologe Felix Blei warnt ebenfalls: "Zum einen können synthetische Cannabiniode bis zu zehnmal stärker wirken, als THC." Auch die Nebenwirkungen können gravierend sein. "Ohnmachtsanfälle, Übelkeit, Brechreiz, Kreislaufschwäche, bis hin zu schwerwiegenden Überdosierungen und Todesfällen", zählt Blei auf.


Als widerlegt gilt die von Kritikern von Drugchecking häufig vorgebrachte Befürchtung, die Substanzanalyse suggeriere eine trügerische Sicherheit und verleite so mehr Menschen zu Drogenkonsum. "Drugchecking erreicht Leute, die sowieso schon eine Affinität zu Drogen haben und damit eine Zielgruppe, die auf anderem Wege oft schwer anzusprechen ist", sagt der Sozialarbeiter Patrick Krauße von der Suchthilfe in Thüringen. Es handele sich um Freizeitkonsument:innen, die nicht bei Suchtberatungsstellen auftauchen, weil sie ihren Konsum nicht als problematisch empfinden, die aber womöglich trotzdem nicht immer genau wissen, welche Risiken mit dem Konsum bestimmter Substanzen, oder auch mit Mischkonsum verbunden sind. "Wir erreichen sie im Beratungsgespräch, das zur Analyse gehört, mit präventiven Botschaften und das ist sehr viel wert." Szenenahe Einrichtungen der Suchthilfe fordern Drugchecking seit Jahrzehnten.

Seit Mitte der Neunziger wird in Deutschland über Drugchecking diskutiert. Der Berliner Verein Eve & Rave, der sich aus der Techno Szene gegründet hatte, brachte ab 1995 eigenmächtig Ecstasy Pillen zur chemischen Analyse ins Labor. Zum Schutz und zur Aufklärung der Konsument:innen wurden dort Reinheitsgrad und Konzentration der Inhaltsstoffe bestimmt. Als die Polizei Ermittlungen wegen illegalem Substanzbesitz aufnahm, wurde das Projekt eingestellt.


Bis auf zeitlich und regional begrenzte Ausnahmen in Hannover und Frankfurt wurde Drugchecking in Deutschland danach nie wirklich umgesetzt. Der Versuch, das Konzept bundesweit zu etablieren, scheiterte schon früh am Veto von Union und SPD. Die deutsche Drogenpolitik setzt vor allem auf Abschreckung durch Prohibition und Strafverfolgung. Im Ausland sieht das anders aus. Drugcheckingprojekte gibt es laut einer Auswertung aus dem Jahr 2017 mittlerweile in zwanzig Ländern. Auch deshalb, weil Konsument:innenbefragungen nahelegen, dass Drugchecking bei Menschen, die beim Feiern ohnehin Drogen konsumieren, zu verantwortungsbewussterem Verhalten führt. Vor allem dann, wenn gefährliche Substanzen entdeckt oder unerwartete Ergebnisse festgestellt werden, zum Beispiel sehr hohe Wirkstoffkonzentrationen. Das zeigt eine Metastudie von 2021, die 90 Erhebungen seit 1990 ausgewertet hat . Konsument:innen gehen vorsichtiger mit Drogen um, bei denen ein starker Wirkstoffgehalt festgestellt wird. Sie verzichten oft sogar ganz, wenn gefährliche Inhaltsstoffe nachgewiesen werden.


Im Drugcheckingzelt hat der Mann Anfang Zwanzig mit dem Käppi erfolgreich das weiße Pulver aus dem Tütchen gepult und in ein Extraktionsgefäß mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt. Nun schüttelt er das Fläschchen auf Bleis Anweisung hin, so lange, bis das Pulver aufgelöst ist. "Was hier im ersten Schritt passiert, ist eine zweiphasige Aufreinigung", erklärt Blei dem Mann. So sollen Verunreinigungen und Schwebstoffe entfernt werden. "Das ist besonders bei Ecstasy-Pillen wichtig, weil die in der Regel Farbstoffe enthalten, die sonst das Testergebnis verfälschen." Was genau die verschiedenen Reagenzien enthalten, will Blei nicht verraten. "Firmengeheimnis", sagt er und lächelt.


Gefährliche Beimischung: Methamphetamin

Felix Blei hat als erster Wissenschaftler weltweit Do-it-yourself Schnelltests für verschiedene Substanzen entwickelt. Sie können nicht nur bestimmen, ob der vermutete Wirkstoff enthalten ist, sondern auch, in welcher Konzentration. Im April 2021 gründete Blei zusammen mit Roxana Preuss und Frank Junger Miraculix. Neben Do-it-yourself-Schnelltests für Magic Mushrooms gibt es mittlerweile auch Tests für LSD, MDMA, Amphetamine, sowie für die Hauptwirkstoffe von Cannabis, THC und CBD. Ein Test für Meskalin, einen psychoaktiven Wirkstoff in Kakteen, ist in Arbeit, ein Verfahren zur Konzentrationsbestimmung von Kokain ist geplant. »Wir haben leider nur einen Felix«, sagt Frank Junger und lacht. 

Die Schnelltests schaffen eine Grauzone, die das Drugchecking-Projekt in Thüringen erst möglich macht: Die Konsument:innen testen ihre Drogen vor Ort einfach selbst. Die Drugchecker:innen helfen erst, sobald sich der verbotene Wirkstoff in der Reagenz befindet. Also zu einem Zeitpunkt, an dem sich die chemische Struktur bereits verändert hat und nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Damit entfällt die Frage, ob sich Drugchecker:innen strafbar machen, wenn sie illegale Drogen zu Testzwecken entgegennehmen. 

Im Zelt hinter dem Club untersucht Blei die aufbereitete Substanz in drei verschiedenen Tests. Ein Antigentest soll zeigen, um welche Wirkstoffgruppe es sich handelt und identifiziert Wirkstoffe in geringsten Spuren. Der sieht aus wie ein COVID-Schnelltest, nur dass das weiße Plastikgehäuse vier statt einem Teststreifen fasst. Blei tröpfelt die aufbereitete Substanz in die vier Öffnungen und wartet, bis die Flüssigkeit von den Teststreifen im Inneren des Gehäuses aufgesogen ist. Nach ein paar Minuten ist bei einem Streifen ein roter Balken zu sehen. 

»Das ist schon mal gut«, sagt Blei. »Nur Amphetamin, keine Derivate, kein Meth.« Im letzten Jahr hätten sie in zwei Drittel aller Speedproben Methamphetamin festgestellt, erzählt er. Eine gefährliche Beimischung, wenn Konsument:innen nichts davon wissen. Methamphetamin überwindet die Blut-Hirn-Schranke schneller als Amphetamin. Es wird also langsamer abgebaut, die Wirkung ist stärker und der Rausch dauert länger an. Kieferkrämpfe, Zittern und Schlaflosigkeit sind die Folge. »Wenn du Pech hast, bist du am nächsten Tag mittags immer noch wach«, sagt Blei.    

Dann tröpfelt er die aufbereitete Substanz in ein Fläschchen mit Entwicklerflüssigkeit und von da aus in zwei weitere Gläschen mit Nachweisreagenz. Nach zehn Minuten ist in dem größeren von beiden eine leichte gelbliche Färbung zu sehen, während sich die kleinere stark lila färbt. Er hält eines der Gläschen mit der eingefärbten Flüssigkeit zum Abgleich neben eine auf Papier gedruckte Farbskala, die er selbst entwickelt hat. Umso stärker der Braunton, umso höher die Wirkstoffkonzentration. Bei dieser Probe ist das Ergebnis ockergelb. 27 Prozent Amphetamin. Das sei Standard. Der Rest beim dunklen Lila im zweiten Gläschen sei wahrscheinlich Koffein. 


Herzrasen, erhöhte Körpertemperatur, Kieferkrämpfe

»Okay«´, sagt der Mann. »Darf ich mir hier ‘ne Linie legen?« 

»Also das wäre nicht so angebracht«, sagt Blei in gleichbleibend freundlichem Ton. »Wenn ihr das hier in einen Konsumraum verwandelt, dann wird das, was wir hier machen, illegal.« 

»Ach so, ja klar«, sagt der Mann, nickt und folgt einem der beiden Mitarbeitenden der Suchthilfe nach draußen. 

Dreizehn Substanzen wurden an diesem Abend im Drugcheckingzelt getestet. Sechsmal Amphetamin, dreimal Cannabis, dreimal Kokain, einmal MDMA. Die stärkste Amphetamin-Probe hatte einen Wirkstoffgehalt von knapp 60 Prozent. Eine Überdosis kann Folgen haben, wie etwa Herzrasen, erhöhte Körpertemperatur, Kieferkrämpfe, bis hin zu Nervenschäden.

»Besorgniserregend waren eine der Cannabisproben, sowie das getestete MDMA«, sagt Blei. Das Cannabis enthielt kein THC, sondern nur CBD. »Das ist meist schon ein Hinweis darauf, dass synthetische Cannabinoide aufgesprüht sind.« Und tatsächlich: Der Antikörpertest schlug bei sogenannten PINACAs an, also auf Indazol basierenden synthetischen Cannabinoiden. »Die Person, die diese Probe gebracht hat, will das vermeintliche Cannabis nach der Auswertung sicher nicht mehr konsumieren«, sagt Blei.  

Ähnlich die MDMA-Probe. Statt MDMA enthielt sie MDA. »Ein synthetisches Amphetaminderivat, das härter und stärker wirkt, zudem leicht halluzinogen.« Mögliche Nebenwirkungen: Übelkeit, Brechreiz, Schweißausbrüche, Koordinationsstörungen und Zittern. Außerdem steht MDA in Verdacht, sowohl neurotoxisch, als auch leberschädigend zu sein. Das legen Experimente mit Mäusen nahe, klinische Studien am Menschen gibt es bisher keine. Bei regelmäßigem Konsum könne MDA außerdem zu Schizophrenie-ähnlichen Symptomen führen. 

Es ist bald drei Uhr. Drinnen im Club sägt nach wie vor der Bass. Im Zelt ist es stickig vom Heizlüfter, der seit Stunden auf Vollgas läuft. »Ab einer bestimmten Uhrzeit sind die Leute einfach zu drauf, um die Tests noch selbst durchzuführen«, erklärt ein Mitarbeiter der Thüringer Suchthilfe. Für Blei und seine Kollegen ist es an der Zeit, nachhause zu gehen. 

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