Marlene Halser

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Cannabis: Die Drogenpolitik braucht einen Dammbruch

Nun ist es offiziell: Eine flächendeckende Legalisierung von wird es in Deutschland in dieser Legislaturperiode wohl nicht geben. Das zeigt ein lang erwartetes zweites Eckpunktepapier zu Cannabis, das Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) am Mittwoch vorgestellt haben.

Darin enthalten ist ein sogenanntes Zwei-Säulen-Modell. Das sieht vor, dass zunächst der Kauf und Besitz von Cannabis entkriminalisiert wird, mit Cannabis-Clubs sollen außerdem Vereine entstehen, die Cannabis anbauen und zum Selbstkostenpreis an ihre Mitglieder abgeben. Erst in einem zweiten Schritt soll dann der kontrollierte Anbau, Vertrieb und Handel mit Cannabis erprobt werden, zunächst in regionalen, auf fünf Jahre begrenzten Modellregionen.

Das klingt, man kann es nicht anders sagen, erstmal nach einer Enttäuschung - und einem Bruch dessen, was im Koalitionsvertrag steht. Aber wer genauer hinschaut, kann darin auch eine Chance sehen. Dafür - ja, so groß ist die Sache - die gesamte internationale Drogenpolitik zu überdenken und schrittweise zu verändern.

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Tatsächlich ist Karl Lauterbachs Vorhaben primär an internationalen Vorschriften gescheitert, die nur vermeintlich zum Schutze der Gesundheit entstanden sind. Im Einzelnen sind das die Drogen-Abkommen der Vereinten Nationen, der Schengen-Gemeinschaft und der Europäischen Union. Blickt man detailliert in die Historie, stellt man mit Erstaunen fest, dass diese Übereinkommen vor allem auf politischen Bestrebungen der USA basieren - von der ersten Opiumkommission im Jahr 1909 bis hin zum Verbot psychedelischer Substanzen in den 1970er Jahren.

Auch wenn das aus heutiger Sicht der einzig schlüssige Gedanke wäre: Cannabis wurde - ebenso wie alle anderen illegalisierten Substanzen - nicht etwa verboten, weil man die Menschen vor gesundheitlichen Risiken schützen wollte. Das hat unter anderem die Freiburger Historikerin Helena Barop für ihr 2021 erschienenes Buch Mohnblumenkriege akribisch recherchiert und aufgearbeitet.

Barop schildert darin detailliert, dass die völkerrechtlichen Abkommen, die die EU und damit auch Deutschland aktuell bindend von einer umfassenden und kontrollierten Legalisierung abhalten, teils schlicht auf diffusen Ängsten westlicher Nationen und einer von Rassismus geprägten Weltsicht beruhen. So waren es etwa Ressentiments gegen opium-rauchende chinesische Gastarbeiter in Kalifornien, die darin mündeten, dass ihre Konsumtechnik verboten wurde, während es Laudanum, die von der weißen Bevölkerung verwendete Opium-Tinktur, weiterhin legal in der Apotheke zu kaufen gab.

Das Ergebnis ist eine Drogenpolitik, die nüchtern betrachtet keinen Sinn ergibt. Einfach deshalb, weil sie sehr unterschiedlich wirkende Substanzen mit variierendem Gefahren- und Abhängigkeitspotenzial pauschal unter Strafe stellt und ihre Konsumentinnen und Konsumenten stigmatisiert, während eine der gesundheitsschädlichsten Substanzen, also Alkohol, und eine Substanz mit großem Abhängigkeitspotenzial, nämlich Nikotin, ziemlich problemlos an jeder Straßenecke zu haben sind. Mehr noch: Wer keinen Alkohol trinken will, gilt in Gesellschaft als sonderbar.

"Es hat sich in diesem gesamten historischen Prozess nie jemand hingesetzt und gesagt: Was finden wir gefährlich und gesundheitsschädlich und was verbieten wir?", kritisiert die Historikerin Helena Barop in einem Interview mit der Berliner Zeitung. Es habe zu keinem Zeitpunkt systematische Überlegungen gegeben, welche Risiken und Gefahren die mittlerweile als Drogen eingestuften Substanzen haben. Trotzdem prägen diese internationalen Abkommen bis heute die weltweite und damit auch die in der EU und in Deutschland gültige Drogenpolitik.

Evidenzbasierte Drogenpolitik gibt es bisher nicht

Vor diesem Hintergrund ist es ein Fortschritt, dass Özdemir und Lauterbach bei der Vorstellung ihrer Pläne immer wieder betonten, es müsse nun um eine "evidenzbasierte Cannabispolitik" gehen. Denn genau die gibt es bis dato nicht. Weder in Deutschland, noch in irgendeinem anderen Land. Experten und Wissenschaftler des Schildower Kreis betonen seit Jahren, dass die Drogenpolitik gescheitert ist und fordern deshalb eine wissenschaftliche Überprüfung des Betäubungsmittelgesetzes.

Die Hausaufgaben, die Brüssel dem Gesundheitsminister aufgetragen habe, seien nicht nur eine Enttäuschung, sondern auch eine Gelegenheit, sagte Lauterbach bei der Vorstellung seiner Pläne entsprechend euphorisch. Sie böten die Gelegenheit, eine gut gemachte Feldstudie zu erarbeiten, die die Grundlage bilden könne für eine gesamteuropäische Cannabispolitik. Man wolle sich mit anderen europäischen Ländern zusammenzuschließen, die ebenfalls an einer Legalisierung interessiert seien um dann - auch mit Hilfe der in den Modellregionen gewonnenen Daten - für ein Umdenken der EU in der Cannabispolitik zu werben. Insgesamt sieben europäische Staaten seien dafür nötig, um einen entsprechenden Änderungsantrag einzubringen.

Eine derartige Initiative ist überfällig und könnte eines Tages sogar die EU-Konventionen beeinflussen, die die Basis der europäischen Drogengesetze bilden.

In jedem deutschen Dorf hängt mindestens ein Zigarettenautomat, damit man seine Sucht auch nach Ladenschluss bequem befriedigen kann.

Eine neue Cannabis-Politik ist nur ein kleiner Schritt, aber möglicherweise ein Anfang: Statt einer auf Abschreckung und Strafverfolgung ausgerichteten Prohibitionspolitik braucht es eine ideologiefreie, evidenzbasierte, wissenschaftliche Erforschung von Gefahren und Risiken - nicht nur von Cannabis, sondern letztlich von allen derzeit als illegal eingestuften Substanzen. Denn tatsächlich ist über die Risiken der Substanzen, wenn sie frei zugänglich sind und nicht mehr allein auf dem Schwarzmarkt zu erwerben, noch immer viel zu wenig bekannt.

Erst wenn wir wissen, was genau für wen unter welchen Umständen schädlich ist und welche gesundheitlichen und gesellschaftlichen Risiken jede Substanz für sich genommen birgt, ist eine Politik möglich, die Menschen tatsächlich vor gesundheitlichen Gefahren schützt. Sei es, weil sie gut genug über diese Risiken informiert sind, um sich gegen den Konsum zu entscheiden. Oder aber, weil sie als Konsumenten und Konsumentinnen wissen, wie man die Schäden und Risiken von gewollten Rauscherfahrungen bestmöglich minimiert. Oder auch, weil die Politik zu dem Schluss kommt, dass bestimmte Substanzen tatsächlich so gefährlich sind, dass man den Zugang zu ihnen so schwer wie möglich machen muss.

Welche politischen Schlüsse am Ende aus einer evidenzbasierten und ergebnisoffenen Drogenforschung gezogen werden müssen, wird sich zeigen. Klar ist nur, dass eine Drogenpolitik, die die Schadensminimierung für Konsumentinnen und Konsumenten sowie eine ideologiefreie Aufklärung und funktionierenden Jugendschutz in den Vordergrund stellt, vermutlich nicht darin bestehen wird, sämtliche sogenannten Rauschmittel gänzlich undifferenziert unter Strafe zu stellen und die Konsumenten und Konsumentinnen zu kriminalisieren - während Alkohol als Lifestyle-Produkt und bei Sportveranstaltungen beworben wird und in jedem deutschen Dorf mindestens ein Zigarettenautomat hängt, damit man seine Sucht auch nach Ladenschluss bequem befriedigen kann.

Marlene Halser

Marlene Halser ist freie Journalistin und schreibt seit Jahren über Drogenkonsum und Drogenpolitik.

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Was sich neben wissenschaftlicher Forschung ebenfalls herausbilden muss, ist eine auf Traditionen und Erfahrung basierende Konsumkultur für den Umgang mit Drogen, so wie es sie bei Alkohol längst gibt. Der Vorteil wäre, dass nicht jede Generation erst mühsam die Safer Use-Regeln im Umgang mit einer Substanz auf eigene Faust erlernen muss. Das geschieht momentan noch nach dem Trial and Error-Prinzip - obwohl man Fehler mit potenziell gesundheitsschädlichen Folgen doch eigentlich vermeiden will; besonders bei jungen Menschen, deren Gehirne noch in der Entwicklung stecken und entsprechen vulnerabel für schädliche Einflüsse sind. Um solches Wissen an ihre Kinder und Enkel weitergeben zu können, müssen die Erwachsenen wissen, wie man kifft.

Und das führt zurück zu Lauterbachs Papier: Nicht nachvollziehbar ist, warum die geplanten Cannabis-Clubs Orte sein sollen, an denen man Cannabis bekommt, aber nicht gemeinsam kiffen darf. Das ist eine vertane Chance. In Gesellschaft lässt sich - analog zum Alkohol - viel besser überprüfen, ob es jemand mit dem Genuss vielleicht übertreibt. Und man kann gemeinsam und womöglich unter fachgerechter Beratung sehr viel besser und schneller lernen, wie einem Cannabis gut bekommt - und was man beim Konsum der Pflanze besser lassen soll.

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