Marlene Halser

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Exklusiv: So sehen die Drugchecking-Pläne der Ampel-Koalition aus

FOTO: IMAGO / STEINACH

Noch dieses Jahr könnte sich das Betäubungsmittelgesetz ändern. Drei Möglichkeiten stehen im Raum, damit ihr bald wisst, was in eurem Koks ist.

Die Cannabislegalisierung wird derzeit überall diskutiert. Allerdings dauert es noch, bis sie kommt. Was die Ampel-Koalition hingegen schon früher einführen will: Drugchecking, das Testen von Substanzen auf ihre Inhaltsstoffe, plus Beratungsgespräch. Nach Informationen von VICE arbeiten SPD und Grüne gerade daran, das Betäubungsmittelgesetz zu ändern.

Auch bei VICE: Drogen, Sex und Tod auf den Mega-Yachten der Milliardäre

Geht es nach dem Willen der drogenpolitischen Sprecherinnen und Sprecher und dem Drogenbeauftragten der Bundesregierung, soll eine Gesetzesänderung noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Vor allem die Grünen arbeiten derzeit intensiv an der Umsetzung.

Das Prinzip hinter Drugchecking ist einfach und einleuchtend: Konsumierende können die Inhaltsstoffe ihrer Drogen im Labor von

Fachpersonal testen lassen - und erhalten eine Beratung zu sicherem Konsum und Schadensminimierung.

Dort wird anonym untersucht, welche Wirkstoffe, welche unerwünschten Streckmittel oder Produktionsrückstände die Substanzen enthalten und in welcher Konzentration. Das alles sind Infos, die auf einem illegalisierten und damit unkontrollierten Drogenmarkt nicht anders zu haben sind; vergleichbar mit dem Beipackzettel von Medikamenten, der Zusammensetzung und Dosierungsanweisungen enthält und Risiken und Nebenwirkungen klar benennt.

Drugchecking rettet Leben

Mit den Laborergebnissen und der Beratung können Konsumierende selbst entscheiden: Ist das der Wirkstoff, den ich haben will? Will ich die Substanz angesichts der Laborergebnisse nehmen? Und wenn ja, wie dosiere ich so, dass mir nichts passiert? Drugchecking verhindert unerwünschte Nebenwirkungen oder Überdosierungen. Im Zweifelsfall rettet es Leben. Das betonen Suchtberatungsstellen seit Jahren immer und immer wieder.

Im europäischen Ausland gibt es zahlreiche zum Teil staatlich finanzierte Drugchecking-Projekte. Wissenschaftliche Begleituntersuchungen dieser Projekte legen nahe, dass Drugchecking bei Konsumierenden zu einem verantwortungsbewussten Konsum führt. Und nicht dazu, dass mehr Menschen Drogen nehmen, wie Kritikerinnen und Kritiker immer wieder behaupten.

Auch die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht spricht sich klar für Drugchecking aus. Denn der Drogenmarkt wird immer unübersichtlicher wegen der zahlreichen neuen psychoaktiven Substanzen, die es mittlerweile gibt. Obwohl all das seit Jahren bekannt ist, wurde Drugchecking nie deutschlandweit umgesetzt, bis auf wenige zeitlich begrenzte regionale Ausnahmen.

Nur Thüringen hat ein Modellprojekt

Die einzige offizielle Ausnahme ist ein kleines Drugchecking-Modellprojekt in Thüringen, das vom links-geführten Thüringer Gesundheitsministerium bezahlt wird. Dort wird mobiles Drugchecking in Clubs und auf Festivals angeboten - mithilfe von Do-it-yourself-Schnelltests. In Berlin steht der Start des seit langem diskutierten Drugchecking-Projekts wohl unmittelbar bevor. Das ist nur deshalb möglich, weil das rechtsmedizinische Institut, das die Analysen machen wird, eine Ausnahmegenehmigung zum Umgang mit "Betäubungsmitteln" hat. Polizei und Staatsanwaltschaft kooperieren mit dem Institut und der Politik. Es ist ein wackeliges Konstrukt, das nur mit dem Wohlwollen aller Beteiligten funktioniert. Im Berliner Senat gab es zudem vor der Wahl noch eine politische Mehrheit für das Drugchecking. Ob eine CDU-geführte Regierung dabei bleibt, muss man sehen.

Alle anderen Initiativen, Drugchecking im Bund oder auf Länderebene zu ermöglichen, scheiterten bislang immer am Veto der Union - und bis vor einigen Jahren auch noch an der ablehnenden Haltung von FDP und SPD. Weil die beiden Parteien aber mittlerweile in in ihrem drogenpolitischen Kurs liberaler geworden sind, steht nun im Koalitionsvertrag der Ampel der Satz: "Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen der

Schadensminimierung ermöglichen wir und bauen wir aus." VICE hat bei den zuständigen Politikerinnen und Politikern nachgefragt.

"Wir wollen eine gesetzliche Grundlage für Drugchecking schaffen", sagt die drogenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Linda Heitmann. "Daran arbeiten wir auch gerade schon." Auch Burkhard Blienert, dem Drogenbeauftragte der Bundesregierung (SPD), scheint Drugchecking wichtig zu sein. Das sei kein Thema für 2024 oder 2025, teilt Blienert schriftlich mit. "Seit sieben Jahren steigen die Zahlen der Drogentoten immer weiter", erklärt Blienert. "Da muss dieses Jahr etwas passieren."

Das Problem ist nur: Genau wie bei der Cannabislegalisierung liegt die Initiative auch beim Drugchecking im Gesundheitsministerium von Karl Lauterbach. Und für den scheinen drogenpolitische Themen zweitrangig zu sein. Jedoch - da sind sich die Sprecherinnen und Sprecher von Grünen und SPD und der Bundesdrogenbeauftragte einig: Eine gesetzliche Neuregelung zum Thema Drugchecking soll nicht erst nach der Cannabislegalisierung folgen. Aktuell werden drei Wege diskutiert.

1. Variante: Der Bund macht's möglich, die Länder setzen um

Möglichkeit eins sieht vor, das Betäubungsmittelgesetz durch einen Paragraph zu ergänzen, der sich an den gesetzlichen Regelungen für Drogenkonsumräumen orientiert. Das sind Räume, in denen Menschen Substanzen wie Heroin, Crack oder Kokain geschützt vor Strafverfolgung und Stigmatisierung konsumieren können und in denen ihnen im Sinne der Schadensminimierung steriles Spritzbesteck, Einweghandschuhe, Pflaster, Tupfer und Alkotipps zur Verfügung stehen.

Paragraph 10a im Betäubungsmittelgesetz erlaubt es den Bundesländern, durch eigene Rechtsverordnungen die Voraussetzungen für solche

Drogenkonsumräume zu schaffen. Nach demselben Prinzip könnte ein neu eingefügter Paragraph 10b im Betäubungsmittelgesetz den Bundesländern erlauben, landesweit Drugchecking-Projekte einzuführen.

Diese Idee stammt aus einem Gesetzesantrag, den das Hessische Sozialministerium im November 2020 in den Bundesrat eingebracht hat. Zwar wurde damals eine Umsetzung vom medizinischen Ausschuss im Bundesrat empfohlen. Trotzdem wurde der Antrag unter den 2020 herrschenden Mehrheitsverhältnissen wieder zurückgezogen, weil nicht mit einer Zustimmung zu rechnen war. Das wäre heute möglicherweise anders.

Der Vorteil: Die Innenministerien und damit auch Staatsanwaltschaft und Polizei sind Ländersache. Müssen die Länder per Verordnung selbst Regelungen schaffen, um Drugchecking umzusetzen, könnten sie die Strafverfolgungsbehörden direkt mit einbeziehen. Denn Drugchecking-Projekte sind de facto nur dann umsetzbar, wenn die Polizei genau wie bei Drogenkonsumräumen im angemessenen Umkreis auf Kontrollen verzichtet - sowohl bei Userinnen und Usern, als auch beim Personal an den Annahmestellen, das die Drogen entgegennimmt.

Der Nachteil: Das Gesetz muss durch den Bundesrat. Selbst wenn es dort die erforderliche Mehrheit bekommt, werden - genau wie bei Drogenkonsumräumen - nicht alle Bundesländer mitmachen, sondern nur die, in denen eine progressive Drogenpolitik eine politische Mehrheit hat. Drogenkonsumräume gibt es aktuell in Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, NRW und im Saarland. In

Bayern dagegen wird die Verabschiedung einer Verordnung zur Erlaubnis von Drogenkonsumräumen seit Jahren durch die CSU-geführte Regierung verweigert - obwohl sich sowohl der Bayerische Städtetag und die Bayerische Landesärztekammer als auch Drogenhilfeeinrichtungen in Nürnberg und München seit Langem dafür stark machen. Entsprechend hätte Drugchecking in Bayern vermutlich keine Chance.

Der drogenpolitische Sprecher der SPD, Dirk Heidenblut, hält diesen Vorschlag für am schnellsten und einfachsten umsetzbar. "Der Bund würde die Möglichkeit für Drugchecking eröffnen, alles Weitere regeln die Länder."

Dass der Vorschlag die notwendige Mehrheit im Bundesrat bekommt, hält er für wahrscheinlich. Im Gegensatz zu 2020 sind in Niedersachsen und NRW - zwei bevölkerungsreichen Bundesländern mit viel Stimmgewicht - die Grünen mit in der jeweiligen Koalition. "Ich sehe nicht, warum die Bundesländer nicht zustimmen sollten", sagt Heidenblut. "Wenn sie beim Drugchecking nicht mitmachen wollen, können sie sich gegen eine entsprechende Verordnung entscheiden."

2. Variante: Der Bund entscheidet für alle Länder

Möglichkeit zwei wäre eine Erweiterung von Paragraph 4 im Betäubungsmittelgesetz. Paragraph 4 regelt, wer keine Ausnahmegenehmigung braucht, um mit verbotenen "Betäubungsmitteln" zu hantieren. Aktuell sind das Apotheken und bestimmte Bundes- und Landesbehörden, wie beispielsweise rechtsmedizinische Institute. Um Drugchecking bundesweit möglich zu machen, müssten anerkannte Träger der Drogenarbeit ebenfalls in Paragraph 4 aufgelistet sein. Bislang brauchen Suchthilfeträger und Drogenberatungsstellen nämlich eine Ausnahmegenehmigung, um mit illegalen Substanzen umgehen zu dürfen. Und die hat das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für Drugchecking-Projekte in der Vergangenheit einfach noch nie erteilt.

Diesen Vorschlag, hat der Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik akzept e.V. ausgearbeitet - also diejenigen, die täglich Suchtberatung und Aufklärungsarbeit leisten.

Der Vorteil: Das wäre eine Lösung für ganz Deutschland. Die einzelnen Bundesländer müssen keine extra Verordnungen erlassen. Mitarbeitende von Annahmestellen würden sich auch nicht mehr strafbar machen, wenn sie Substanzproben entgegennehmen.

Der Nachteil: Für die konkrete Umsetzung wäre auch hier die Kooperation von Polizei und Staatsanwaltschaft in den einzelnen Bundesländern

notwendig. Denn wer geht schon mit illegalen Substanzen in der Tasche zur Abgabestelle, wenn die Polizei davor steht, um zu kontrollieren? Ob sich auf Bundesebene eine Vorgabe für die Polizeibehörden aller Länder machen lässt, so dass sie auf Kontrollen vor Drugchecking-Angeboten verzichten müssen, ist unklar.

Linda Heitmann von den Grünen sagt, aktuell werde im Bundesgesundheitsministerium juristisch geprüft, ob es möglich ist, die Vorbehalte einzelner Bundesländer - besonders der Innenministerien - mit dieser zweiten Lösung zu umgehen. Das Bundesgesundheitsministerium gibt dazu auf Nachfrage keine Auskunft. Dirk Heidenblut von der SPD ist skeptisch. "Mit einer solchen Vorgabe müsste auch diese Gesetzesänderung sehr wahrscheinlich den Bundesrat passieren", sagt er. Einfach deshalb, weil die Polizeibehörden den jeweiligen Innenministerien der Länder unterstehen. Zustimmung: ungewiss. Denn diese Variante würde alle Länder zum Drugchecking verpflichten. Bei Variante eins hingegen können sie sich dagegen entscheiden.

3. Variante: Wissenschaftler begleiten Modellprojekte

Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Dabei werden ausgewählte Drugchecking-Modellprojekte in einzelnen Städten wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Die Projekte haben unterschiedliche Vorgaben. So kann man schauen, wie Drugchecking sinnvoll umgesetzt werden kann. Für diese Variante plädiert Kristine Lütke, sucht- und drogenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. Auch im Koalitionsvertrag steht explizit: " Modelle zum Drugchecking (...) ermöglichen wir und bauen wir aus."

Ein solches Modellprojekt gibt es in Deutschland schon in Thüringen. Die Beratungsgespräche, die dort zu jeder Substanzanalyse geführt werden, werden schon jetzt anhand von anonymisierten Fragebögen von

Forschenden an der Charité in Berlin ausgewertet. Ergebnisse liegen allerdings noch nicht vor - wohl aber aus anderen Ländern, die Drugchecking schon seit Langem betreiben und auf jahrelange Erfahrung zurückblicken können. Und die kommen zu dem Schluss, dass Drugchecking eine sinnvolle Maßnahme zur Schadensminimierung ist.

Der Drogenbeauftragte Burkhard Blienert will sich nicht öffentlich festlegen, welchen Weg er bevorzugt. "Entscheidend ist für mich, dass es Rechtssicherheit gibt", schreibt er, "für die Anbieter solcher Projekte und für Konsumentinnen und Konsumenten." Drug Checking funktioniere nur mit Vertrauen. Das spricht eher für Variante eins oder zwei.

Die drogenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Linda Heitmann, sagt, sie bevorzuge klar Variante zwei, also die bundeseinheitliche Lösung. "Wir möchten, dass in Zukunft auch Suchthilfeträger und geeignete Akteure und Berufsgruppen die Berechtigung bekommen, Substanzproben entgegenzunehmen und zu testen", sagt sie. Will heißen: Es soll gesetzlich klar festgeschrieben werden, dass sich Drugchecking-Personal nicht strafbar macht.

"Ich wünsche mir, dass wir so bald wie möglich mit dem Gesetzgebungsprozess beginnen", sagt Heitmann. "Dann könnte es uns gelingen, das Thema Drugchecking noch bis zur Sommerpause auf eine rechtssichere, bundeseinheitliche Basis zu stellen." Auch SPD-Mann Heidenblut sagt, er wünsche sich "idealerweise so schnell wie möglich" eine Lösung.

Eine klare Aufforderung also ans Bundesgesundheitsministerium, ein bisschen Gas zu geben. Denn genau wie bei der Cannabislegalisierung muss auch beim Drugchecking Lauterbachs Ministerium einen Entwurf für eine Gesetzesänderung vorlegen, damit etwas vorwärts geht.


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