Marlene Halser

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Start-up Miraculix: Drogen-Check für zu Hause | enorm

Die Drogen-Schnelltests kommen als Testkit für zu Hause. Es gibt sie für Psilocybin, LSD, MDMA sowie für die Hauptwirkstoffe von Cannabis, THC und CBD. Foto: Miraculix

Ecstasy, Cannabis, Speed: Drogen sind auch deshalb riskant, weil ihre Zusammensetzung oft unbekannt ist. Ein Start-up aus Jena entwickelt Schnelltests.


Der Mikrobiologe Felix Blei verwendet eine Metapher, wenn er erklären soll, worum es bei Drug-Checking geht: „Stellen Sie sich vor, Sie gehen in eine Bar, auf der Karte steht einfach nur ,Alkohol'. Die einzige Chance, um herauszufinden, wie viel Prozent das Getränk hat, wäre, ein Glas davon zu bestellen und es zu trinken." Ein ziemlich waghalsiges Experiment, sagt Blei, ein muskulöser Mann mit Pferdeschwanz, Vollbart und Undercut, Wissenschaftler und Gründer, im Büro seines Start-ups in Jena. Die Räume sind schlicht, nur die Bilder von verschiedenen Pilzen an der Wand geben einen Hinweis auf das, was hier passiert. Das Labor, in dem Blei arbeitet, ist für Besucher:innen ohne Sicherheitsprüfung tabu. Denn dort wird mit „Betäubungsmitteln" experimentiert. „Alkohol kann 5 Prozent haben, aber auch 40 Prozent", fährt Blei fort. „Von einem leichten Schwips bis zum Koma wäre bei die- sem Experiment alles möglich." Genau das sei die aktuelle Lage in Deutschland für Menschen, die statt Alkohol ein illegales Rauschmittel konsumieren möchten.

Risiko, dass etwas schief geht

„Drogenkonsument:innen kaufen in der Regel eine bunte Pille oder eine kleine Phiole mit Pulver bei einer Person, die aus rechtlichen Gründen nicht sagen darf, bei wem sie das Produkt erworben hat", erklärt Blei. „Qualitätskontrollen, eine Konsumanleitung oder einen Beipackzettel, der verrät, was drin ist, und auf Risiken und Nebenwirkungen hinweist, gibt es nicht, anders als etwa bei Medikamenten." Entsprechend hoch sei das Risiko, dass etwas schiefgeht. Und genau das, so Blei, wolle er ändern. Daher entwickelt er mit seinem Start-up Miraculix Drogentest-Kits für daheim.

Kaum Geld für Forschung zu Drogen

Blei hat in Jena in pharmazeutischer Mikrobiologie promoviert. Sein Professor am Institut, Dirk Hoffmeister, gilt als Experte für Ständerpilze - zu denen auch Magic Mushrooms, also psychedelische Pilze, gehören. Lizenzen, um mit sogenannten Betäubungsmitteln zu experimentieren, werden kaum vergeben, Forschung dazu ist selten. Als erster Wissenschaftler weltweit hat der 33-jährige Blei mit seinen Forschungskolleg:innen herausgefunden, wie halluzinogene Pilze den Wirkstoff Psilocybin herstellen und vielbeachtete wissenschaftliche Artikel veröffentlicht.

Bei seiner Arbeit fiel ihm noch etwas auf: „Die Konzentration von Psilocybin in den Pilzen schwankt." Sowohl bei den Pilzen, die er mit staatlicher Genehmigung unter standardisierten Laborbedingungen und strengen Sicherheitsvorkehrungen für seine Forschung züchtete, viel stärker aber noch in der Natur. „Hier in der Gegend um Jena hatten die Magic Mushrooms ein Prozent Psilocybin, in Leipzig hingegen zwei Prozent." Für Menschen, die Pilze wegen ihrer berauschenden Wirkung konsumieren wollen, ein Problem. Das gilt auch für andere Substanzen, die auf dem Markt erhältlich sind. Deshalb untersucht Blei in seiner Forschung neben Psilocybin auch LSD, MDMA, Amphetamine, Cannabis und Meskalin aus psychedelischen Kakteen. „Ich kann die Konzentration der jeweiligen Substanz im Labor testen", sagt Blei. „Aber dafür braucht man teure Maschinen." Mittels Hochleistungsflüssigkeitschromatografie (HPLC) lassen sich etwa Substanzgemische voneinander trennen, um sie mit Detektoren zu identifizieren und zu quantifizieren.

Drogenbericht: Cannabis am beliebtesten

Etwa 96 Millionen Europäer:innen zwischen 15 und 64 Jahren haben laut dem Europäischen Drogenbericht2020 mindestens einmal im Leben illegalisierte Drogen konsumiert. Das entspricht einem Anteil von 30 Prozent. Erhebungen aus Deutschland decken sich damit. Auf Platz eins ist Cannabis, gefolgt - mit großem Abstand - von Kokain, dann MDMA, dem Wirkstoff von „Ecstasy" und Amphetaminen, auch bekannt als „Speed". Am wenigsten werden Heroin und andere Opiate konsumiert. Der Konsum von Psychedelika wie LSD und Psilocybin wird in den meisten Umfragen und Drogenstatistiken nicht erfasst. Allerdings: Immer mehr Forschung zu möglichen Chancen von Psychedelika bei psychischen Erkrankungen - und damit ein medialer Hype - könnten die Substanzen weiter in den Mainstream rücken. Es ist riskant, dass Konsument:innen nicht genau wissen, wie rein die jeweilige Droge ist und wie hoch ihre Dosierung - gerade was den MDMA-Gehalt von Ecstasy angeht. Dieser ist sehr stark gestiegen - und analog das Gesundheitsrisiko.

Drug-Checking ist in der EU verbreitet

Eine Lösung könnte Drug-Checking sein, also die chemische Laboruntersuchung von illegalisierten Drogen. Nur: Drug-Checking-Labore, an die man Drogen straffrei schicken kann, gibt es in Deutschland nicht. Dabei ist die Idee nicht neu und wird europaweit in 13 Ländern - zum Teil staatlich gefördert - praktiziert: in Frankreich, Spanien, der Schweiz, in Österreich, in Slowenien, in Belgien, Ungarn, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, in Polen, Portugal und in Großbritannien. Daten über Konsum und Substanzen fließen seit 25 Jahren in den jährlich von der EU herausgegebenen Europäischen Drogenbericht mit ein. Weltweit gibt es solche Projekte laut einer wissenschaftlichen Auswertung aus dem Jahr 2017 in 20 Ländern.

In Deutschland wird seit den 90er-Jahren zwar immer wieder über Drug-Checking diskutiert, das Konzept aber - bis auf zeitlich begrenzte regionale Ausnahmen - nie umgesetzt. In Berlin debattiert der Senat seit 2011 über die Einführung eines Drug-Checking-Projekts. 2018 gab es finanzielle Mittel, doch die Umsetzung verzögert sich, derzeit werden entsprechende Labormitarbeitende gesucht. 2021 haben die Ampel-Parteien Drug-Checking im Koalitionsvertrag verankert, ebenso die Legalisierung von Cannabis. Konkret beschlossen wurde bisher in beiden Fällen nichts, obwohl Suchtberatungsstellen seit Jahren dafür plädieren. Auch Studien zu Drug-Checking-Angeboten aus anderen Ländern zeigen, dass es zu verantwortungsbewusstem Verhalten von Konsument:innen führt. Bislang scheitert Drug-Checking in Deutschland vor allem daran, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und in der Folge Staatsanwaltschaften und Polizei die rechtliche Lage auslegen. Drug-Checking selbst ist nicht verboten. Drogenbesitz aber gilt als Straftatbestand - und zwar auch beim Laborpersonal, das die Substanzen zur Untersuchung entgegennimmt. Solange also die Strafverfolgungsbehörden nicht kooperieren, kann Drug Checking de facto nicht angeboten werden.

Drogen-Schnelltest für zu Hause

Hier kommt die Idee von Mikrobiologe Blei ins Spiel. Im April 2021 hat er mit Roxana Preuss, Frank Junger und einem Stipendium des Bundesforschungsministeriums sein Start-up Miraculix aus der Uni Jena ausgegründet. Sie entwickelten Do-it-yourself-Schnelltests, die es nun für Psilocybin und andere Substanzen gibt: LSD, MDMA sowie für die Hauptwirkstoffe von Cannabis, THC und CBD. Die Testverfahren wurden an der Universität entwickelt, parallel unabhängig validiert und sind zum Patent angemeldet. Allein im ersten Jahr hat Miraculix nach eigenen Angaben etwa 10.000 Tests in 20 Ländern verkauft. Zwischen 17 und 25 Euro kosten sie je nach Substanz. Zusätzlich zum Heim-Test kommen die Tests in einem ersten staatlich finanzierten Drug-Checking-Projekt in Thüringen zum Einsatz. Mithilfe der Testkits bereiten die Konsument:innen die Proben selbst vor. „Wenn sie uns dann die Nachweisreagenz mit den Tests geben, verfärbt sich dieser und verändert dabei gleichzeitig die chemische Zusammensetzung", sagt Frank Junger von Miraculix. „Die Substanz fällt damit nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz."

Einsatz auch auf Festivals

Die Gründer:innen sind seit Juli 2021 mehrmals monatlich auf Partys und Festivals in Thüringen unterwegs, um Drug-Checking anzubieten. „So erreichen wir Leute, die nicht aktiv zur Beratung gehen würden." Zu jedem Test gehört ein Gespräch mit Sozialarbeiter:innen der Suchhilfe, die den Konsum nicht stigmatisieren. Die Daten wertet ein Forschungsteam der Berliner Charité aus. ,Die meisten Leute, die Drogen konsumieren, beziehen ihre Informationen vom Hörensagen oder aus dem Internet", erklärt Blei. „Da ist natürlich viel Murks dabei." In den Gesprächen kann fundiertes Wissen vermittelt werden. „Wir stellen dank der erhobenen Daten fest, dass die meisten Leute mit den Informationen, die wir ihnen geben, verantwortungsbewusst umgehen." Gefährliche Substanzen würden nicht mehr konsumiert oder bei hohem Wirkstoffgehalt vorsichtiger dosiert. Blei: „Denn so gut wie niemand möchte sich mit seinem Konsum schaden."

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