Die Freiburger Historikerin Helena Barop hat die Drogen-Prohibition erforscht und festgestellt: Mit Gesundheitsaspekten haben Verbote nur wenig zu tun.
Die Ampelkoalition will Cannabis als Genussmittel für Erwachsene freigeben. Anders als in den Niederlanden soll in Deutschland künftig die gesamte Produktionskette, also auch Anbau und Vertrieb, unter staatlicher Kontrolle stehen, um Konsumenten und Produzenten aus der Illegalität zu holen. Die Historikerin Helena Barop hat die Geschichte der Drogenpolitik studiert - und kommt dabei zu erstaunlichen Ergebnissen. Sie sagt: Mit dem Schutz der Gesundheit haben die Verbote von Substanzen historisch wenig zu tun.
Frau Barop, das erste Kapitel Ihres Buches lautet „Die Erfindung des Drogenproblems“. Warum?
Helena Barop: Weil das Verständnis, das wir heute von der Gefährlichkeit von Drogen haben, eine historisch gewachsene Konstruktion ist, die nicht in erster Linie auf rationalen Argumenten beruht. Es geht um diffuse Ängste und Ressentiments. Ich versuche es anekdotisch zu erklären: Ich habe in meiner Doktorarbeit zu den Ursprüngen der Prohibitionspolitik geforscht. In dieser Zeit habe ich deutlich häufiger mit Menschen über Drogen geredet, als je in meinem Leben zuvor.
Warum?
Wegen des Themas. Immer wenn ich gesagt habe, woran ich arbeite, musste ich danach die verbleibende Zeit damit verbringen, über Drogen zu sprechen. Meistens darüber, wie schrecklich doch Drogen seien. Dabei ist mir aufgefallen, dass gerade durch das Verbot von Drogen bei meinen Gesprächspartnern der Eindruck ganz stark ist: Weil Drogen verboten sind, müssen sie gefährlich sein. Es gibt da eine große Bereitschaft, dem Staat zu vertrauen. Das wird fast nicht hinterfragt. Wenn der Staat sagt, dass das gefährlich ist, dann wird da schon was dran sein. Unter gefährlich verstehen die Menschen oft automatisch: gesundheitlich gefährlich. Historisch ist das aber überhaupt nicht das Thema, wenn es ums Zustandekommen der Verbote geht.
Was ist das Thema?
In der Geschichte der Prohibition geht es um einen Haufen diffuser Ängste, die sich nach und nach an den Diskurs anlagern. Je nachdem, welchen Zeitpunkt man zwischen 1804 und 2022 wählt, wird es immer unterschiedlich sein, welche Konnotationen und Ängste beim Thema Drogen mitschwingen. Aber es gibt eine Art Grundrepertoire, das konstant geblieben ist.
Welches ist das?
Die Problematisierung und die Schaffung von Gesetzen beginnt eigentlich immer mit Rassismus.
Das müssen Sie erklären.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts hat die amerikanische Gesellschaft verschiedene Erfahrungen mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen gemacht, die jeweils ihre psychoaktiven Substanzen ins Land gebracht und dort verwendet haben. Diese neuen Konsumgewohnheiten wurden aus verschiedenen, meist xenophoben Gründen von der amerikanischen Gesellschaft abgelehnt. Es entstand ein Diskurs, in dem sich vieles mischt. Die Substanz wurde zum Symbol der abgelehnten Gruppe. Und dann versuchte man, die Menschen weiter zu marginalisieren, indem man ihnen ihre Drogen verbot.
Das klingt abstrakt. Können Sie Beispiele nennen?
Mehrere sogar. Das Verbot, Opium zu rauchen, von 1875 in San Francisco, war ein Verbot, das sich ausschließlich gegen chinesische Einwanderer richtete. Auch Cannabis-Konsum wurde in der amerikanischen Gesellschaft erst dann als problematisch eingestuft, als mexikanische Einwanderer es mitbrachten und in den USA konsumierten.
Wie haben Sie das recherchiert?
Ich war für die Recherche monatelang in Archiven in Washington, New York, Berlin, Wien und Mexico City. Als ich vor zehn Jahren in diese Forschungsarbeit gestartet bin, war ich der festen Überzeugung, dass Drogen gefährlich und böse seien und dass man jetzt mal gucken müsse, wie das eigentlich alles so gekommen ist. Ich habe nicht erwartet, dass ich dabei lerne, was ich gelernt habe. Wie arbiträr die Grundlage dieser Drogenprohibition ist. Und vor allem, wie wenig die Prohibition auf tatsächlichen pharmakologischen Kriterien aufbaut.
War es leicht, an Dokumente und Unterlagen zu kommen?
Die Archive waren zum Teil sehr zurückhaltend. In den USA habe ich hunderte Anträge gestellt, um gesperrte Dokumente freigeben zu lassen – mit gemischtem Erfolg. In Frankreich wurde mir fast nichts freigegeben, so dass ich gar nicht hingefahren bin. In Mexiko war leicht zu erkennen, dass ich das Allermeiste Material nicht sehen durfte. Und auch die Literaturlage ist schwierig: Mir ist früh aufgefallen, dass es sehr viel Literatur zu diesem Thema gibt, die sehr politisch ist und der man anmerkt, dass das Ergebnis und die politische Stoßrichtung von Beginn an feststanden. Mir war wichtig, dass das bei mir nicht so ist. Obwohl mein Buch am Ende ein klares Statement geworden ist, hat sich meine politische Einstellung zu dem Thema im Lauf der Recherchen geändert. Das heißt, es war mir immer sehr wichtig, dass ich offen bleibe und alle Seiten anschaue und nur vertrete, was ich auch belegen kann.
In Deutschland wird seit geraumer Zeit das Für und Wider der Cannabis-Legalisierung diskutiert. Können Sie erklären, weshalb Cannabis hier verboten ist?
Das funktioniert nur, wenn man sich die Prohibitionsgeschichte insgesamt anschaut. Cannabis stößt erst relativ spät in dieser Debatte dazu. Zu dem Zeitpunkt sind die Entscheidungen längst gefallen, auf denen Prohibition basiert. Cannabis kommt in einer Phase dazu, in der es nur noch darum geht, was rein und was raus kommt aus dem Topf der verbotenen Substanzen. In diesem Prozess werden viele Dinge auf Cannabis übertragen, die mit Cannabis nichts zu tun haben.
Wann beginnt die Geschichte der Drogenprohibition?
Anfang des 19. Jahrhunderts. Da sind Drogen noch dasselbe wie Medikamente. Man geht in die Apotheke. Es gibt keine Vorschriften, wer was verkaufen darf, es muss auch nicht draufstehen, was drin ist. Niemand klärt einen über Nebenwirkungen auf. Eine der Substanzen, die man damals zum Beispiel kaufen konnte, war Opium. Es wurde als Schmerzmittel eingesetzt. In Alkohol aufgelöst, als Tinktur, auch als Laudanum bekannt.
Warum wurde Opium als problematisch wahrgenommen?
Daran sind die romantischen Dichter schuld. Thomas De Quincey, ein britischer Essayist, beschrieb die berauschende Wirkung von Opium 1822 ausführlich in einer autobiografischen Erzählung namens „Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“. Der Opiumrausch war für ihn ein Erweckungserlebnis, bei dem man das „Geheimnis des Glücks“ erfährt. Innerhalb der künstlerischen und intellektuellen Eliten Europas wurde sein Essay begeistert aufgenommen und zum Manifest der ersten avantgardistischen Drogenbewegung der westlichen Welt. Er fand einige Nachahmer, darunter Novalis, E.T.A. Hoffmann, August Wilhelm Schlegel, Charles Baudelaire und Edgar Allen Poe.
Die haben alle Opium konsumiert?
Cannabis hat damals auch eine Rolle gespielt. Victor Hugo, Alexandre Dumas, Honoré de Balzac und Theophile Gautier zum Beispiel haben im Pariser Club des Haschischins Cannabis geraucht, um sich zu inspirieren. Die Romantiker haben angefangen, ihren Drogenkonsum literarisch zu verarbeiten. Das ist eine ganz ambivalente Veranstaltung, wo von Opium- oder Haschischkonsum ganz schillernd berichtet wird.
Worum ging es?
Um eine Abkehr von der Aufklärung und darum, innere Welten zu entdecken, neue Bewusstseinserfahrungen zu kommunizieren. Diese Verarbeitung von Drogenerfahrungen macht den Konsum zu nicht-medizinischen Zwecken überhaupt erst zu einem Ding. Vorher wurde das nicht diskutiert, obwohl es bestimmt Leute gab, die hier und da was genommen haben, weil es Spaß machte. Durch die literarische Verarbeitung wird Rausch plötzlich erzählbar, etwas, das nachgeahmt wird. So werden Drogen erstmals zum Rauschmittel. Vorher kannte man zwar auch Rauschmittel, Alkohol zum Beispiel. Aber der hatte mit Medikamenten und mit Drogen nichts zu tun. Erst durch die Romantiker vermischten sich die Kategorien. Und es entstand eine Verunsicherung: Ist Opium gut, ist es böse? Irgendwie macht es die Schmerzen weg. Aber irgendwie wird man auch abhängig. Vielleicht ist es also gefährlich.
Opium wird also verboten?
Nein, das geschieht erst, als eine weitere diffuse Angst hinzukommt: Rassismus. Damals sprach man von der sogenannten „Gelben Gefahr“.
Was ist damit gemeint?
Das ist ein diffamierender Ausdruck, der sich vor allem auf chinesische Migranten bezog. Mitte des 19. Jahrhunderts kamen viele männliche chinesische Einwanderer in die USA. Sie leisteten harte und wichtige Arbeit in Goldminen und im Eisenbahnbau. Aber sie waren stark segregiert, hatten kaum Teilhabemöglichkeiten. Sie lebten in den Chinatowns, die wir vor allem von der Westküste heute noch kennen. Und sie rauchten Opium in Opiumpfeifen. Das war in China zu dieser Zeit weit verbreitet. Und ein ganz anderer Konsum als der Morphium- oder Heroinkonsum, den wir heute kennen. Es gab keinen medizinischen Hintergrund, der Konsum war freizeit- und genussorientiert. Für die Amerikaner war das neu und sorgte für Skepsis. Nun waren diese chinesischen Arbeiter Ende des 19. Jahrhunderts nicht sehr gern gesehen und wurden von der Gesellschaft stark diskriminiert. Es gab ein Reihe von Gesetzen, die ihnen Rechte absprachen. Und es gab eine diffuse, xenophobe Angst. In dieser Gemengelage entstanden Gerüchte.
Zum Beispiel?
Der Mythos der Opiumhöhle. Sie kommt in der Literatur dieser Zeit ständig vor, vor allem in Krimis. Sie ist ein beliebter Ort, an dem schlimme Sachen passieren. Die Opiumhöhle ist dunkel und stinkt, Prostituierte liegen neben den Männern, alle rauchen und sind weggedämmert. Ein Ort der Degeneration. Man fürchtet, die amerikanische Jugend, die Zukunft der amerikanischen Nation, werde in diese Opiumhöhlen eingesogen und dort der Degeneration anheimfallen. Opiumrauchen wird als Kern des „Chinesenproblems“ definiert. 1875 wird in San Francisco das erste Opiumverbot der USA ausgesprochen. Weiterhin erlaubt dagegen sind Morphium und Opium-Tinkturen, wie sie die reichen Damen reihenweise in ihren Salons konsumieren. Ein Konsum, der damals in der Gesamtgesellschaft sehr viel weiter verbreitet war.
Und was hat das Ganze mit Cannabis zu tun?
Moment, vorher kam noch Kokain, dessen Erfindung übrigens in einem deutschen Labor stattfand.
Ein Zufall?
Nein, Deutschland und die Schweiz waren zu der Zeit führend in der chemischen Erforschung neuer Substanzen auf der Suche nach neuen pharmakologischen Mitteln. Man muss sich das so vorstellen: Da sitzen jetzt nicht Chemiker und suchen gezielt nach Drogen, sondern das 19. Jahrhundert war eine Explosion von Entdeckungen und Erfindungen. Die Substanzen wurden quasi im Kielwasser der damaligen Forschung entdeckt. Der Chemiker Albert Niemann isolierte Ende der 1850er-Jahre in Göttingen erstmals das aktive Alkaloid der Kokapflanze und nannte es Kokain. Auch Morphium und Heroin stammen aus deutschen Laboren. Das ist auch ein Grund, warum Deutschland sich am Anfang eher dagegen gesperrt hat, die Prohibition umzusetzen. Deutschland hat als wichtiger Pharmastandort profitiert.
Kokain wurde also auch entdeckt, und dann?
In den 1880ern galt Kokain in Europa und den USA als Wundermittel, als Betäubungsmittel, das Zahnoperationen schmerzfrei macht. Sigmund Freud empfahl Kokain als wirksames Psychopharmakon. Auch Coca Cola wurde zu dieser Zeit erfunden. Damals enthielt es noch Kokain. Aber nach der Koka-Euphorie der 1880er-Jahre kam die Koka-Epidemie der 1890er-Jahre. In medizinischen Fachzeitschriften tauchten immer mehr Berichte über Suchtprobleme und Überdosierungen auf. Kokain wurde zunehmend auch mit Gewalt und Kriminalität in Verbindung gebracht. Und mit marginalisierten Gruppen assoziiert, oft mit der Schwarzen Bevölkerung. Verbote und harte Strafen kamen auch hier erst dann wieder ins Spiel, als das rassistische Element hinzukam.
Was ist da passiert?
Die Medien haben dabei neben den Strafverfolgungsbehörden eine ziemlich zweifelhafte Rolle gespielt. Der Höhepunkt war ein Artikel in der New York Times von 1914. Was darin steht, ist zutiefst rassistisch und ziemlich lächerlich. Da wird berichtet, und zwar in vollem Ernst, Afroamerikaner könnten unter Kokaineinfluss nicht mehr mit den üblichen Kalibern erschossen werden. Sie würden so etwas wie Superkräfte entwickeln. Eine normale Polizeipistole könne ihnen nichts mehr anhaben. Die Polizei müsse sich deshalb Waffen mit größeren Kalibern beschaffen, um die Kontrolle zu behalten. Das ist eine rassistische Erzählung, die Schwarze entmenschlicht, ihnen die Fähigkeit zum Schmerz abspricht – und der weißen Bevölkerung jeden Grund zur Empathie. 1922 wurde Kokainkonsum in den USA verboten. Überproportional verfolgt werden bis heute die Schwarzen Konsumenten und Konsumentinnen. Was parallel auf der internationalen Ebene erstmals geschieht, ist die Unterscheidung in „gute“ und „böse“ Drogen.
Inwiefern?
1909, fünf Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, beriefen die USA die erste Internationale Opiumkommission ein. Dort wurde festgehalten, dass es einen Unterschied macht, mit welcher Absicht eine Substanz konsumiert wird. Nicht die Substanz mache den Unterschied, sondern der Zweck. Das heißt: Zu medizinischen Zwecken ist der Konsum in Ordnung, also dann, wenn ihn ein Arzt verschreibt. Zu Rauschzwecken oder als Freizeitbeschäftigung dagegen nicht. Opium, Kokain und Heroin werden fortan den „bösen“ Drogen zugeordnet. Morphium, das ebenfalls aus Opium gewonnen wird, bleibt „gut“, könne aber „missbraucht“ werden. Noch etwas setzt sich damals fest: Nämlich die puritanische Überzeugung, dass Sucht und Substanzkonsum als moralische Schwäche und persönliches Versagen gesehen werden, nicht etwa als behandelbare Krankheit. Dem komme man nur mit Kriminalisierung bei. Im Grunde genommen gilt das bis heute.
Und wann kommt nun Cannabis ins Spiel?
Cannabis kommt erst vor, als es ab 1910 in Mexiko zur Revolution und dann zum Bürgerkrieg kommt und immer mehr Mexikaner über die Südgrenze in die USA fliehen – und, wieder, ihre Konsumgewohnheiten mitbringen. Erst ab da nehmen die amerikanischen Behörden Cannabis als problematisch wahr. Aufgenommen in den Katalog der „bösen“ Drogen wird Cannabis 1925 in der Genfer Opiumkonvention des Völkerbundes. Vorher ging es immer um die Opiumderivate, also Opium, Morphium, Heroin, und um Kokain. 1925 spielt Cannabis zum ersten Mal eine Rolle und wird einfach in denselben Topf geworfen. Es geht dabei nie um die Wirkung der Substanzen oder um deren Toxikologie. Doch auch bei Cannabis spielen Desinformation und Propaganda eine Rolle. Diesmal vor allem in Filmen.
Nämlich?
1936 kommt ein Film namens „Reefer Madness“ in die Kinos. Reefer steht für Cannabis. Der Titel lautet übersetzt also etwa: „Cannabis Wahnsinn“. Die Geschichte handelt von Mae Coleman und Jack Perry, die Marihuana an Kinder und Jugendliche verkaufen. Die Folgen sind verheerend. Passanten werden im Rausch halb totgefahren, ein Mädchen wird vergewaltigt und erschossen, der Dealer selbst fällt dem Wahnsinn anheim, die Dealerin begeht Selbstmord. Es ist ein Gewaltrausch, von dem man sich nicht so richtig vorstellen kann, wie er in Bezug zu Cannabis stehen soll. 1937 wird der Konsum von Cannabis in den USA verboten.
Gleichwohl gibt es auch heute Forschende, die eindringlich davor warnen, starker Cannabiskonsum könne Psychosen triggern. Muss man das nicht mitdenken?
Die Vorstellung, dass Cannabis und psychische Erkrankungen zusammenhängen, ist nicht ganz falsch. Wie Sie sagen: Es ist bekannt, dass es einen Zusammenhang zwischen psychotischen Episoden und Cannabiskonsum gibt. Nur weiß man eben bis heute nicht, wie dieser Zusammenhang genau funktioniert. Es wird häufig so dargestellt, dass Cannabiskonsum psychotische Episoden auslösen könnte. Wenn man sich das als Wissenschaftlerin aber anschaut, sieht man, dass eine Korrelation noch keine Kausalität ist. Die Gegenthese wäre, dass Cannabiskonsum eine Art Selbstmedikation ist – der Versuch von Menschen, die sowieso eine psychotische Disposition haben, sich selbst zu behandeln und somit der psychotischen Episode aus dem Weg zu gehen. Welche der beiden Thesen stimmt, weiß ich nicht.
Und was hat das mit Deutschland und unseren Verbotsgesetzen zu tun?
Die USA übten nach dem Zweiten Weltkrieg über die Vereinten Nationen Druck aus, der dazu führte, dass die allermeisten Staaten weltweit Verbote übernahmen. Was diesen Bestrebungen massiv in die Hände spielte, war die Flower-Power-Bewegung der Sechziger und Siebziger Jahre. Sowohl in den USA als auch in Deutschland. Zu den bereits vorhandenen diffusen Ängsten gegenüber Drogen kommt nun auch eine scheinbar unkontrollierbare Jugendbewegung, die Drogenkonsum als revolutionäres Statement und als bewusste Provokation gegen das „Establishment“ feiert. Drogenkonsum wird zu einer Chiffre, die für eine Liberalisierung der Gesellschaft steht. Für Konservative, die das unterbinden wollen, sind Verbote und strenge Drogengesetze das Mittel der Wahl.
Die Ampelkoalition hat in Aussicht gestellt, Cannabis zu legalisieren. Wäre das ein Paradigmenwechsel?
Dass eine Substanz von einem Topf im anderen landet, ist in der Geschichte der Prohibition schon viele Male passiert. Ein Paradigmenwechsel wäre, wenn man beschließen würde, die Gesetzgebung zu Drogen ganz generell auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen. Es hat sich in diesem gesamten historischen Prozess nie jemand hingesetzt und gesagt: Was finden wir gefährlich und gesundheitsschädlich und was verbieten wir? Es gab zu keinem Zeitpunkt systematische Überlegungen. Cannabis, Psychedelika, Heroin und Kokain waren bis vor kurzem noch in derselben Kategorie, haben aber nicht mehr gemeinsam, als dass sie verschiedene Bewusstseinszustände hervorrufen. Das vermögen aber auch Alkohol, Meditation und Sex. Die Wirkung der Substanzen ist unterschiedlich, ebenso ihre Gefährlichkeit für den Körper oder die Intensität des Rauschs. Auch Suchtbildung ist kein Kriterium, das alle diese Substanzen erfüllen. Die Prohibition von Drogen ist rein gefühlsbasiert und trägt historischen Ängsten Rechnung. Deshalb sollten wir uns endlich systematische Gedanken machen. Das ist es jedoch nicht, was gerade ansteht in der neuen Cannabis-Politik.
Helena Barop ist Historikerin und promovierte an der Uni Freiburg zur Geschichte der internationalen Drogenpolitik im 20. Jahrhundert. Ihre Dissertation erschien Ende 2021 im Wallstein Verlag unter dem Titel „Mohnblumenkriege. Die globale Drogenpolitik der USA 1950 bis 1979“, Wallstein Verlag, 494 Seiten, 46 Euro.