Marlene Halser

freie Reporterin für Print, Audio und Video, Berlin

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Geburtsbegleitung: Wer es sich leisten kann, gönnt sich eine Doula

Doulas sind nicht-medizinische Geburtsbegleiterinnen. Dass diese Dienstleistung in Deutschland immer mehr nachgefragt wird, liegt auch an der prekären Geburtshilfe.


Eine Geburt, wie die ihres ersten Kindes vor fast sechs Jahren, wollte Kathrin Kunzmann kein zweites Mal erleben. Traumatisierend sei diese gewesen, sagt die 40-jährige Bankkauffrau aus Berlin. Sie erzählt von Medikamenten und Entscheidungen, die ihr von Ärzten und Hebammen aufgenötigt worden seien, von einem harschen Umgangston, den sie als klein machend und entmutigend empfand. Sie berichtet von kaum auszuhaltendem Schmerz und Verzweiflung. Und davon, dass sie fast zwei Jahre gebraucht habe, um das Trauma dieser Geburt zu überwinden. Bereits als Kunzmann im August 2015 mit ihrer neugeborenen Tochter das Krankenhaus verließ, habe sie gewusst: "So kann sich die Natur das nicht gedacht haben. Das hat sich einfach nicht nach einer natürlichen Geburt angefühlt." Und sie schwor sich: Das soll sich nicht wiederholen.

Mittlerweile hat Kathrin Kunzmann drei Kinder zur Welt gebracht. Der jüngste Sohn ist erst wenige Monate alt. Wenn Kunzmann über die beiden nachfolgenden spricht, wird ihre Stimme weich und die Worte werden wohlwollend und warm. "Selbstbestimmt, extrem empowernd und wahnsinng heilsam" seien die nachfolgenden Geburten gewesen.

Ihr zweites Kind brachte Kunzmann in einem Geburtshaus zur Welt, das dritte war eine Hausgeburt. Mindestens so wichtig wie der Ortswechsel sei aber vor allem eine Person gewesen, die sie bei beiden Geburten begleitet habe, sagt Kunzmann: eine Doula, also eine nicht-medizinische, privat bezahlte Geburtshelferin.

In Kunzmanns Fall war diese Doula Annie Kocher, 28 Jahre alt, nicht-binär*. Kocher stammt aus Wisconsin in den USA und arbeitet seit 2015 hauptberuflich als Doula in Berlin. Sie* hat nach eigenen Angaben schon mehr als einhundert Geburten begleitet. "An Annie konnte ich mich festhalten - auch im ganz wörtlichen Sinne", sagt Kathrin Kunzmann. "Sie war ganz nah an mir dran und ständig für mich da."

Doulas arbeiten - ähnlich wie Hebammen - mit Gebärenden und betreuen diese vor, während und zum Teil auch nach der Geburt. Was ihre Ausbildung und den Fokus ihrer Arbeit betrifft, sind sie mit Hebammen aber nur bedingt vergleichbar. Vor allem ersetzen sie diese nicht.

Laut Hebammengesetz muss in Deutschland bei jeder Geburt eine Hebamme oder ein Entbindungspfleger anwesend sein und diese dürfen eine Geburt - anders als eine Doula - alleine begleiten. Eine praktizierende Hebamme hat eine medizinische Ausbildung absolviert und kann ein entsprechendes Zertifikat vorweisen. Der Beruf der Doula dagegen ist nicht geschützt. Theoretisch kann ihn jede Person ausüben. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass Doulas zwingend Laien sind. Alle drei Doulas, mit denen ZEIT ONLINE für diese Recherche gesprochen hat, haben eine Form der Ausbildung, sowie verschiedene Fortbildungen absolviert.

Annie Kocher, pinkes Haar, der Pony kurz, die Seiten abrasiert, erzählt im Zoom-Interview von ihrem* Werdegang: "Meine Mutter war Lehrerin und auf den Unterricht und die Unterstützung von schwangeren Teenagern spezialisiert." Von Neugeborenen sei sie* deshalb umgeben gewesen, seit sie* denken kann. "Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich die Bedürfnisse von Babys besser als viele Erwachsenen deuten kann, fast wie eine Übersetzerin", sagt Kocher. In den Semesterferien half sie* immer wieder in Kitas aus; als sie* nach dem Studium nach New York zog, nahm sie* Nebenjobs als Nanny an. "Müttern beim Stillen zu helfen, war irgendwie schon immer mein Ding", sagt Kocher. Das sprach sich schnell herum.

"Innerhalb von wenigen Monaten hat mein Telefon immer öfter geklingelt und ich hatte verzweifelte Menschen dran, die sagten: Hilfe, mein Kind ist erst wenige Tage alt, meine Brustwarzen tun höllisch weh und ich weiß nicht, was ich machen soll." Als sie* 2014 in New York zum ersten Mal den Begriff Doula hörte, war sie* wie elektrisiert. Ihr* war klar: "Genau das mache ich, ich hatte bloß kein Wort dafür." Mittlerweile ist Kocher zertifizierte Stillberaterin*, hat eine neunmonatige Ausbildung bei der US-amerikanischen Organisation Doula Trainings International absolviert und verschiedene Massagetechniken erlernt.

Für Kunzmann, der Kocher bei zwei Geburten zur Seite stand, war Annies Ausbildung nicht so wichtig. "Entscheidend war für mich, dass wir uns sympathisch sind." Das liegt auch daran, dass der Fokus einer Doula nicht auf der medizinischen Begleitung der Geburt liegt. Sie ist voll und ganz für die Gebärende da. "Ich bleibe die gesamte Geburt über präsent und biete emotionale und körperliche Unterstützung an", sagt Kocher über ihre Arbeit. "Ich helfe, Emotionen, die aufkommen, zu verarbeiten, und nehme die Angst. Ich massiere aber auch das Kreuzbein, presse gegen die Hüften oder biete Halt, wenn sich jemand während einer Presswehe an mir festhalten oder auf mich stützen will."

Das Berufsbild der Doula scheint für ein wachsendes Bedürfnis nach Selbstbestimmtheit und Sanftheit bei der Geburt zu stehen. Das mag auch mit der Debatte um Gewalt in der Geburtshilfe zusammenhängen, die immer lauter wird. Der Umgang mit Gebärenden während der Geburt sei bisweilen gewaltsam und übergriffig, sagen Betroffene. Seit nunmehr sieben Jahren legen sie am 25. November im Zuge des Aktionstages "Roses Revolution" Rosen und Briefe vor Krankenhäusern ab. Darin berichten sie von psychischer oder körperlicher Gewalt, die ihnen nach eigenen Angaben während der Geburt widerfahren ist. Was Kathrin Kunzmann von ihrer ersten Geburt erzählt, könnte in einem dieser Briefe stehen.

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