Einen gänzlich anderen Ansatz finden wir auf dem neuesten Album von Muse „Will Of The People“ vor. So zeichnet die Band hier düstere Zukunftsszenarien von Revolutionen, von gesellschaftlichen Umbrüchen. Und stützt sich dabei auf all die beängstigenden Ereignisse und Entwicklungen, die uns die letzten Jahre über ereilt haben (Trump, Waldbrände, Corona, Krieg – you name it). Hier lassen sie jedoch mehr Deutungsspielraum, als man auf den ersten Blick vermuten mag.
Umsturzfantasien mit Augenzwinkern
Muse verstehen es, uns mit ihren Texten immer wieder ganz gezielt auf falsche Fährten zu locken. Bereits der titelgebende Opener lässt sich hier wunderbar in seine Einzelteile zerlegen. So mutet der aufwieglerische Text in Kombination mit dem mitreißenden Hardrock-Sound erstmal wie ein typische Wut-Hymne an. Mit Zeilen wie „Free your sons and unlock your daughters. We’ll throw the baby out with the bathwater“ machen Muse jedoch rasch deutlich, dass sie hier wohl weniger zum gesellschaftlichen Umsturz aufrufen, sondern viel eher populistische Umsturzfantasien aufs Korn nehmen.
Dann ist da die theatralische Piano-Ballade „Ghosts (How Can I Move On)“, die allein schon vom Titel her die Erwartungen an einen klassischen Trennungssong schürt. Nach eigener Aussage der Band fließt hier aber vor allem wieder die Gegenwartsbeobachtung ein, die sich wie ein roter Faden durch das ganze Album zieht. Demnach sei das Stück den im Zuge der Pandemie Verstorbenen sowie deren Hinterbliebenen gewidmet.
Auch der Titel „You Make Me Feel Like It’s Halloween“ ist nicht unbedingt das, was er auf den ersten Blick zu sein scheint. So kommt er mit seinem schaurigen Orgel-Spiel und den elektronisch verzerrten Gesangsteilen zunächst wie ein Song daher, der sich selbst unter Umständen nicht allzu ernst nimmt. Dabei scheint es im Gegenteil wieder eine sehr wichtige und aktuelle Thematik zu sein, welcher sich Muse hier annimmt. So wird mit Zeilen wie „You cut me off from my friends. You cut me off from my family. I’m in misery (I’m your number one fan)“ offenbar das Thema häusliche Gewalt abgebildet. Inwieweit man dieser sehr realen Problematik mit einem so verspielten Gruselkabinett-Sound gerecht wird, darüber ließe sich freilich hervorragend streiten.
Worüber sich jedoch schwerlich streiten lässt, ist der Umstand, dass die Texte von Muse auch nach all den Jahren durchaus Potential zum gedanklichen Herumkauen bieten. Sie sind vielseitig deutbar und weit davon entfernt in belanglose Phrasendreschereien abzudriften.
Von Synthpop bis Metal
Man betrachte etwa den Song „Compliance“, der durch eingängige Synth-Pop-Anleihen mehr zum Tanzen als zum Moshen einlädt. Mit „Liberation“ tasten sich Muse vielleicht so nahe wie noch nie an den charakteristischen Queen-Sound heran, und bei dem bereits erwähnten Song „Ghosts (How Can I Move On)“ steht das Klavierspiel wohl präsenter denn je im Mittelpunkt.
Darüber hinaus sind es vor allem die härteren Einflüsse, die man nicht nur vom eigenen Frühwerk her bereits kennt, sondern sich auch durch das neueste Werk der Briten ziehen. So wird man etwa bei den Songs „Won’t Stand Down“ und „Kill Or Be Killed“ von den Gitarren und dem Schlagzeug geradezu durchgepeitscht. Währenddessen schlägt die in ihrem Umfang ohnehin schon beeindruckende Gesangsstimme von Frontmann Matthew Bellamy sogar in den ein oder anderen Scream um.
Muse offenbaren hier ein so reiches Maß an Schaffenslust, an Verspieltheit und Abwechslung, wie es sich so manch andere Band in diesem Karrierestadium wohl nur wünschen kann. Wenn es ihnen gelingt, auch nur einen Teil dieser Energie auf die Konzertbühnen zu transportieren, dann stehen Fans der Truppe einige mitreißende Liveshows bevor. So viel scheint sicher.