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Warum der „Heldenplatz-Skandal“ noch immer hochaktuell ist

Der Tag der Uraufführung von Thomas Bernhards ehemaligem Skandalstück „Heldenplatz“ jährt sich heuer zum 33. Mal. Parallelen zu den damaligen Ereignissen zeichnen sich bis heute ab. Ein Kommentar.

Wien, am 4. November 1988. Thomas Bernhards Theaterstück „Heldenplatz“ wird im Burgtheater uraufgeführt. Der Premiere geht ein von Medien und Politik heraufbeschworener Skandal voraus. Der Anlass: Aus dem Zusammenhang gerissene Textstellen. Die Österreicher:innen als „6,5 Millionen Debile“, „mehr Nazis als 1938“ oder Österreich als „geist- und kulturlose Kloake“ sind nur einige der vielzitierten Beispiele.

Heute sollte überwiegend bekannt sein, dass „Heldenplatz“ nicht auf das bloße Beleidigen der österreichischen Bevölkerung abzielte. Auch das Abstempeln von Bernhards Stück als plumpe Provokation greift zu kurz. Viel eher sollte das Stück wohl als eine künstlerische Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Umständen des Landes zur damaligen Zeit verstanden werden.

Zur Erinnerung: Mit Kurt Waldheim hatte ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier das Amt des Bundespräsidenten inne. Nicht zuletzt führte erst die Auseinandersetzung mit Waldheims Vergangenheit, die sogenannte Waldheim-Affäre, zu einem Hinterfragen der vermeintlichen Opferrolle Österreichs im Nationalsozialismus. Zeitgleich begann der Aufstieg von Jörg Haider in der FPÖ. Jenem Mann, der später mit Knallern wie „Die Waffen-SS war Teil der Wehrmacht und es kommt ihr daher alle Ehre und Anerkennung zu.“ reichlich Aufmerksamkeit erntete.

Der Boulevard und die Sache mit der Kunst

Eine entscheidende Rolle beim Anheizen der Stimmung gegen Bernhard nahm die „Kronen Zeitung“ ein. So fürchtete etwa der Herausgeber Hans Dichand, dass in Österreich die Sonne unterzugehen drohe, „wenn wir Österreicher uns diese unflätigen Beleidigungen […] gefallen lassen“.

Dass es sich bei den vielkritisierten Textstellen von „Heldenplatz“ nicht um Aussagen des Künstlers, sondern um Dialogpassagen zwischen fiktiven Figuren handelt, geriet dabei entweder völlig in Vergessenheit oder wurde bewusst ausgeblendet. Wer denkt, dieser Zugang des Boulevards zur Kunst hätte sich über die Jahre gewandelt, liegt eher daneben. 

Einige erinnern sich bestimmt noch an den „Babykatzengate“ um Stefanie Sargnagel. Die Wienerin schrieb gemeinsam mit zwei weiteren Jungautorinnen einen literarisch stark überspitzten Reisebericht aus Marokko. Darin war unter anderem vom Babykatzentreten und dem vermeintlichen Haschischkonsum der Autorinnen die Rede. Die „Krone“ schoss als Reaktion darauf gegen die Künstlerinnen. Und schoss zugleich weit übers Ziel hinaus – um es sehr euphemistisch zu formulieren. „Saufen und kiffen auf Kosten der Steuerzahler“ war als Titel des Artikels zu lesen, der sich über den Text empörte.

Wie bei Bernhard war auch in diesem Fall die vermeintliche Steuergeldverschwendung ein Thema – wir sprechen hier über eine staatliche Förderung von insgesamt 1500 Euro. Und wie bei Bernhard wurde abermals der Unterschied zwischen literarischer Figur und Künstler:in außen vor gelassen.

Die Folge war ein Shitstorm der übelsten Sorte, den vor allem FPÖ-Anhänger:innen befeuerten. Mord- und Vergewaltigungswünsche prasselten auf Sargnagel ein. Doch damit nicht genug: Die Kärnter „Krone“ bezeichnete sie als „Fäkal-Autorin“ und „willig“ und veröffentlichte zugleich ihren Wohnort. Der Presserat zeigte wenig Verständnis für diese Art der Berichterstattung und verurteilte die „Kronen Zeitung“.

Ins Rollen gebracht wurde der „Eklat“ übrigens durch den damaligen „Krone“-Journalisten Richard Schmitt, der später mit Heinz-Christian Strache ein Medium gründen wollte. Wenigstens das blieb uns erspart.

 Ein unseriöser Quatschvogel lässt die Gemüter erhitzen

Ob man seiner Arbeit nun etwas abgewinnen kann oder nicht – Jan Böhmermann beherrscht es, den Finger zur richtigen Zeit am richtigen Ort in die entscheidende Wunde zu legen. So nahm der selbsternannte „unseriöse Quatschvogel“ in einem ORF-Gespräch direkt Bezug auf ein „Heldenplatz“-Zitat. Oder viel mehr stellte der ORF-Interviewer diesen Bezug her. Als „sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige“ wurden die Österreicher:innen in „Heldenplatz“ bezeichnet. Böhmermann dachte dieses Zitat konsequent weiter und meinte: „Das Rad der Zeit dreht sich ja weiter: Inzwischen sind es acht Millionen Debile.“

Auch hier ist der Kontext entscheidend, in dem das Interview stattfand. So wurde das Gespräch anlässlich von Böhmermanns Ausstellung in Graz geführt, die sich auf satirische Weise mit der politischen Situation in Österreich im Jahr 2019 befasste.

Dass sich der ORF von Böhmermanns Äußerungen distanzierte, war leider nicht Teil der Satire. Genauso wenig wie die Welle an Empörung, die anschließend folgte. So musste sich etwa der FPÖ-Politiker Harald Vilimsky Folgendes von der Seele reden: „Der ORF entwickelt sich immer mehr zu einer reinen Propagandamaschine von Rot-Grün“. Natürlich hatte auch der Boulevard wieder prompt passende Schlagworte wie „Riesen-Wirbel“, „Eklat“ oder „Skandal“ parat, um den Leser:innen auch die entsprechenden Emotionen zu entlocken.

Die Wehleidigkeit der Rechten

Egal ob im Fall Bernhard, Böhmermann oder Sargnagel – auffallend ist stets die Wehleidigkeit, mit der Rechte reagieren, sobald es ihre eigenen Werte sind, die ins Lächerliche gezogen werden. Der ansonsten so hart ausgetragene Kampf gegen die Political Correctness spielt dann plötzlich keine so große Rolle mehr.

Wenn es wiederum um das Hetzen gegen Minderheiten zugunsten der eigenen politischen Agenda geht, sieht es schon wieder ganz anders aus. Da wird dann gerne mal jede geäußerte Kritik heruntergespielt und manchmal gar mit Begriffen wie „Tugendterror“, „Meinungsdiktatur“ oder „Moralapostel“ um sich geschmissen.

Auch das Argument der vermeintlichen Steuergeldverschwendung fällt in sich zusammen, wenn man einen Moment länger darüber nachdenkt. Kunstschaffende agieren im Rahmen der Kunstfreiheit und sind nicht etwa mit Politiker:innen gleichzusetzen. Oder wie Böhmermann es schon ausgedrückt hat: „Quatschvögel machen Quatsch. Politiker machen Politik.“

Ist die Frage der Steuergeldverschwendung nicht viel berechtigter, wenn wir mit menschenverachtenden Aussagen von Seiten hochrangiger Politiker:innen konfrontiert sind? Oder wenn extrem mächtige und auflagenstarke Medien Hetze betreiben?

Ob Bernhard mit seinem Werk heute eine ähnliche Aufregung wie damals herbeiführen würde, ist wohl mindestens in Frage zu stellen. Es ist aber vor allem diese spezielle Dynamik, die uns bis heute erhalten bleibt: Auf der einen Seite stehen dabei Kunstschaffende. Auf der Gegenseite stehen Rechte und Boulevardmedien, die sich gegenseitig beflügeln.


Veröffentlicht am 4. November 2021

Bildquelle: © Oliver Herrmann, Archiv Burgtheater