Trash-TV-Formate wie „Bachelor“ und Co dienen für gewöhnlich der seichten Unterhaltung. In einer Zeit, die unbeständiger kaum sein könnte, haben sie in meinem Leben aber vor allem wichtige Fixpunkte gebildet. Ein persönlicher Kommentar.
Während der Pandemie war ich finanziell abgesichert, konnte meinem Studium und meiner Arbeit problemlos im Homeoffice nachgehen. Ich bin privilegierter als viele andere, die durch Corona ihre Existenzgrundlage verloren haben oder gar um ihr eigenes Leben oder das ihrer Liebsten bangen mussten. Dieses Privileg feit mich jedoch keinesfalls davor, die Auswirkungen der Gesamtsituation auf meine eigene psychische Gesundheit zu spüren.
Vielleicht kennt ihr auch dieses Gefühl, wenn man kaum die Kraft aufbringt, das Bett hinter sich zu lassen. Ein paar Bissen zu essen. Geschweige denn den Haushalt zu schmeißen. Wenn die Tage zu einer einzigen grauen, zähflüssigen Masse verschmelzen. Gerade in den vergangenen Monaten war ich quasi am laufenden Band mit dieser Art von Gefühl konfrontiert.
Die Pandemie als ständiger Begleiter
Die Pandemie hat sich längst ihren Weg in meinen intimsten Rückzugsort und in meine Gedankenbahnen erschlossen. Sie dominiert Gespräche unter Bekannten. Anrufe bei der Familie arten wegen ihr regelmäßig in gefühlsgeladenen Diskussionen aus. Und sogar in der vermeintlich sicheren Online-Bubble kann man sich nicht mehr vor ihren Auswirkungen verstecken – wenn sich etwa Feindseligkeiten und die Spaltung der Gesellschaft täglich in Kommentarspalten widerspiegeln. Zynismus und das Lächerlichmachen Andersdenkender und -fühlender mittlerweile als absolut salonfähig angenommen werden (wovon ich mich selbst keineswegs freispreche). Falls einem das alles noch nicht den Boden unter den Füßen wegreißt, wird die restliche Timeline in aller Regel mit Nachrichten über Krieg, Korruption oder die Klimakrise ausgefüllt.
Mit all dem im Hinterkopf finde ich mich regelmäßig grübelnd vor meinem DVD-Regal wieder. Was soll's heute sein? „Der Pate II“ oder die aktuelle Bachelorette-Fremdschäm-Einlage? Das chinesische Arthouse-Drama (das schon seit gefühlten Jahrzehnten in meinem untersten Regalfach verstaubt) oder vielleicht doch lieber Sophia Thomalla, wie sie irgendwelche Macho-Hohlbirnen zurechtstutzt?
Seit einiger Zeit fällt es mir immer schwerer, mich emotional auf Dinge einzulassen. Während eines Films wandert meine Aufmerksamkeit unweigerlich all den besagten Themen entgegen, die ich so verzweifelt versuche, von mir wegzustoßen. Und so fällt meine Entscheidung meistens zugunsten des Banalen. Jener Formate, die weder meine Konzentration, noch meine emotionalen Kapazitäten allzu sehr in Anspruch nehmen.
Die Zuflucht im Banalen
Ob „Bachelor(ette)“, „Prince(ss) Charming“ oder (in besonders schwachen Momenten) „Are You The One?“ – wenn die Realität immer finsterer wird, hilft irgendwann nur noch die Zuflucht in einem sicheren Hafen der Banalitäten. Und genau das stellen besagte Formate für mich während der Pandemie dar. Einen Zufluchtsort.
Ich finde Halt und Sicherheit in dem künstlichen Echauffieren über verhasste Kandidat:innen. Im gemeinsamen Fremdschämen bei den zahlreichen Cringe-Momenten. In dem Diskutieren über Gossip und Belanglosigkeiten.
Gerade in einer Zeit, die gekennzeichnet durch Unbeständigkeit ist, bekommen auch feste Sendezeiten wieder einen ganz neuen Stellenwert. Es tut einfach gut, jede Woche am gleichen Tag zur gleichen Zeit der gleichen seichten Unterhaltung entgegenzufiebern.
Eine privilegierte Blase?
Klar, man könnte meinen Trash-Konsum als Symptom meiner privilegierten Situation auslegen. Da ich von vielen Problemen nicht direkt betroffen bin, unternehme ich gar nicht erst den Versuch, mich mit diesen auseinandersetzen, werden mir einige unterstellen. Stattdessen begebe ich mich in meine kuschelige Reality-TV-Blase, in der die größten Probleme meist nicht über das Bangen um Rosen, Halsketten oder Krawatten hinausgehen. In der Oberflächlichkeiten, Geschlechter-Stereotype und toxische Männlichkeit als Quellen der Unterhaltung herhalten. Währenddessen wird draußen in der echten Welt womöglich der nächste Femizid vermeldet oder Frauenrechte in Afghanistan mit Füßen getreten.
Zweifellos sind das Themen, denen man sich stellen sollte. Über die man reflektieren muss. In der heutigen Zeit dringender denn je.
Dennoch ist für mich klar: Es ist nichts verwerflich daran, einen Ausgleich für psychischen Leidensdruck zu suchen. Und wenn wie in meinem Fall so etwas Einfaches wie Trash-Fernsehen ein wenig Ballast von den Schultern nehmen kann, umso besser.
Das Bild vom verweichlichten Millennial
Dass besonders junge Menschen im Zuge der Pandemie von seelischer Belastung betroffen sind, dürfte für viele inzwischen keine Neuigkeit mehr darstellen. Doch auch schon vor dem Ausbruch des Virus waren wir Millennials mit einer Reihe von Stressfaktoren konfrontiert. Das beginnt beim alltäglichen Scrollen durch den Social-Media-Newsfeed, wo uns pausenlos vermittelt wird, dass die anderen immer alles besser hinbekommen als wir. Den geileren Urlaub samt makellosem Beach Body haben. Harmonischere Beziehungen pflegen. Oder einen beruflichen Erfolg nach dem anderen verbuchen.
Dass uns Jungen gerne vorgehalten wird, uns ginge es doch so klasse im Vergleich zu früheren Generationen, mildert zudem nicht gerade den Druck, irgendetwas Großartiges aus dem eigenen Leben zu machen. Gleichzeitig erscheint die generelle Zukunft, der wir entgegenblicken, alles andere als rosig – seien es nun die über die letzten Jahre stark angestiegenen Mietkosten oder die bereits angesprochene Klimakrise, die uns Ängste bereiten. Durch die Umstände der letzten eineinhalb Jahre haben sich wohl einige dieser Stressfaktoren noch weiter verschärft.
Der altbekannte Vorwurf, wir Millennials wären verweichlicht oder würden in Watte gepackt werden, greift also ganz klar zu kurz – Abgesehen davon, dass es natürlich ohnehin fragwürdig ist, eine ganze Generation in einen Topf zu werfen.
Insgesamt zeichnet sich für mich ein Bild von einer Generation ab, die nicht erst seit dem Aufkommen des Corona-Virus ganz neuen und eigenen Belastungen ausgesetzt ist. Vor allem im Zuge der Pandemie haben wir reichlich Verantwortung übernommen, um vornehmlich ältere Menschen zu schützen. Umso mehr haben wir doch einen sicheren Raum verdient, in dem wir zur Abwechslung mal keiner Erwartung, keiner Diskussion und keiner kritischen Beäugung standhalten müssen. Und warum sollte eben genau dieser Ort nicht im Trash-Fernsehen liegen?
Veröffentlicht am 8.10.2021 im FUTTER (ehemals das junge Magazin der Kleinen Zeitung)