Markus Böhm

Journalist (Spiegel Online/Netzwelt) und Blogger, Hamburg

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Artikel

ZDF-Doku "Killerspiele": Als Schiffe versenken eine Gefahr für die Jugend war

Es gibt einen simplen Hebel, um bei Spielefans Interesse und Abscheu zugleich zu wecken: Packen Medien den Kampfbegriff "Killerspiele" in den Titel eines Beitrags, können sie sich einer gewissen Aufmerksamkeit gewiss sein.

Zu viele einseitige Artikel und uninformierte Politikeraussagen sind den Spielern aus den Nullerjahren im Gedächtnis geblieben, aus jener Zeit, als die Debatte um Actionspiele nach den Amokläufen von Bad Reichenhall und Erfurt auf ihren Höhepunkt zusteuerte.

Bei seiner neuen Reihe "Killerspiele" dürfte ZDFinfo den Begriff nun sehr bewusst eingesetzt haben. Dafür spricht, dass der Sender mit Christian Schiffer einen ausgewiesenen Games-Experten beauftragt hat, in drei Filmen die Geschichte des Streits um Gewalt in Videospielen zu dokumentieren.

Der Radiojournalist gibt das Magazin "WASD" heraus, in dem Spiele ganz selbstverständlich ein Kulturgut sind, es gibt Hefttitel wie "Freiheit und Computerspiele" und "Die Zukunft der Games-Kultur". Bei Schiffer brauchen Gamer keine Angst zu haben, dass "World of Warcraft" zum Ballerspiel wird oder dass "Counter-Strike" Schulmädchen angedichtet werden.

Auto-Attacken auf Strichmännchen

Im ersten Film der Reihe, " Killerspiele - Der Streit beginnt", dauert es bis zum vierten O-Ton, bis mit dem "Killerspiel" gebrochen wird. Der frühere Spielejournalist Gunnar Lott sagt, der Begriff sei dafür da, zu diffamieren. Man dürfe ihn daher eigentlich nicht verwenden. An dieser Stelle entlarvt sich der Titel der Reihe dann doch als Lockmittel.

Nach diesem Einstieg geht es in die Vergangenheit: "Der Streit beginnt" widmet sich den Vorläufern der großen politischen und medialen Debatte in Deutschland. Vorgestellt wird zum Beispiel ein altes Automatenspiel namens "Death Race", das auf größeres Interesse stieß, sobald man nicht mehr nur andere Autos treffen, sondern pixelige Figürchen überfahren konnte. "Krank, krank, krank", urteilte dazu die amerikanische Non-Profit-Organisation National Safety Council. Filmmacher Schiffer kommt zu dem Schluss, dass so bereits 1976 die erste Killerspieldebatte aufkam, lange, bevor das Wort erfunden wurde.

Obwohl Schiffers Doku vor allem die Achtziger- und frühen Neunzigerjahre behandelt - Teil zwei und drei sollen sich den Nullerjahren und der Gegenwart widmen -, hilft sie, die Ursprünge späterer Streits nachzuvollziehen. Spielen wird als Nischenhobby porträtiert, das erst mit der Zeit so groß wurde, dass auch diejenigen, die keinen Bezug dazu hatten, sich dazu verhalten mussten. In einem Ausschnitt einer Doku von 1984 wird zum Beispiel eine junge Frau gefragt, ob sie sich einen Freund vorstellen könne, "der den ganzen Tag am Computer sitzt, so wie dein Bruder". (Antwort: "Nee, weniger.")

Die ersten Indizierungen

Zwischen TV-Schnipseln und Erinnerungen seiner Protagonisten zeigt Schiffer Spielszenen: Während ein 3D-"Wolfenstein" unterlegt mit The Prodigy durchaus noch an Handygames erinnert und aufregend wirkt, kommen die gezeigten C64-Spiele wie Pixelbrei daher. Das gilt auch für das erste in Deutschland indizierte Spiel, "River Raid". Darin steuerte man einen Flieger und schoss andere Flugzeuge und Schiffe ab, ein Geschehen ohne Todesschreie und ohne Blut.

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPJM) - die damals noch BPJS hieß - fand das Spiel trotzdem problematisch: Mit "River Raid" finde im Kindesalter "eine paramilitärische Ausbildung" statt, hieß es 1984 in ihrer Indizierungsbegründung. Und "River Raid" war bei Weitem nicht das einzige Spiel, dem Derartiges vorgeworfen wurde: Auch andere aus heutiger Sicht harmlose Spiele wie "Speed Racer" und "Rambo: First Blood Part II" landeten auf dem Index. (Bei Interesse finden Sie in diesem Artikel drei Indizierungsentscheidungen aus den Achtzigerjahren als Volltext.)

Einen größeren Sprung hin zu mehr Realismus machten Actionspiele erst Anfang der Neunzigerjahre: Besonders "Doom", erschienen 1993, haben viele Spieler als Meilenstein in Erinnerung behalten. "Das hat jeder ausprobiert, das fand jeder enorm, was da an grafischer Darstellung möglich war, und die Audioeffekte und so", sagt Gunnar Lott im Film.

Boris Schneider-Johne, früher ebenfalls ein bekannter Spielejournalist, meint, es sei nicht die Brutalität gewesen, die "Doom" ausgemacht habe, sie sei nur die "Sahne obendrauf" gewesen. Weil "Doom" so gut ankam, seien in der Folgezeit allerdings auch andere Spiele gewalthaltiger geworden. "Ein weniger brutales 'Doom' hätte wahrscheinlich auch funktioniert und hätte vielleicht die Branche in eine andere Richtung driften lassen", sagt Schneider-Johne.

Auch die Perspektive der Jugendschützer

Bemerkenswert an "Der Streit beginnt" ist, dass der Film auch die Seite des Jugendschutzes zu Wort kommen lässt, in Person von Elke Monssen-Engberding, der Vorsitzenden der BJPM. So kann man als Zuschauer, der längst ganz andere Grafikspektakel und Spielerfahrungen gewohnt ist, zumindest im Ansatz nachvollziehen, wie die BPJM zu ihren Urteilen kam. Prüfer wie Elke Monssen-Engberding dachten damals offenbar weniger an Amokläufe, sondern entschieden eher im Angesicht der politischen Situation.

Während ganz real Kalter Krieg herrschte, wollte die BPJM wohl schlicht nicht, dass die Kinder auch noch Krieg spielen. "Angriffskrieg führen ist vielleicht nicht gerade eine paramilitärische Ausbildung, aber es ist trotzdem das Verbreiten der Ideologie, dass ein Angriff billigenswert ist", sagt Monssen-Engberding heute in die Kamera.

Ob die ersten Indizierungen überhaupt etwas gebracht haben, stellt der Film infrage. In der C64-Ära beispielsweise sollen ungefähr hundert illegale Kopien auf ein Originalspiel gekommen sein, sodass Spieler, die ihre Dateien mit Freunden austauschten, im Zweifel gar nicht mitbekamen, ob ein Spiel noch im Ladenregal stand. Und selbst die Bundesprüfstelle gab mitunter den Namen einer Crackergruppe als Spielehersteller an.

Viele amüsante Anekdoten

Es sind auch solche Anekdoten, die Schiffers Film sehenswert machen. Da gibt es zum Beispiel noch den Interviewpartner Hans Ippisch, der sein Spiel "Soldier" mit 16 Jahren programmierte - und dem es nach dessen Indizierung nicht möglich gewesen wäre, es selbst zu kaufen.

Die vielleicht schönste Szene stammt aber aus einem SPIEGEL-TV-Beitrag von 1991, den wir hier in Originallänge zeigen (beschriebene Szene bei Minute 05:43):

Elke Monssen-Engberding schaut darin einer anderen Prüferin beim Spielen über die Schulter, eine Zigarette in der Hand. "Wieso funktioniert das denn bei mir nicht?", schimpft die Spielerin, während sie an "Dogs of War" scheitert, "ich schieß doch wie verrückt." "Der Flammenwerfer schießt ja auch immer ins Leere", kommentiert Monssen-Engberding später, worauf die Spielerin entgegnet: "Nee, ich hau die doch alle kaputt. Da, diese ganzen Krüppel."

Später müssen die Prüferinnen sogar einen Jugendlichen bitten, ihnen beim Weiterkommen zu helfen. "Die Computerspiele der Neunzigerjahre", hieß es da schon aus dem Off des Beitrags. "Kein Problem für die Jugend, aber für die Jugendschützer in Godesberg." Ein Konflikt, der weit über 1991 hinaus ein Thema sein würde. Für die nächsten Folgen jedenfalls dürfte es für Christian Schiffer noch eine Menge spannendes Material geben.

"Killerspiele - Der Streit beginnt" läuft am Samstag, 6. Februar, um 23.10 Uhr auf ZDFinfo. Vorab lässt sich der Film in der ZDF-Mediathek abrufen - allerdings erst nach 20 Uhr. Die Doku ist 45 Minuten lang, die Ausstrahlungstermine für Teil zwei und drei sind noch nicht bekannt.

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