Überlebenstipps für den Besuch bei den Eltern
Es gibt nur zwei Arten von Familien. Die einen streiten ständig. Und die anderen? Streiten bei jeder Gelegenheit. Das ist ein Witz, den Psychologen erzählen, und es steckt viel Wahrheit darin. Gerade in der Zeit, wenn man eigentlich schon ausgezogen ist, zu Besuch bei den Eltern aber wieder im alten Kinderzimmer schläft, gibt es eine Menge zu klären. Denn eine Familie ist ein System. Wenn es sich verändert, müssen alle Teile ihren neuen Platz suchen. Und dabei kracht es oft. Rebekka Jost ist Systemische Therapeutin und arbeitet in einer Beratungsstelle für Familien und Paare. Sie sagt: "Eltern und junge Erwachsene befinden sich mitten im Ablösungsprozess. Kommen sie dann wieder unter einem Dach zusammen, können sie schnell in alte Konfliktmuster fallen."
Studierende müssen dabei einen besonderen Balanceakt meistern: Sie brauchen oft finanzielle Unterstützung von ihren Eltern, aber auch die Entscheidungsfreiheit über ihr Geld und ihre Lebensweise. In der Entwicklungspsychologie spricht man von emerging adulthood. Diese Zeit ist durch Entscheidungen geprägt, die auf das Erwachsenenleben vorbereiten. Wie will ich leben? Was für ein Mensch will ich sein? Eltern müssen lernen, sich dabei nicht ständig einzumischen.
Wie gehe ich mit Anspannungen um?Ein häufiges Konfliktthema zwischen Eltern und ihren Kindern ist Leistungsdruck. Gaby Jungnickel, Leiterin der psychologischen Beratung an der Uni Köln, sagt: "Besonders wenn es um Leistung geht, fällt es jungen Erwachsenen schwer, sich von den Erwartungen ihrer Eltern zu lösen. Es scheint einfacher zu sein, aus der Kirche auszutreten, als zuzugeben, dass man das Semester nicht schafft." Wenn es zu Konflikten komme, solle man Ich-Botschaften senden, sagt die Therapeutin Rebekka Jost. Es sei besser, die eigene Gefühlswelt zu beschreiben, statt Vorwürfe zu machen. Statt "Du machst mir Druck" also lieber "Ich fühle mich unter Druck gesetzt" sagen. Wörter wie "immer" und "nie" besser vermeiden. Das gelte übrigens für so ziemlich jede Konfliktsituation, ist also auch übertragbar auf Streit mit Freunden, Mitbewohnern oder dem Bafög-Sachbearbeiter.
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Bei den Eltern kommt allerdings hinzu: Wenn sich ein Streit anfühlt wie ein Déjà-vu, sollte man dem Konflikt auf den Grund gehen und Fragen stellen. Wenn es zum Streit über schmutzige Teller in der Spüle kommt, kann man etwa fragen: "In meinem Haushalt entscheide ich, wann ich das Geschirr abwasche. Macht ihr euch vielleicht Sorgen, wie ich alleine klarkomme?"
Ganz schlecht im Streit: Doppelbotschaften. Eltern verlangen von ihrem Kind mehr Selbstständigkeit, reagieren aber wütend, wenn es eine Entscheidung ohne Absprache trifft. Studierende wollen ihren Eltern Sorgen mitteilen, aber keine gut gemeinten Ratschläge von ihnen hören. Da hilft nur, die eigenen Bedürfnisse klar zu formulieren. Zum Beispiel: "Ich möchte euch gerne erzählen, was mich belastet, aber gebt mir bitte nicht sofort Tipps, sondern hört erst mal zu."
Wie spreche ich heikle Themen an?Für ein schwieriges Gespräch sollte man sich Zeit nehmen und die volle Aufmerksamkeit von den Eltern verlangen. Das geht am besten, indem man sich zum Gespräch verabredet. Vorher sollte man sich überlegen, welche Argumente man vortragen will. Geht es zum Beispiel um finanzielle Sorgen, kann man vorher ausrechnen, was man braucht und wie man es zurückzahlen könnte. Raum für einen Kompromiss muss es trotz Vorbereitung geben.
Was, wenn die Fronten sich verhärten?"Leiden für den Familienfrieden macht keinen Sinn", sagt die Therapeutin Rebekka Jost. "Bevor man den Kontakt ganz abbricht, kann man aber überlegen, unter welchen Bedingungen ein konstruktives Gespräch möglich ist." Dabei gelte: Wer selbst unsicher ist, dem fällt eine Versöhnung mit anderen schwerer.
Wenn man aber zu seinen Eltern gehe und sage: "Ich weiß, eure Werte sind andere, aber ich habe beschlossen, mein Leben auf diese Art zu führen", dann könne damit Streit der Nährboden entzogen werden, sagt Jost. "Dann kann man sich auf Augenhöhe begegnen, solange beide Seiten den moralischen Zeigefinger weglassen." Räumliche Distanz sei keine Lösung für Konflikte, sagt Gaby Jungnickel, die Studierendenberaterin aus Köln: "Man kann auf dem Mars leben und bleibt trotzdem dem Elternhaus verhaftet, wenn es einen ungeklärten Konflikt gibt."
Für viele ist die Herausforderung, sich auf Augenhöhe mit den Eltern zu treffen. Und ihre Ansprüche zurückzuweisen, wenn diese unbegründet sind. Und zwar ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Man schuldet seinen Eltern nicht, die Regelstudienzeit zu schaffen oder Bestnoten zu schreiben. Vielleicht fühlt es sich aber so an. Dann kann eine Beratung an der Uni helfen, sagt Jungnickel. Das Wichtigste ist, mit den eigenen Lebensentscheidungen im Reinen zu sein und sie nach außen vertreten zu können. Dann gibt es keinen Grund für Schuldgefühle.
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