Die schwarze, schmale Dose wird genauso wie ein Erbseneintopf aus dem Supermarkt geöffnet: Es zischt kurz, wenn das goldene Blech nach oben gebogen wird; Druck entweicht, es riecht nach Essig und Pfeffer. Im sechsten Stock des Berliner Luxuskaufhauses KaDeWe werden Spreewaldgurken einzeln verpackt in Dosen verkauft. In der Feinschmeckerabteilung gibt es die Gurke „to go" für 1,78 Euro - zwölf Zentimeter lang, männerdaumendick.
Nachdem man die Einweckgurke aus ihrer Dosenlake gezogen hat, schnurpst es, und Säure spritzt aus dem Ende der Gurke, das gerade nicht im Mund ist. Es kleckert - Gurkenessen ist nichts für Knigge-Fans. Schnurps. Knack. Schnurps. Knack. Schnurps. Immer wieder mischen sich Dill, Senfsaat, Salz, Essig und Speichel und laufen über die Zunge zu einem würzigen Geschmack zusammen.
Dabei müssen Zähne und Lippen, ähnlich wie beim bayerischen Weißwurstessen, die Gurke so fest zusammendrücken, dass sie gequetscht wird. Dabei „schnurpst es", sagen echte Spreewälder und meinen damit das Geräusch, wenn eine Gewürzgurke aus ihrer Region im Mund zerkaut wird. Das klingt nicht sexy, aber urig.
Im vorliegenden Fall gehören die Dosen mit den Riesengurken Konrad Linkenheil. Er ist Geschäftsführer und Inhaber der Spreewaldkonserve Golßen GmbH, kurz Spreewaldhof. 1991 kaufte der Rheinländer zusammen mit seiner Schwester den VEB Spreewaldkonserve und gründete sein eigenes Gurkenunternehmen.
Beste Voraussetzungen im SpreewaldDer Mittelstandsbetrieb mit 170 Angestellten erwirtschaftet einen Jahresumsatz von etwa 100 Millionen Euro. Linkenheil wusste, dass er sich mit der Gurke aus Brandenburg eine Marketingexpertin eingekauft hatte. „Mit der Spreewälder Gurke verbindet der Verbraucher seit je her ein qualitativ hochwertiges Image", sagt der 62-Jährige. Und tatsächlich war die Spreewaldgurke schon zu DDR-Zeiten sehr beliebt. Aber woher hat sie ihr gutes Image?
Die Gurke stammt aus dem etwa 475 Quadratkilometer großen Spreewald in Brandenburg und wird dort auf circa 500 Hektar angebaut. Doch ursprünglich ist sie nicht von dort. Anfang des sechzehnten Jahrhunderts zogen niederländische Tuchfabrikanten und Weber in die Gegend um die brandenburgische Kleinstadt Lübbenau; die damaligen Regenten des Gebiets hatten die Holländer nach Deutschland geholt. Sie sollten die Wirtschaft in der Region ankurbeln. Mit Tüchern gelang ihnen das nicht, aber mit Gurkensamen. Die hatten sie von zu Hause mitgebracht.
Die Niederländer merkten, dass die Gurken nicht nur sehr schnell sehr gut wuchsen, sondern auch bei den Deutschen gut ankamen. Deshalb legten sie die Gurken ein, machten sie so haltbarer und verkauften sie. Im Spreewald hatten sie die besten Voraussetzungen dafür: fruchtbaren Boden, die Spree zum Transportieren und Berlin als Handelsmetropole rund hundert Kilometer entfernt.
Humushaltig, torfig, sandigBoden und Berlin spielen immer noch eine wichtige Rolle bei der Gurkenproduktion: „Dadurch, dass der Boden humushaltig, torfig, sandig und stets feucht ist, erwärmt er sich schnell. Das ist perfekt für den Gemüseanbau", sagt Karl-Heinz Starick. Dem gebürtigen Lübbenauer gehört das einzige Gurkenmuseum Deutschlands.
Nachdem der Besucher in Lübbenau zwei Euro in einen Metallschlitz gesteckt hat, dreht ihn das Drehkreuz hinein auf den überdachten Vorplatz eines ehemaligen Bauernhofes. Neben das Haus hat der 73- Jahre alte Starick Holzfässer gestellt. Viele Holzfässer. Ihr Duft verrät, dass sie etliche Jahre zum Gurkeneinlegen verwendet wurden - ihre Fasern sind mit den Rückständen von Essig und Salz durchdrungen.
Von Spreewaldgurken erfährt der Museumsbesucher hingegen nicht allzu viel. Starick hat zwar in Altdeutsch geschriebene Rezepte laminiert und aufgehängt - Salzgurken, Knoblauchgurken, Pfeffergurken -, genauere Hinweise, wie die Gurke aus der Erde ins Glas kommt, fehlen jedoch.
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