Marie-Luise Braun

Journalistin, Dozentin, Autorin, Moderatorin, Reppenstedt/Lüneburg

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Verkehrswende: Warum in Karlsruhe, Hamburg und Barnim schon gelingt, woran andere noch scheitern

Eine Zukunft ohne Auto? Im Juni nahmen Tausende an der Fahrradsternfahrt des ADFC unter dem Motto Mehr Recht fürs Rad – Viva la Radvolution teil. © Quelle: IMAGO/Martin Müller

Weniger Autos, mehr Mobilitätsalternativen: Viele Städte in Deutschland tüfteln an einer Verkehrswende. Doch die kommt oft nur schleppend voran. Drei Menschen erzählen, wie die Verkehrswende in ihrer Kommune gelungen ist.


Wie toll das klingt: Mehr Lebensqualität in den Städten und Gemeinden, weniger Verkehrstote, mehr Klimaschutz. Eigentlich kann die Mobilitätswende angesichts solcher Ziele niemand verhindern wollen, oder? Trotzdem kommt sie nur schleppend in die Gänge. Aber es gibt auch Kommunen, die aktiv an der Mobilitätswende arbeiten. Mit Erfolg.


Barnim: „Unser Ziel ist es, dass Menschen auf ihr Zweitauto verzichten“


Deutschlandweit sah die Mobilität im Jahr 2021 so aus: 51,9 Prozent Motorisierter Individualverkehr, 13,6 Prozent fuhren mit dem Rad und 9,2 Prozent nutzten öffentliche Verkehrsangebote. „Aber auf dem Land ist man auf das eigene Auto angewiesen“, heißt es nach solchen Zahlen oft. Unbeeindruckt davon zeigt sich der Landkreis Barnim in Brandenburg. Nördlich von Berlin bietet Barshare Alternativen zum privaten PKW: Das Carsharing-Konzept ist seit 2019 am Start und setzt komplett auf E-Autos. Auf elf Orte im Landkreis verteilen sich die 24 Stationen mit insgesamt 43 Fahrzeugen.


Der Anstoß dazu kam aus dem Landkreis selbst. Der stellte fest, dass die Fahrzeuge der Verwaltung die meiste Zeit ungenutzt herumstehen, erläutert Projektleiterin Saskia Schartow. 2016 beschloss der Kreistag deshalb, 50 Prozent der Flotte (ohne Spezialfahrzeuge) bis 2026 auf E-Autos umzustellen und diese zur Nutzung an Dritte freizugeben. Neben den rund 800 dienstlichen Nutzern sind 2300 Menschen aktuell bei Barshare registriert, davon nutzen etwa 100 die Autos regelmäßig. Ob einer von ihnen seinen Privatwagen abgeschafft hat, vermag Schartow nicht zu sagen: „Unser Ziel ist es, dass Menschen auf ihr Zweit- oder Drittauto verzichten.“


„Wir gehen aber davon aus, dass sich Barshare in ein oder zwei Jahren trägt“, sagt Schartow. Auf Profit sei es als Angebot der Daseinsvorsorge und Ergänzung zu Bus und Bahn nicht ausgelegt. Der Landkreis wolle Anreize schaffen umzusteigen, wolle Vorbild sein. Letzteres ist gelungen: Seit 2022 bietet der Kreis Schulungen zum Aufbau eines Carsharings auf dem Land an. Die Nachfrage bei Landkreisen sei groß, sagt Saskia Schartow. Allerdings müsse das Angebot jeweils auf die örtlichen Gegebenheiten abgestimmt werden.


Karlsruhe: „Muss auch mal einen Aufschrei aushalten“


Karlsruhe hat bereits jetzt die Klimaziele für den Bereich Mobilität erreicht, die das Land Baden-Württemberg für 2030 festgelegt hat: Es wird im Vergleich zum Startzeitraum 55 Prozent weniger CO₂ ausgestoßen, jeder zweite Weg wird zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt. „Die flache Rheinebene ist für den Radverkehr prädestiniert“, sagt Kristin Simonis, Organisationsleiterin bei der Karlsruher Energie- und Klimaschutzagentur (KEK). Das Team berät Karlsruher hinsichtlich Mobilität und Energiesparen.


Oft fehlt es am Mut der politischen Akteure. Kristin Simonis, Organisationsleiterin bei der Karlsruher Energie- und Klimaschutzagentur


Aber die räumlichen Bedingungen sind es eben nicht nur, es sind auch andere Faktoren wesentlich. Kommunikation vor allem, betont Simonis. Im Vorfeld von Maßnahmen werde geschaut, welche Bedürfnisse und Wünsche die verschiedenen Anspruchsgruppen jeweils haben. Dafür werden Veranstaltungen organisiert, an denen Fahrradverbände ebenso teilnehmen, wie Behindertenverbände oder der ADAC. Dann werde daran gearbeitet, das meiste davon umzusetzen.


Letztlich sei aber noch etwas anderes wichtig: Auseinandersetzungen durchzustehen. „Wenn Politik und Verwaltung bereit sind, einen Aufschrei auszuhalten, gewinnen alle“, betont Simonis. Denn die Debatten seien zumeist nur von kurzer Dauer und nach der Umsetzung alle zufrieden. „Oft fehlt es am Mut der politischen Akteure. Wenn die aber den Fokus nicht auf der Wiederwahl haben, sondern darauf, dass sie etwas bewegen wollen, ist viel gewonnen“, sagt Schartow.


Hamburg: „Mobilitätswende ist viel Klickklack im Kopf“


In Hamburg nutzen immer mehr Menschen umweltfreundliche Verkehrsmittel, wie die Hansestadt im Mai mitteilte: Im Vergleich zu 2008 ist der Anteil der Fahrradfahrer im Jahr 2022 von 13 Prozent auf 22 Prozent gestiegen, und der Anteil der Menschen, die Bus und U-Bahn nutzen, von 19 auf 24 Prozent. Die Nutzung privater PKW hingegen ist von 39 auf 32 Prozent gesunken. Auch Anjes Tjarks (Bündnis 90/Die Grünen), seit 2020 Senator für Verkehr und Mobilitätswende der Freien und Hansestadt, baut vor allem auf Austausch und Verständigung: „Man muss die Perspektive der Autofahrer mitdenken. Es wird ja weiterhin Autos geben“, betont er. Zugleich müsse man sämtliche Angebote zusammendenken, um einen leistungsfähigen Verkehr zu erhalten. 3-D-Brillen helfen, die Zukunft autofrei zu sehen Voraussetzung für eine erfolgreiche Mobilitätswende seien klare Ziele und deren authentische Vermittlung – dazu gehöre beispielsweise, dass er auch dienstlich mit dem Rad oder der Bahn unterwegs sei.


Auch Tjarks nennt gute Abstimmungsprozesse mit sämtlichen Stakeholdern für bedeutend. „Die Leute verstehen, dass sich etwas verändern muss.“ Die meisten unserer Wege legten wir automatisch zurück. Der Widerstand komme aus der Stabilität unseres Denkens. Um Verhalten zu verändern, müssten Anreize geschaffen werden, etwas anderes auszuprobieren. „Wenn es gut läuft, machen sie es am nächsten Tag noch mal. Mobilitätswende ist viel Klickklack im Kopf“, sagt Tjarks, das Umlegen eines Schalters imitierend. „Sie müssen sehr viel reden und flexibel sein“, sagt der Senator. Hilfreich sei aber nicht zuletzt, Menschen aufzuzeigen, was sie gewinnen. Mit Bildern zu arbeiten, wie sich Plätze oder Straßen verändern, wie viel Lebensqualität die Stadt dazu bekommt. Dafür setzen er und sein Team künftig auf 3-D-Brillen – die zeigen, wie ein Ort aussieht, wenn der Umbau fertig ist. „Mobilitätswende soll Spaß machen, das ist viel mehr als ‚keine Autos in der Stadt.‘“

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