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Obdachlose Frauen erzählen, wie qualvoll ihre Periode ist

"Wenn Leute gucken und sagen: Boah ist das eklig, was macht sie denn da? Das ist mir egal, ich scheiß auf die Leute."

Kristina streckt uns eine Packung Taschentücher entgegen. "Is' scheiße. Aber wenn man nichts anderes hat, baut man sich halt selbst 'ne Binde. Wie macht ihr das denn?", fragt sie, reißt die Augen auf und presst ein tiefes, heiseres Lachen raus. Ihre Hände sind dunkelrot angelaufen, angeschwollen, taub von den vielen Nächten auf der Straße. "Ich war immer zu stolz, um nach Hilfe zu fragen", sagt sie. Jetzt hilft sie manchmal anderen, vor allem jüngeren Frauen: "Die Taschentücher geb ich den Mädels ganz unauffällig, wenn ich rote Flecken im Schritt sehe."

Es ist Ende Januar und tagsüber um die vier Grad kalt. Kristina trägt die Jacke offen. Sie schnorrt, seit sie 11 ist. Das schätzt sie. So genau kann sie es nicht sagen. "Schon mehr als mein halbes Leben jedenfalls." Ihren richtigen Namen will sie nicht nennen, weil ihr Sohn "es geschafft hat", wie sie sagt: runter von der Straße, ran an die Herdplatten guter Berliner Restaurants. Seit ein paar Stunden sitzt Kristina jetzt am Kottbusser Tor, fragt die Vorbeihuschenden nach Kippen, kaum jemand schaut sie überhaupt an. Die meisten Leute haben Kragen und Mütze tief ins Gesicht gezogen.

"Ganz alleine geht das hier nicht. Wie man uns Frauen draußen behandelt, will ich euch nicht zeigen", sagt Kristina. Berlin steckt Kristina in den Knochen und der Sprache. Sie sagt "alleene" und "ick'". Sie ist eine von geschätzt 2.500 Frauen, die in Berlin auf der Straße leben. Eine genaue Zahl gibt es nicht. In Berlin werden Obdachlose deswegen 2020 erstmals offiziell gezählt.

Wir haben vier obdachlose Frauen gefragt, was sie tun, wenn sie ihre Menstruation haben und wie sie sich um ihre Gesundheit kümmern. Drei der Frauen leben in verdeckter Obdachlosigkeit. Sie leben auf der Straße, auf den ersten Blick erkennt man das aber nicht. Diese "Unsichtbarkeit" wirke sich auch darauf aus, wie viele frauenspezifische Angebote es gibt, sagt Lisanne Hamschmidt, Psychologin, die obdachlose Frauen berät. Auch mit ihr haben wir für diesen Bericht gesprochen.

Jede der Frauen versucht, sich täglich zu waschen, manchmal auch zu schminken, ihre Kleidung in Notunterkünften zu reinigen. Und doch erleben Sozialarbeiterinnen in Notunterkünften auch, dass Frauen krank werden, weil sie ihren Tampon zu lange im Körper tragen oder ihre Unterwäsche nicht regelmäßig wechseln können.

Kristina, Jennifer, Dagmar, Ann-Marie. Vier Frauen. Was sie trennt: die Generation. Und die Geschichten, die sie auf die Straße brachten: Mieten, Krankheit, Jobverlust. Was sie vereint: das Gefühl, für die Gesellschaft häufig unsichtbar zu sein. Und die Sorgen, die Männern fremd sind.

Dagmar, lebt seit vier Jahren auf der Straße, hier will sie anonym bleiben und auch ihr Alter nicht nennen: "Als Frau bist du immer Opfer."

"Das erste und das zweite Jahr auf der Straße waren die Hölle. Weil du nicht weißt, wo, wer und was. Im Laufe der Jahre lernt man die Adressen und hilft sich untereinander. Als Frau bist du immer Opfer. Du fühlst dich immer unsicher auf der Straße. Es müssen dir nur die falschen Typen über den Weg laufen, die gerade mal schnallen, dass du alleine bist.

Du darfst dir gar keine Gedanken darüber machen, sonst passiert was. Du musst einfach fit sein, um zu reagieren. Mir ist schon oft passiert, dass ich mein Nachtlager mache, es ist 12 Uhr nachts im Park und ein paar Jugendliche flirten mich an. Die wissen, dass ich schlafen muss. Du bist halt einfach präsent und deswegen benutzbar. Du fällst als Frau mehr auf, wenn du da sitzt, allein. So auf die Art: Man kann's ja mal probieren.

Ich würde mich nicht am helllichten Tag hinhocken und pinkeln oder ein Tampon wechseln. Ich will nicht, dass mich jeder so sieht. Es müssten viel mehr Dixi-Klos aufgestellt werden. Manchmal muss ich mehrere Stationen fahren, um ein öffentliches Klo zu finden, das umsonst ist. Jeder Mensch braucht einen Raum für sich. Nicht nur während der Periode. Ich hab am Ku'Damm gepennt, bei einem Friseur, beste Gegend. Die Leute haben tatsächlich abgepasst: Jetzt müsste sie ja pinkeln gehen, gehen wir mal hinterher.

Wenn du auf der Straße schläfst, wirst du ständig in eine Schublade gesteckt. Jeder sieht in dir nur einen Penner. Penner gehen nicht arbeiten, sind faul. Dabei musst du dich dauernd beschäftigen, wenn du unterwegs bist. Das ist anstrengend. Man sehnt sich nach einem Raum, wo mal keiner guckt, keiner dich bewertet.

Untersuchungen beim Frauenarzt bekommst du schon. Aber was machst du dann mit den Schmerzen auf der Straße? Der Arzt kann dir zwar Tabletten geben, aber muss dich dann ja wieder wegschicken. Und krank oder mit Unterleibsschmerzen auf der Straße zu sein, immer umgeben von Menschen, das ist ätzend."

Jennifer, 49, arbeitet als Reinigungskraft, hat aber kein festes Zuhause: "Wenn Männer sehen, dass du deine Hose unten hast, was machst du dann? Die kommen schnell."

"Montag bis Samstag geht's noch, Unterkünfte und Krankenhäuser, alles hat offen und es gibt viele Leute auf der Straße. Wenn was passiert, kann dir jemand helfen. Aber sonntags hab ich echt ein Problem. Sonntagmorgen, 8:30 Uhr, die Straßen sind leer. Dann siehst du sechs Männer auf dich zukommen, vielleicht betrunkene Jugendliche oder Kriminelle. Und du bist eine obdachlose Frau mit Taschen. Die sehen dich und kennen das schon: Diese Frau ist harmlos. Niemand kann diese Frau beschützen.

In den Notunterkünften bekomme ich Binden. Darüber bin ich froh. Nicht nur mit Periode, auch wenn man sonst Ausfluss hat. Aber man braucht Privatsphäre. Einen Raum, um die alte Binde rauszunehmen, die neue rein. Unterhose und Jeans wieder hoch.

Ich war einen Tag im Görlitzer Park und habe gesehen, wie sich ein Mann neben spielenden Kindern einen runterholt. Wenn solche Männer sehen, dass du deine Hose unten hast, was machst du dann? Die kommen schnell. Wenn jemand dich vergewaltigt, wie erklärst du, warum deine Hose unten war? Man muss vorsichtig sein.

Ich suche Restaurants oder Hotels, wo sie mich kennen und frage, ob ich auf Toilette gehen darf. Dann hinterlasse ich alles super sauber. Ich will nicht obdachlos sein, aber jetzt ist es eben so. Ich bete jeden Tag, dass ich einen Weg da raus finde. Ich arbeite drei Tage die Woche und versuche, mehr zu machen, um eine Wohnung zu bekommen. Keine Frau will auf der Straße leben."

Lisanne Hamschmidt, Psychologin, berät obdach- und wohnungslose Frauen

"Wenn ich als Frau auf der Straße auffalle, weil man sieht, dass ich meine Menstruation habe, folgen komische Blicke. Das Gefühl von Ablehnung. Auch Angst. Und der Verlust von Sicherheit: Ich kann mich nicht mehr unbemerkt bewegen.

Frauen sind auf der Straße häufig gefährdeter als Männer. Manche trauen sich nicht, sich an offizielle Stellen oder Bekannte zu wenden, um nach Hilfe zu Fragen, oder bringen sogar Gegenleistungen für ihr Obdach. Das kann die psychische Belastung verstärken. Außerdem sind obdachlose Frauen häufig von häuslicher oder sexualisierter Gewalt betroffen, zum Teil schon seit der Kindheit, und leiden unter den Folgen von Traumatisierungen. Damit ist die Versorgung nochmal ungleich vielschichtiger.

Mehr zugängliche Arztpraxen und eine niedrigschwellige gynäkologische Versorgung wären wichtig. Was ich öfter schon bei der Vermittlung erlebt habe, ist, dass Ärzte und Ärztinnen skeptisch sind, wenn man sagt: Ich hätte hier eine Frau, die ist wohnungslos. Unsere Vermutung ist, dass die Vermittlung wegen der Vorurteile gegenüber Wohnungslosen oft schwierig ist. Dabei ist das bei wohnungs- und obdachlosen Frauen noch mal belastender, wenn sie zum Beispiel Endometriose haben, die mit starken Unterleibsschmerzen einhergeht.

Gleichzeitig müssen wir aber auch Hemmungen abbauen. Viele Frauen hatten schlechte Erfahrungen in Krankenhäusern. Wer über Jahre Gewalt erlebt hat, lässt sich vom Gynäkologen vielleicht nicht unbedingt Instrumente einführen, will sich gar nicht erst ausziehen und untersuchen lassen. Wer nicht krankenversichert ist, wird nicht von jedem Facharzt behandelt."

Ann-Marie, 31, ist seit eineinhalb Jahren obdachlos und lebt mit ihrer Hündin Emma. Sie ist schizophren und hat Borderline: "Mit psychischen Erkrankungen eine Straße lang zu laufen, das ist Folter."

"Ich bin jung, ich habe meinen Hund dabei, bin körperlich nicht beeinträchtigt. Ich wechsle meine Tampons, wenn ich sie wechseln muss, egal wo ich bin. Ich stell mich auch in den Park, natürlich nicht mitten auf den Rasen. Das ist was völlig Natürliches, ein menschliches Bedürfnis. Egal ob ich 'ne Wohnung habe, oder ob ich keine Wohnung habe. Wenn Leute gucken und sagen: Boah ist das eklig, was macht sie denn da? Das ist mir egal, ich scheiß auf die Leute. Das ist nicht mein Problem, dass die das unnormal finden. Was das angeht, habe ich ein Schutzschild um mich aufgebaut. Sollen sich Männer halt einen drauf wichsen. Ich habe auch 'ne große Fresse. Man trifft sich nicht im Büro, hat einen Anzug an und schüttelt sich die Hand. Hier herrscht eine andere Sprache. Ich habe ein Problem damit, mich als Frau in die Position zu begeben und zu sagen: Männer machen mir Angst.

Wenn du körperlich geschwächt bist, ist es auf der Straße schrecklich. Vor allem weil das auch psychisch extrem anstrengend wird. Es ist nicht nur so, dass du kein Bett hast. Dir wird bewusst, dass du keinen Ort hast, an den du jetzt gehen kannst. Den brauche ich dann aber. Was möchte man mit Schmerzen? Seine Ruhe! Aber die bekommst du nicht, auch nicht in den Unterkünften. Es sind immer Menschen da, es ist immer laut, es sind immer Sinneseindrücke. Du hast nie deinen eigenen, privaten Bereich, in den du dich einfach mal zurückziehen kannst. Mit psychischen Erkrankungen eine Straße lang zu laufen, das ist Folter."

In vielen Unterkünften gibt es, auch dank sozialer Crowdfunding-Projekte wie " Periodensystem", seit einigen Jahren Hygieneprodukte wie Tampons und Binden umsonst. Wer keine Anlaufstelle kennt, improvisiert. Oder erträgt die Flecken. Um den Zugang zu Hygieneprodukten für alle Frauen zu erleichtern, brauchte es in Deutschland viel Überzeugungsarbeit, zwei Petitionen und 300.000 Menschen, die unterschreiben.

Zum Jahreswechsel wurde die Mehrwertsteuer auf Menstruationsprodukte von 19 auf 7 Prozent gesenkt: ein Zeichen, dass diese Produkte kein Luxus sind. Während viele den Preisunterschied im Supermarkt bisher wahrscheinlich nicht mal gemerkt haben (13 Cent bei einer Packung mit 32 Tampons einer Billigmarke), sollen manche Produkte schon wieder teurer werden.

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