Im Moment scheint es überall Heldinnen und Helden zu geben: Staatschefs erwähnen sie in ermutigenden Ansprachen, in der Berichterstattung gibt es "Heldenwochen" und Supermarktketten geben marketingtaugliche Rabatte für "Corona-Helden aus dem Gesundheitssystem".
Es ist verlockend, sich alledem hinzugeben, denn "Helden" machen vieles so wunderbar einfach: Sie retten uns. Sie haben die Lage schon irgendwie im Griff. Und am Ende wird alles gut - und wenn noch nicht alles gut ist, dann ist es ja noch nicht das Ende. Und genau dieses Denken macht den Heldenbegriff so gefährlich.
Der Coronavirus ist keine Netflix-SerieSuperhelden-Filme und Serienkracher der vergangenen Jahre haben vor allem die Generation Netflix daran gewöhnt, dass für Heldinnen und Helden keine Katastrophe zu verheerend und keine Lage zu aussichtslos ist. Wir wissen zwar theoretisch, dass Film und Fernsehen Fiktion ist und die Corona-Pandemie Realität, aber angesichts der Bedrohung durch das Virus kickt der antrainierte Helden-Reflex doch bei allen rein.
Der Reflex beinhaltet einmal, dass wir eine Krise nach einem bestimmten Muster erwarten - am Anfang steht die unterschätzte Gefahr, unsere Helden kämpfen schon tapfer gegen die Bedrohung, dann verhalten wir als Gesellschaft uns noch kurz dumm aber dann, wenn es echt scheiße aussieht, retten uns die Helden - spätestens im Staffelfinale eben. Das "Corona-Staffelfinale" ist aber nicht absehbar, und deshalb müssen wir uns gegen den Helden-Reflex wehren, um die Krise unter aktiver Beteiligung aller zu bewältigen. Außerdem bürden wir den von uns zu Helden deklarierten Personengruppen damit einiges auf. Denn Heldentum verpflichtet.
Vom Klatschen allein können die "Helden" keine Miete zahlenIndem wir Ärztinnen, Kassierer und alle anderen, die zur Bewältigung der Situation beitragen, zu Helden und Heldinnen erklären, verpflichten wir sie praktisch zur Außerordentlichkeit. Wir "dürfen" dann von ihnen erwarten, dass sie Krasses leisten, bis an den Rand der Erschöpfung, dass sie ihr eigenes Wohlergehen, ihre Familien und ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen - schließlich sind sie Helden. Ob sie das sein wollen, steht erstmal nicht zur Debatte; gegen Klatschen können sie sich kaum wehren. Uns - die "Verehrergemeinschaft" - kostet die Klatscherei und das Helden-Label erstmal nichts - im Gegenteil, es gibt uns noch ein gutes Gefühl von Zusammengehörigkeit. Das ist per se okay, aber sollte die Begleiterscheinung tatsächlicher Entlohnung und Unterstützung sein, nicht der Lohn in sich.
Denn die Heldinnen und Helden, die nach Hause kommen, müssen dort ihre Miete zahlen, ihre Familien versorgen und vielleicht brauchen sie manchmal auch Unterstützung, nachdem sie für die Bewältigung der Krise an die Grenzen ihrer Kräfte und darüber hinaus gegangen sind.
Wir blenden aus, welche Folgen die Aufopferung hatUnd das ist das nächste Problem: die Heldengeschichten blenden die Folgen aus. Heldengeschichten sind zugespitzt - wie sonst könnten James Bond oder die Avengers in zwei Stunden die Welt retten? Für die Betrachtung der Negativfolgen ist da wenig Platz. Ein Beispiel: In den USA wurden die Ersthelfer nach den Terroranschlägen vom 11. September etwa vergleichbar heroisiert wie derzeit Krankenhauspersonal. Die Heldengeschichten halten sich bis heute in der kollektiven Erinnerung an 9/11. Aber die Spätfolgen für die unfreiwilligen Helden - überproportional viele Krebserkrankungen zum Beispiel - werden einfach ausgeblendet, getreu der schulterzuckenden Devise: Helden bringen halt Opfer.
Dass die Corona-Krise für die Gleichberechtigung nicht unbedingt zuträglich ist, wurde schon vielerorts bemerkt und zu Recht kritisiert: Weil unterbezahlte Frauen in den Heldinnen-Berufen überrepräsentiert sind und weil von Frauen ganz einfach erwartet wird, bei der Verlagerung des Lebens nach Hause die Verantwortung zu übernehmen, denn das ist ja schließlich ihre Domäne.
Das liegt an vielen Faktoren, aber da auch Heldengeschichten mitten aus unserer Gesellschaft stammen, halten sie konservative Geschlechterbilder oft aufrecht - noch so ein Reflex. Gut erkennen kann man das etwa in diesem Clip des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS):