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Air up und waterdrop: Die Meister der Illusion

In ihrem Bachelorstudium in Schwäbisch Gemünd haben Lena Jüngst und Tim Jäger etwas Nützliches über Illusionen gelernt. Wenn 80 Prozent unseres Geschmacksempfindens in der Nase entstehen, dann können wir unserem Gehirn vorgaukeln, dass wir Orangen oder Cola schlucken, auch wenn wir nur den Duft davon aufnehmen. Keine Kalorien, kein Zucker oder weitere Inhaltsstoffe.

Aus ihrer gemeinsamen Abschlussarbeit über das sogenannte retronasale Riechen, also die Aufnahme von Duft über den Mund- und Rachenraum, machten die beiden ein Business. Seit 2019 steht die Erfindung unter dem Namen air up in deutschen Supermarktregalen und Drogerien. Sie besteht aus drei Teilen: einer wiederbefüllbaren Plastikflasche, einem Mundstück mit eingesetztem Strohhalm und den "Pods": mit Aromen getränkte Duftpolster. Sie werden auf das Mundstück gesteckt und liegen direkt unter der Nase. Beim Ansaugen des Leitungswassers sorgen sie für die Geschmacksillusion.

Das Versprechen, Leitungswasser nicht so fade schmecken zu lassen und dabei Kalorien und Flaschenmüll zu sparen, ist lukrativ. Nach eigenen Angaben hat air up im vergangenen Jahr rund 90 Millionen Euro umgesetzt, fünf Millionen Euro mehr als ein Konkurrent aus Österreich, der mit einem ähnlichen Modell seit 2017 am Markt ist: Auch waterdrop wirbt damit, Leitungswasser allein mit natürlichen Aromen geschmacklich aufzupeppen. Es verkauft Brausewürfel mit Namen wie Youth, Glow oder Focus, die sich in Wasser auflösen und fruchtig oder nach Kräutern schmecken.

Leckerer als Wasser und nachhaltiger als in Flaschen abgepackte Getränke - diese Botschaft gefällt auch Investoren. Air up begeisterte die Juroren bei Die Höhle der Löwen, unter den Investoren sind große Namen wie Pepsico, Ippen Media, Five Seasons Ventures und Oyster Bay und Promis wie Ashton Kutcher und Mila Kunis. Bei waterdrop stiegen große Investoren aus der Getränkebranche ein, darunter die Bitburger Holding. Denn das Geschäft mit abgefüllten Getränken steht unter Druck. Mit Investments in die Newcomer sichern die etablierten Hersteller ihr Geschäft ein Stück weit ab.

Einsparpotenzial: drei Millionen CO₂ Tonnen pro Jahr

Sprudelwasser war einst das Kerngeschäft vieler Getränkehersteller, büßte aber in den vergangenen Jahren an Umsatz und Image ein. Zuletzt, weil Umweltschützer kritisierten, dass Mineralbrunnen ihre Quellen zu intensiv nutzen und einen großen CO₂-Fußabdruck hinterlassen. Nach einer Studie des von der Bundesregierung mitfinanzierten Vereins a tip: tap könnte Deutschland drei Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr einsparen, wenn Konsumenten auf Mineralwasser verzichten und auf Leitungswasser umsatteln würden. Das ist 1,5-mal so viel, wie durch den innerdeutschen Flugverkehr entsteht.

Eigentlich müssten sich Umwelt- und Verbraucherschützer also darüber freuen, wenn Start-ups den Konsumentinnen den Umstieg auf Leitungswasser erleichtern. "Unsere Verpackung enthält 97 Prozent weniger Kunststoff als eine konventionelle Plastikflasche", heißt es etwa bei waterdrop. Zehn Drops bräuchten weniger Verpackung als allein der Deckel einer normalen Plastikflasche. Daneben spare das Unternehmen Schadstoffe ein, die beim Transport von abgefüllten Getränken entstehen. "Plastikflaschen werden mit dem Lkw von A nach B gekarrt", sagt waterdrop-CEO Martin Murray im Gespräch mit ZEIT ONLINE.

Die Bilanz fällt allerdings schlechter aus, wenn man die Aromaverkäufer nicht mit Mineralwasser oder Softdrinks aus Flaschen vergleicht, sondern mit purem Leitungswasser. Bei waterdrop etwa kaufen 80 Prozent der Kunden online ein. So werden auch die Drops und dazu die bestellbaren Glasflaschen durch ganz Deutschland und Europa gefahren. Auch von den Verpackungen der Start-ups ist Sonja Pannenbecker von der Verbraucherzentrale Bremen wenig beeindruckt. Sie moniert vor allem, dass sie sehr kleinteilig sind. Bei waterdrop ist jeder Drop, bei air up jedes Duftpolster einzeln in Plastik eingeschweißt.

"Ein gewisser Plastikanteil ist unumgänglich"

"Dadurch ermöglicht man den Kunden, das Produkt individuell einzusetzen und kann unterschiedliche Verpackungsgrößen verwenden", rechtfertigt Murray die Methode. Air up beruft sich auf Hygienestandards. "Bei Produkten aus dem Food-Segment wie unseren Pods ist der Einsatz eines gewissen Plastikanteils bei der Verpackung unumgänglich, um Hygiene- und Haltbarkeitsstandards zu erfüllen", sagt Gründer Fabian Schlang, neben Jüngst und Jäger einer der fünf Geschäftsführer von air up.

Umweltschützer warnen seit Jahren davor, Lebensmittel portioniert zu verpacken. "Mit air up retten wir weder das Klima, noch wird dadurch die Plastikmüllkrise gelöst. Das Produkt ist genauso überflüssig wie Kaffeekapseln", sagt Thomas Fischer, Bereichsleiter Kreislaufwirtschaft der Deutschen Umwelthilfe.

Die Duftpolster selbst bestehen laut Webseite zu 100 Prozent aus recyclebaren Materialien. Das Gehäuse der Pods wird dabei aus dem Kunststoff Polypropylen (PP) und der Aromaträger im Inneren des Pods aus dem Kunststoff Polyethylen (PE) gefertigt, informiert air up. Hier wird Fischer hellhörig. "Wenn sich die Materialien nicht voneinander trennen lassen, dann ist das Duftpolster auch nicht 100 Prozent recyclingfähig", sagt der Verpackungsexperte. Denn in der Sortierung kann immer nur ein Kunststoff erkannt werden und in eine Sortiergruppe geleitet werden. "Der andere Kunststoff ist dann ein Fremdmaterial und wird nicht recycelt", so Fischer.

Air up ist sich der Problematik bewusst. "Wir sind in einem engen Austausch mit Zertifizierungsstellen. Dabei konzentrieren wir uns darauf, mehr und mehr über die Technologie und die Prozesse in Sortier- und Recyclinganlagen zu lernen", so Gründer Schlang. Das Unternehmen habe im vergangenen Jahr das Gewicht der Einzelverpackungen der Pods um 30 Prozent sowie die Verpackung der Flaschen um 27 Prozent Müll reduziert.

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