4 Abos und 3 Abonnenten
Artikel

Sanktionen gegen Russland: Was bringt ein Stopp von Nord Stream 2?

1. Welche neuen Sanktionen gegen Russland sind jetzt im Gespräch?

Als Reaktion auf die Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny diskutieren die EU-Länder aktuell über neue Sanktionen gegen Russland.

Vor allem Finanz-Sanktionen seien eine einschneidende Maßnahme, sagt Oliver Holtemöller, Konjunkturexperte des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Das heiße: "Beschränkt die EU neben Banken auch für Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt, gibt es Geldnöte." So könnte man für mehrere Branchen gleichzeitig die Konten in Europa sperren. Das würde russischen Banken und Unternehmen schaden, weil sie auf die Finanzierung aus der Europäischen Union angewiesen sind.

Diskutiert werden auch neue Sanktionen gegen Personen, die für Nawalnys Vergiftung verantwortlich sind. Die EU könnte Reiseverbote verhängen und Privatvermögen einfrieren. Vor einem Jahr hatte sie ähnlich reagiert: Als Reaktion auf die Vergiftung des Ex-Agenten Sergej Skripal verhängte sie Sanktionen gegen den Chef des Militärgeheimdienstes. Auch ein Baustopp für die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2 steht im Raum. Der US-amerikanische Ökonom und Sanktionsexperte Gary Hufbauer vom Peterson Institute for International Economics ist jedoch skeptisch, ob ein Stopp des Pipeline-Projekts viel ändern würde: "Das könnte individuelle Unternehmen oder Personen treffen, aber nicht Putin und seine Kollegen."

2. Was haben die schon bestehenden EU-Sanktionen gegen Russland gebracht?

Sanktionen der EU gegen bestehen seit 2014. Damals entschied die EU als Reaktion auf Russlands Besetzung der Krim Einfuhrverbote für Waren von der Halbinsel sowie ein Ausfuhrverbot für Güter und Technologien, die für militärische Zwecke eingesetzt werden können.

Der Nutzen der Sanktionen ist umstritten. Kritiker verweisen darauf, dass sie ihr oberstes Ziel, die Rückgabe der Halbinsel Krim an die Ukraine, nicht erreicht hätten. Befürworter betonen dagegen, dass die Sanktionen weitere russische Aggressionen verhindert hätten.

Klar ist, dass die Sanktionen wirtschaftliche Folgen haben. Der Handel zwischen Russland und Deutschland schrumpfte zwischen 2013 und 2019 um mehr als 25 Prozent. Zu diesem Rückgang dürfte allerdings auch die allgemein schwächelnde russische Wirtschaft beigetragen haben, die von Öl- und Gasexporten abhängig ist. Sinkende Energiepreise ließen weniger Geld in Russlands Kassen fließen. Auch ohne Sanktionen würden die Russen daher heute wahrscheinlich weniger Produkte aus der EU importieren. Außerdem stoppte die russische Regierung als Antwort auf die Sanktionen die Einfuhr von Lebensmitteln aus der EU.

3. Welche Arten von Sanktionen gibt es, und wozu werden sie eingesetzt?

Wer Wirtschaftssanktionen verhängen will, hat grundsätzlich zwei Optionen: Eingriffe in die Finanzen oder in den Handel. Finanzsanktionen, wie sie gerade für Russland diskutiert werden, sind laut Sanktionsforscher Hufbauer die effektivste Maßnahme. Im Handel können beispielsweise der Import und Export von Produkten beschränkt oder Strafzölle verhängt werden.

Wer Sanktionen verhängt, will häufig eine Verhaltensveränderung bewirken. Die Idee: Wirtschaftlicher Schaden führt zu politischen Zugeständnissen. Sanktionen können aber auch bestrafen oder eine Botschaft übermitteln, ergänzt Sascha Lohmann. Er ist Politikwissenschaftler in der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik. Die Krim-Sanktionen der EU sollten Russland für die Besetzung der Halbinsel bestrafen und es zu deren Rückgabe an die Ukraine zwingen. Zugleich waren sie eine Botschaft der EU, um zu signalisieren, dass alle Mitgliedsländer eine gemeinsame Außenpolitik verfolgen. Manchmal zielen Sanktionen auch auf die eigene Gesellschaft: So können Wirtschaftssanktionen als Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen in einem anderen Land das eigene Selbstbild stärken, sagt Lohmann.

4. In welchen Fällen sind Sanktionen erfolgreich?

Das hängt vom Ziel ab. Sanktionen stoßen an ihre Grenzen, wenn sie autokratische Regime zu Fall bringen sollen. Gerade große und autokratisch regierte Länder seien gegenüber Sanktionen "ziemlich widerstandsfähig", sagt Gary Hufbauer. Der Ökonom hat über 200 Sanktionsfälle weltweit untersucht. Nur rund ein Drittel davon war erfolgreich. Abgesehen von der Größe des Ziels habe auch die Größe des Bündnisses Einfluss: "Eine Koalition wie die EU erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Sanktionen erfolgreich sind", sagt er.

Auch Sascha Lohmann betont, dass Sanktionen oft nicht die gewünschte Wirkung haben. Vor allem große Verhaltensänderungen eines Regimes - also eine politische Kehrtwende - seien nur zu erwarten, wenn die Sanktionen durch diplomatischen und politischen Druck ergänzt werden, wie im Vorfeld des Atomabkommens mit dem Iran. Sanktionen sind somit nur ein Element, das innerhalb einer kohärenten Politik zu einer Verhaltensänderung beitragen kann.

Geht es der EU mit neuen Sanktionen also vor allem um ein politisches Signal, dürften die Maßnahmen Erfolg versprechen. Wer aber hofft, dass die russische Regierung ihre Politik aufgrund des wirtschaftlichen Drucks grundlegend ändert, dürfte die Wirkung von Sanktionen überschätzen.

5. Welche Nebenwirkungen haben Wirtschaftssanktionen?

Selbst wenn Sanktionen wirken, haben sie oft unerwünschte und kaum kalkulierbare Nebeneffekte. 2018 verhängte die Trump-Regierung Sanktionen gegen den Öl- und Finanzsektor des Iran. Unbeabsichtigt stiegen auch die Preise für humanitäre Güter wie Medikamente drastisch. Der Export von Medikamenten in den Iran ist zwar nicht verboten, aber aus Angst vor den USA schrecken viele Firmen vor Geschäften mit dem Land zurück. Deshalb leiden nun viele Iraner darunter, dass Medikamente wegen ihrer Knappheit sehr teuer und nur schwer zu bekommen sind.

Außerdem verursachen Sanktionen nicht nur im Zielland Kosten, sondern auch in den Ländern, die Sanktionen verhängen. So fällt für deutsche Unternehmen ein Markt weg, wenn ihre Exporte in ein anderes Land eingeschränkt werden. "Sanktionen sind immer ein zweischneidiges Schwert", so der Politikwissenschaftler Lohmann. Auch mögliche Gegenreaktionen machen Sanktionen schwer berechenbar. Der russische Außenminister Sergej Lawrow drohte mit einer Reaktion, sollte die EU neue Sanktionen verhängen. Konkret wurde er jedoch nicht.

Die Nebenwirkungen sind das wohl größte Manko von Sanktionen: Sie sind unpräzise. Für die deutsche Wirtschaft dürften neue Russland-Sanktionen allerdings kaum gravierende Folgen haben: 2019 gingen gerade einmal 0,5 Prozent der hiesigen Exporte in das Land.

Zum Original