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Pandemie-Ende: Der Ansturm naht

Der 1. Mai war für Otto Lindner in diesem Jahr ein besonderes Datum: Nach Monaten des harten Lockdowns durfte die Windrose auf Sylt wieder öffnen, eines von 26 Häusern der Kette Lindner Hotels & Resorts, die Lindner in zweiter Generation leitet. Das Hotel mit seinen 76 Zimmern und Suiten nimmt an einem Modellprojekt in Nordfriesland teil, das vorsichtige Öffnungen unter strengen Voraussetzungen erlaubt, solange die Corona-Infektionszahlen niedrig bleiben. Schon die Ankündigung habe einen sprunghaften Anstieg der Buchungen ausgelöst, sagt Lindner: "Die Reiselust der Deutschen ist kaum noch zu bremsen, alle scheinen auf gepackten Koffern zu sitzen."

Von null auf hundert in wenigen Tagen: Für manche ist der Neustart in dieser Phase der Corona-Krise extrem. Und für Lindner ist es ein Hoffnungsschimmer nach einem Jahr 2020, in dem der Umsatz von 192 Millionen auf 46 Millionen Euro eingebrochen ist. Aber für ihn und viele andere Unternehmer ist der Neustart auch mit Herausforderungen verbunden. Denn an vielen Stellen fängt es an zu knirschen, während die Wirtschaft wieder hochfährt.

Fehlendes Personal, begehrte Talente

Etwa dort, wo während der Pandemie viele Menschen ihre Jobs verloren oder sich neue gesucht haben. Die Hotellerie ist ein gutes Beispiel: Jetzt wird ein Ansturm erwartet, zuvor war über Monate fast nichts zu tun. Bei Lindner etwa sank die Durchschnittsbelegung von 68 Prozent in 2019 auf 32 Prozent in 2020. Es sei "emotional schwierig" gewesen, hoch motivierte Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken, sagt Lindner. Der Unternehmer ist zwar optimistisch, "etwas zerrupft" und mit neuen Ideen aus der Krise zu kommen. Aber die Zahl seiner Beschäftigten ist von 1688 auf 1400 gesunken: "Eine Herausforderung wird sein, dass wir einen Teil unserer Mitarbeiter während der Krise an andere Branchen verloren haben."

Wirtschaftswachstum erwartet die Bundesregierung für 2021, Stand Ende April.

Tobias Ragge, der Chef des Hotelbuchungsportals HRS, spricht sogar von einem "massiven Exodus guter Leute" in der Hotellerie. Zwar sehe er sein Unternehmen gut aufgestellt, die Beziehungen zu den Kunden seien intakt. Dennoch habe HRS ein Drittel seiner Stellen abbauen müssen: "Ich habe viele kluge Leute bitten müssen, das Unternehmen zu verlassen." Sie zurückzubekommen könnte schwer werden; gerade IT-Fachkräfte haben während der schnell Alternativen gefunden.

Veränderte Kundengewohnheiten

Im Gastgewerbe kommt noch etwas dazu: Die Menschen werden nach der Pandemie womöglich anders reisen als vorher und beispielsweise seltener Geschäftsreisen machen, erwartet Ragge. Der Hotelier Rolf Seelige-Steinhoff von der Heringsdorfer Kette Seetelhotels glaubt, dass die Menschen Urlaube kurzfristiger und spontaner buchen und nicht mehr so lange verreisen, es werde mehr "Mikro-Urlaube" geben, sagt er.

Der Keramikhersteller Villeroy & Boch hat vom veränderten Kaufverhalten während der Krise eher profitiert: "Die Menschen bleiben zu Hause und wollen es sich dort schön machen", sagt Frank Göring, der Vorstandschef des Familienunternehmens aus Mettlach im Saarland. Deswegen endete das Krisenjahr 2020 für die Traditionsfirma nur mit einem kleinen Umsatz-Einbruch von 833 auf 801 Millionen Euro, der Online-Shop kompensierte das wegbrechende Ladengeschäft. Im ersten Quartal 2021 konnte das Unternehmen seinen Umsatz aus dem Vorjahreszeitraum sogar um 22,4 Prozent übertreffen. Genau deswegen dürfte das Ende der Pandemie für die Traditionsfirma eine Herausforderung werden: "Die Menschen werden wieder reisen und draußen sein", sagt Göring. Das Geld steht für Porzellan dann nicht mehr zur Verfügung.

Michael Melzer will sich nicht nur den neuen Gewohnheiten seiner Kunden anpassen, sein Unternehmen hat im Zuge der Krise selbst seine Präferenzen verändert. Melzer hat im September 2020 genau zu dem Zeitpunkt als Chef der Klier Hair Group aus Wolfsburg angefangen, als das örtliche Amtsgericht dem Unternehmen bewilligt hatte, sich in Eigenregie in einem Schutzschirmverfahren zu sanieren - die Corona-Pandemie hatte Europas größten Friseurdienstleister in die Insolvenz getrieben. Das 72 Jahre alte Unternehmen schloss rund 500 seiner 1350 Salons und Shops. Durch Entlassungen und Eigenkündigungen schrumpfte die Zahl der Mitarbeiter um etwa ein Viertel auf 6400 Beschäftigte. Anfang April stimmten die Gläubiger einem Insolvenzplan zu. "Jetzt können wir optimistisch nach vorne blicken und uns hoffnungsvoll einer gut aussehenden Zukunft widmen", sagt Melzer.

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