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Unternehmen in der Corona-Krise: Die das Virus kaltlässt

Wer sich auf die Suche nach den Gewinnern der Corona-Pandemie macht, kann zum Beispiel in den Schwarzwald fahren, nach Tuttlingen, genauer: in den Stadtteil Möhringen. In einem malerischen Tal und nur ein paar Schritte von der Donau entfernt hat das Familienunternehmen Binder seinen Sitz. An diesem Wintertag herrschen draußen Minusgrade, doch bei Binder wird es noch kälter; so kalt, dass der Firmengründer Peter M. Binder von eisigem Nebel umgeben ist, als er sein Produkt zeigt, das sich gerade am besten verkauft. Der Unternehmer führt einen Ultratiefkühlschrank vor.

Minus 84,5 Grad Celsius herrschen in dem mannshohen grauen Koloss, erzeugt von zwei Kompressoren. Binder, ein Tüftler mit Einstein-mäßiger Denkerstirn, öffnet die Tür und zeigt auf Dutzende weiße Boxen, in denen mehr als 130.000 winzige Döschen aufbewahrt werden: Ampullen, wie sie zum Beispiel für Covid-19-Impfstoffe von BioNTech verwendet werden. Binders Kühlschränke bieten die nötige Kälte für den Stoff, der den Menschen und der Wirtschaft die Rettung bringen soll. Plötzlich ertönt aus dem hinteren Bereich der Halle ein lautes Rasseln. Ein fertig verpackter Freezer schiebt sich klirrend über Metallrollen. "Das ist mein Lieblingsgeräusch", sagt Peter M. Binder, "da weiß ich, dass wieder einer fertig ist."

Auf solche Glücksgefühle warten im Winter 2021 viele Unternehmer vergeblich. Auf dem Weg zum Firmensitz von Binder nuschelt ein Taxifahrer verärgert in seine Maske, wie wenig er zu tun habe. Eine Bleibe zu finden ist schwierig; viele Pensionen und Unterkünfte in Tuttlingen sind geschlossen, normalerweise wären sie um diese Jahreszeit ausgebucht. Der zweite Lockdown hat die Lage vieler kleiner und großer Mittelständler trotz aller Staatshilfen verschärft, Tausende kämpfen gegen die drohende Pleite; wer in den vergangenen Jahren klug gewirtschaftet hat, lebt in diesen Zeiten auch von seinen Eigenkapital-Reserven. Einer Umfrage des Familienunternehmer-Verbands zufolge erwarteten zu Jahresbeginn weniger als die Hälfte der Familienunternehmer im Land, dass sich ihre Geschäftslage 2021 bessert.

Wie pessimistisch viele Unternehmer gestimmt sind, zeigt auch der Ifo-Geschäftsklimaindex. Zwar haben sich die Erwartungen zuletzt etwas aufgehellt, doch vor allem bei Dienstleistungs- und Handelsunternehmen ist die Stimmung weiterhin schlecht. Besser dran ist das verarbeitende Gewerbe: Hier ist die Zuversicht sogar größer als noch vor der Corona-Pandemie, was auch der Nachfrage aus dem Ausland zu verdanken ist; laut dem Ifo-Institut waren gerade die exportierenden Unternehmen im Februar so optimistisch wie seit 2018 nicht mehr.

Binder ist da ein gutes Beispiel. Dem Unternehmen aus Tuttlingen beschert die eine hohe Nachfrage nach Kühlschränken - und viel Arbeit. Mehrere Tausend Geräte habe er in den vergangenen zwölf Monaten verkauft, sagt der Unternehmer; jedes koste mindestens 14.000 Euro. Wer bei Binder heute einen Kühlschrank bestellt, bekommt ihn im Sommer. Ein "gewisses Kontingent" halte man für Regierungen in aller Welt vor, die besonders dringend welche brauchen; die Gesundheit der Menschen habe schließlich Vorrang.

Man könnte jetzt denken, Peter M. Binder habe einfach nur Glück gehabt, weil die Impfstoffe Kälte brauchen und ihm so eine hohe Nachfrage bringen. Aber das stimmt nicht. Auch dem Tüftler aus Tuttlingen und seiner Firma hat die Krise zugesetzt. Er musste die Chance erst suchen und ergreifen.

Da half ihm seine Art, die Dinge anzupacken - und die Herkunft. Schon sein Vater arbeitete bei einem der vielen Medizintechniker in Tuttlingen und machte sich dann selbstständig. Er starb, als der Junior fünf Jahre alt war; die Mutter verkaufte die Firma, der Erlös ermöglichte dem Sohn später den Start seines eigenen Unternehmens. Heute hängen zwei goldgerahmte Ölgemälde mit Porträts der Eltern auf dem Flur des panoramaartig verglasten Firmengebäudes.

Binder selbst hat 1983 in einer Garage angefangen, Geräte zusammenzuschrauben. Seine erste Erfindung: ein Heißluftsterilisator. Heute schraubt und schweißt der Gründer nicht mehr, er schafft es nach eigenen Worten nur noch einmal pro Woche, einen Blick auf die Produktion zu werfen. Zu groß sei der Ansturm auf seinen Betrieb in den vergangenen Monaten gewesen. Als beim Rundgang ein Mann auf einem Gabelstapler vorbeifährt, muss Binder schmunzeln. Das Gerät sei bereits seit der Gründung in Betrieb, "damit bin ich hier nachts durch die Gänge gefahren in meinen ersten Jahren", erinnert er sich. Damals hätten ihn einige Menschen mit seinen Ideen nicht immer ernst genommen.

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