Mareike Thuilot

Freie Autorin, Journalistin und Online-Redakteurin, Köln

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Werden Kölner Veedel weitgehend autofrei?

Bald für ein Jahr testweise autofrei: Die Deutzer Freiheit. (Quelle: Mareike Thuilot)


Zäh fließende Autokarawanen, schimpfende Radfahrer und schmutzige Luft - sie prägen das Kölner Stadtbild. Das soll sich ändern. Schon jetzt gibt es Modellprojekte, die wegweisend für die Kölner Verkehrswende sein könnten.

Jerry Schroeder sitzt mit einer Zitronen-Ingwer-Limonade im Cafe Heimisch auf der Deutzer Freiheit und beobachtet das dortige Treiben. Es ist früher Abend, auf der Einkaufsmeile im rechtsrheinischen Köln lässt der Verkehr langsam nach. Viele trinken bereits ihr Feierabendkölsch, Autos und Radfahrer schlängeln sich vorbei an Fußgängern und parkenden Autos durch die eng bebaute Straße.

Bald soll sich das Stadtbild hier radikal ändern, dafür kämpft Schroeder seit fünf Jahren mit seiner Bürgerinitiative "Deutzer (Auto-)Freiheit". Am 11. Juni 2022 startet das Experiment: Der größte Teil der beliebten Shopping- und Gastromeile soll dann frei sein vom Autoverkehr, die Straße ganz den Fußgängern, Shoppern, Flanierenden, Radfahrern und Café-Besuchern gehören.

"20 Prozent kommen mit dem Auto und nehmen 80 Prozent des Platzes ein"

"Vor allem mittags ist der Verkehr der blanke Horror", erzählt Schroeder, "es ist hektisch und ungemütlich. Ohne Anrempeln kommt man kaum durch." Zur Beschreibung der Situation nimmt er die 80/20-Regel zu Hilfe: "20 Prozent kommen mit dem Auto und nehmen 80 Prozent des Platzes ein."

Die Idee einer autofreien Deutzer Straße sei 2017 während eines Straßenfestes entstanden. Für das Event wurde das Deutzer Kerngebiet ein Wochenende lang für den Autoverkehr gesperrt. Und siehe da: Schroeder und seine Freunde aus dem Veedel merkten, wie viel entspannter es mit weniger Autoverkehr sein kann.

Autofreiheit als Modellexperiment

Es bildete sich eine Gruppe von etwa zehn Gleichgesinnten. Gemeinsam reichten sie im Herbst 2019 nach vielen Überlegungen und Diskussionen mit Veedelsbewohnern und Gewerbetreibenden bei der Bezirksvertretung einen Antrag ein mit konkreten Ideen zur Umsetzung einer autofreien Deutzer Freiheit.

Im Dezember 2021 fasste die Stadt Köln schließlich den Beschluss: Als Modellexperiment wird die Deutzer Freiheit für ein Jahr auf Probe zwischen Siegburger Straße und Luisenstraße sowie zwischen der Graf-Geßler-Straße und dem Gotenring autofrei.

Die Straße wird so zur Fußgänger- und Fahrradstraße, die frei gewordenen Kurzzeitparkplätze sollen in Ladezonen, Fahrradparkplätze sowie Raum für Außengastronomie und konsumfreie Sitzgelegenheiten umgewandelt werden.

Wird das Experiment erfolgreich sein? Analyse nach einem Jahr

Komplett autofrei geht es allerdings nicht, die Querung und Anwohnerfahrten, der Lieferverkehr sowie Taxifahrten für bewegungseingeschränkte Menschen sind weiterhin erlaubt. Bei Autofrei-Experimenten soll nur der verzichtbare Teil des fließenden und stehenden Verkehrs verbannt werden.

Nach einem Jahr folgt dann die politische Analyse: Ist das Experiment geglückt? Sind Anwohner, Besucher und Gewerbetreibende in der Deutzer Freiheit zufriedener als vorher? Denn das ist schließlich, worum es geht - die Menschen sollen sich wohler fühlen.

Gewerbetreibende waren gegen autofreie Zone

Schroeder freut sich auf die autofreie Zeit und hofft auf mehr Aufenthaltsqualität, weniger Lärm, nachbarschaftliche Begegnungen, ein schöneres Stadtbild und bessere Luft. Ihm ist jedoch bewusst, dass Veränderungen Zeit brauchen. Denn so positiv wie die Bürgerinitiative sehen den Versuch nicht alle Deutzer.

Neben vielen positiven Rückmeldungen äußerten vor allem Gewerbetreibende Ängste, erzählt Schroeder. "Das sind ganz unterschiedliche Sorgen, viele fürchten beispielsweise, dass die autofahrenden Kunden ausbleiben."

Verkehrswende in kleinen Häppchen

Die Deutzer Straße ist kein Einzelfall, es tut sich was in der Domstadt. Nachdem Köln als genuine Autostadt jahrzehntelang für eine ernsthafte Verkehrswende als viel zu verbaut und städteplanerisch verkorkst dargestellt wurde, werden traditionelle Gewissheiten derzeit in kleinen Stückchen zu den Akten gelegt.

Im Schatten globaler Krisen nimmt die Mobilitätswende in Köln seit einigen Jahren an Fahrt auf - zwar nicht im Turbomodus, für Kölner Verhältnisse jedoch mit einer erstaunlichen Portion Veränderungsmut. Als treibenden Motor sieht Schroeder neben Bürgerinitiativen die Beteiligung der Grünen im Kölner Ratsbündnis.

Weitere autofreie Zonen: Ehrenstraße und Eigelstein

In diesen Tagen lässt sich exemplarisch beobachten, was passieren kann, wenn eine Kölner Autostraße zur Fußgängerzone wird: Seit Mai dieses Jahres dürfen in der Kölner Ehrenstraße - vorher Renommiermeile für protzige Karosserien - keine Autos mehr fahren.

Das sorgt fürs Erste auch für Probleme. Fußgänger fühlen sich teilweise durch die Radfahrer gefährdet, die hier besonders schnell fahren, berichtete jüngst der Kölner Stadtanzeiger. Einige Autofahrer trotzen absichtlich oder unabsichtlich dem Verbot.

Etwas besser gelöst ist die Situation am Eigelstein in der Kölner Innenstadt. Hier haben Fußgänger mehr Platz. Die Umwandlung in eine autofreie Straße hat viel Zustimmung gefunden, auch wenn einige Gewerbetreibende angeben, Umsatzeinbußen zu haben.

Weitere Projekte zur Verkehrsberuhigung in Planung

Weitere verkehrsberuhigte Bereiche sollen in Köln folgen: So arbeitet die Bezirksvertretung Innenstadt beispielsweise an Plänen für eine autofreie Zone auf der Severinstraße zwischen Kartäuserhof und An St. Magdalenen.

Auch Teile der Neusser Straße rund um den Neusser Platz im Agnesviertel sollen autofrei werden, wenn es nach den Grünen geht. Für die Neusser Straße im Bereich Nippes erarbeitet die Stadt Köln mit Bürgerbeteiligung seit bereits über zehn Jahren Konzepte zur Verkehrsberuhigung und mehr Aufenthaltsqualität.

In Nippes gibt es außerdem seit über zehn Jahren mit dem Stellwerk 60 eine der größten komplett autofreien Siedlungen Deutschlands. Das Projekt, das zu Anfang belächelt wurde, gilt heute als voller Erfolg.

Vision für die Zukunft: weniger Autos in der Innenstadt

Ein besonders ambitioniertes Umbauprojekt plant die Stadt Köln langfristig für die Innenstadt. So soll die Verwaltung der Stadt Köln bald erste Überlegungen zum sogenannten MIV-Grundnetz vorlegen. Das bedeutet: Der Autoverkehr würde auf wenige Hauptstraßen beschränkt, viele Nebenstraßen sollen Fahrradstraßen und Fußgängerzonen oder Grünflächen werden.

Als untergeordnete Verkehrsteilnehmer dürften Autos zumindest einige Radstraßen mit nutzen. Außerdem gibt es erste Ideen zur kompletten Neuordnung der Parkbereiche – bis zu 30 Prozent der Stellplätze im öffentlichen Raum könnten dann wegfallen.

Schon jetzt werden außerdem Radverkehrsnetze sowie der öffentliche Nahverkehr in Köln ausgeweitet, nach einer Vorlage aus dem Mai 2021 soll außerdem das stationsbasierte Carsharing ausgebaut werden.

Wasserbusse und Seilbahnsysteme?

Gemeinsam mit der Städteinitiative "Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten – eine neue kommunale Initiative für stadtverträglichen Verkehr" fordert Köln vom Bund außerdem rechtliche Voraussetzungen für Tempo 30 innerorts – da, wo es sinnvoll ist.

Und selbst innovative Lösungen für das Problem, dass Köln schon jetzt architektonisch aus allen Nähten platzt, liegen in der Pipeline. Wasserbus- und Seilbahnsysteme könnten schon in den nächsten zehn Jahren in den öffentlichen Nahverkehr eingegliedert werden.

Gegenwind und erste Erfolge

Erste Erfolge gibt es bereits zu vermelden: Der Autoverkehr hat in den letzten zehn Jahren in Köln bereits abgenommen. Die Studie "Mobilität in Deutschland 2017" zeigte, dass sich der Autoverkehr am Mobilitätsanteil von 2006 bis 2017 bereits von 43 auf 35 Prozent verringert, der Fahrradfahreranteil dagegen erhöht hat. Das Ziel aus dem Strategiepaper "Köln mobil 2025", den Pkw-Anteil bis 2030 auf 33 Prozent zu reduzieren, rückt damit näher.

Das Verkehrsdezernat der Stadt Köln sieht selbst großen Nachholbedarf bei der Verringerung des Pendlerverkehrs und schreibt auf Nachfrage zur Umsetzungsdauer der vielen Ideen: "Die autogerechte Stadt ist über Jahrzehnte gebaut worden, insofern benötigt auch die Transformation zu einer umwelt- und menschengerechten Stadt einen langen Atem."



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