Marcus Creutz

Wirtschaftsjournalist & Rechtsanwalt, München

1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Anwälte: Wirtschaftsanwälte profitieren vom Boom der Rechtsberatung

Mal muss er sich um den Diebstahl von 18 Zentnern Kohle kümmern, dann wieder hat er es mit einem dümmlichen Bankräuber zu tun, der auf der Flucht mit seinem Motorrad verunglückt - Robert Liebling prägt noch immer das Bild vieler Deutscher vom klassischen Anwalt. Schauspieler Manfred Krug verlieh dem kleinen Advokaten aus dem Berliner Stadtbezirk Kreuzberg in der ARD-Serie Liebling Kreuzberg über Jahre eine schrullige Authentizität, die haften blieb. Liebling Kreuzberg hatte es fast stets mit kleinen Fischen zu tun, den mittelschweren Jungs, den Kleinganoven und fiesen Alltagsgeschichten. Viel Geld verdiente er damit nicht, die Kanzlei blieb klein, die Fälle überschaubar.

Wie anders hätten Lieblings Fälle ausgesehen, hätte er sich nicht auf kleine Kohlenklauer konzentriert, sondern auf die richtig dicken Fälle, auf Wirtschaftskriminalität, aber auch auf Rechtsberatung für global tätige Unternehmen - das Marktforschungsinstitut Datamonitor schätzt, dass die Industrie schon in zwei Jahren weltweit 410 Milliarden Dollar für Rechtsberatung ausgeben wird; 2005 sollen es bereits 350 Milliarden gewesen sein.

Lieblings Kollegen werden gebraucht: Trotz aller Harmonisierungsbemühungen der Staatengemeinschaften sehen sich international agierende Manager nach wie vor einer Vielzahl unterschiedlicher Rechtsordnungen und kostspieliger Verwaltungsvorschriften ausgesetzt. Welche Konsequenzen ihr Handeln etwa bei grenzüberschreitenden Übernahmen und Fusionen, Börsengängen oder Konzernumstrukturierungen hat, können ihnen nur hochspezialisierte Wirtschaftsanwälte verbindlich erklären.

Eine kleine Anwalts-Elite eilt von Erfolg zu Erfolg

Geht es hart auf hart, kann die Wahl der richtigen Rechtsberater gar zur Überlebensfrage werden. Beispiel Siemens: Der Konzern wird von einem Schmiergeldskandal geschüttelt, der den Konzern bislang rund 1,8 Milliarden Euro gekostet hat. Neben Straf- und Steuernachzahlungen entfällt ein wesentlicher Teil der Summe auf die Anwälte der US-Kanzlei Debevoise & Plimpton, die im Siemens-Auftrag die Affäre untersucht: Zwischen 50 und 100 Anwälte gehen seit Monaten bei Siemens ein und aus. Und das zu Stundensätzen von bis zu 600 Euro. Experten gehen davon aus, dass die US-Anwälte Siemens täglich gut 500.000 Euro in Rechnung stellen. Viel Geld verdienen die Anwälte aber nicht nur mit dem Aufspüren von Schwarzgeldkonten und der Implementierung neuer Compliance-Regeln. Die Haupteinnahmen der Kanzleien resultieren vor allem aus der Beratung bei Unternehmenskäufen (M&A) und Fusionen. Die Dynamik, mit der Wirtschaftskanzleien auch in Deutschland gewachsen sind, spricht Bände: Gab es vor 20 Jahren hierzulande nur 50 Kanzleien, in denen zehn und mehr Anwälte tätig waren, sind es heute über 350 Sozietäten. Parallel dazu wuchs die Zahl der zugelassenen Anwälte von rund 50.000 auf mittlerweile annähernd 150.000 an.

Zugleich differenziert sich der Markt zunehmend. Während fast 90 Prozent der Anwälte als Einzelkämpfer oder Mitglieder kleiner Kanzleien mit sinkenden Umsätzen und einem Marktanteil von unter 40 Prozent laborieren, eilt eine kleine Elite von Erfolg zu Erfolg - die großen Wirtschaftskanzleien. Lediglich drei Prozent aller deutschen Anwälte sind in Kanzleien ab 20 Mitgliedern organisiert. Dafür liegt ihr Umsatzanteil am Rechtsberatungsmarkt aber bei 39 Prozent - Tendenz steigend.

Dabei war dieser Trend zur hierarchischen Segmentierung des Anwaltsmarktes, in dem immer weniger spezialisierte und international ausgerichtete Anwälte immer mehr vom Gesamtkuchen für sich beanspruchen, durchaus vorhersehbar. Denn nach einer ersten nationalen Fusionswelle in den Neunzigerjahren hat sich die Mehrzahl der aktuellen Top-20-Kanzleien um die Jahrtausendwende mit großen englischen und US-amerikanischen Sozietäten verbunden, um in den internationalen Netzwerken den deutschen Unternehmen in die globalisierte Welt zu folgen und gleichzeitig den Investitionshunger internationaler Anleger in Deutschland zu bedienen.

Große Wirtschaftskanzleien weisen zweistelliges Wachstum auf

Seither weisen die großen Wirtschaftskanzleien ein jährliches zweistelliges Wachstum auf. Allein der Branchenprimus Freshfields Bruckhaus Deringer hat im abgeschlossenen Geschäftsjahr, das im April endete, in Deutschland mit knapp 570 Anwälten einen Gesamtumsatz von erstmals über 400 Millionen Euro erwirtschaftet, nach circa 370 Millionen im Vorjahr. Und auch die unmittelbaren Verfolger - Clifford Chance, Hengeler Mueller, Linklaters und CMS Hasche Sigle - dürften im abgelaufenen Geschäftsjahr jenseits der 200 Millionen-Umsatzgrenze gelandet sein. Mit Lovells, White & Case, Gleiss Lutz, Baker & McKenzie, Shearman & Sterling, Taylor Wessing und Nörr Stiefenhofer Lutz folgt dann die Gruppe zwischen 100 und 200 Millionen Euro Umsatz.

Zwar sind die Zahlen mit Vorsicht zu genießen, da nicht alle Kanzleien ihre Umsätze bekannt geben und diese mitunter auf Schätzungen beruhen. Doch insgesamt sind die Anwaltskanzleien hierzulande noch weit entfernt vom Niveau der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, wo die Big Four Umsätze von 517 Millionen Euro bis 1,2 Milliarden Euro machen. Ein Grund für die Differenz liegt sicher im Wettbewerb im Spitzensegment der Rechtsberatung mit rund 50 Top-Kanzleien, die zusammengerechnet ein Umsatzvolumen von über drei Milliarden Euro jährlich erzielen.

Zwischen denen wird der Konkurrenzdruck entsprechend spürbar härter - für Manfred Finken, den Managing-Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer, Deutschlands größter Sozietät, steht fest: „Wettbewerb und Marktorientierung werden weiter zunehmen." Das liege auch daran, dass die Markttransparenz ebenso zugenommen habe wie die Bereitschaft der Mandanten, „bei nicht überzeugenden Leistungen die Kanzlei auch einmal zu wechseln". Konsequenz: Die Spreizung und Segmentierung setzt sich fort, und viele kleine Kanzleien bekommen Probleme, wenn sie sich nicht spezialisieren.

Die Spreizung könnte sich in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen, wenn sich etwa ab 2011 branchenfremde Investoren an Anwaltsgesellschaften beteiligen dürfen. Bislang zwar nur in England - das dortige Parlament machte den Weg frei. Erste Finanzinvestoren sollen nach einem Bericht der Branchengazette „Legal Week" bereits den englischen Markt nach geeigneten Zielkanzleien durchforsten.

Zwar steht dem in Deutschland das Fremdbesitzverbot entgegen - hier kann nur Gesellschafter einer Kanzlei werden, wer darin auch aktiv als Anwalt mitarbeitet. Doch dieses Prinzip scheint angesichts des englischen Alleingangs zunehmend gefährdet. Kopfzerbrechen bereitet zumindest den Top-Kanzleien dieser Trend allerdings nicht. „Investitionen finanzieren wir aus unserer Partnerschaft heraus. Hätten wir Fremdfinanzierungsbedarf, würden unsere Hausbanken zur Seite stehen", sagt Wolfgang Rehmann selbstbewusst. Der Managing-Partner von Taylor Wessing macht aber keinen Hehl daraus, was er von Heuschrecken in Anwaltskanzleien hält: „Einen Fremdinvestor, der darüber hinaus auch Einfluss auf unsere Berufsausübung nehmen könnte, lehnen wir strikt ab."

Die Vertreter großer Wirtschaftskanzleien haben gut reden, denn ihre Auftragsbücher sind nach wie vor gut gefüllt. Das fulminante Wachstum der zurückliegenden Jahre ist allerdings keine Garantie dafür, dass es in der Premium-Rechtsberatung so weitergeht wie bisher. Dafür haben die Finanzmarktkrise und die Rezession in den USA zu tiefe Spuren hinterlassen. „Das neue Geschäftsjahr, das bei uns am 1. Mai begonnen hat, wird schwieriger", erwartet der deutsche Senior-Partner der Kanzlei Linklaters, Michael Lappe.

Zum Original