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"Als Polizeibeamter habe ich die Pflicht, irgendwann Stopp zu sagen."


Als der Bundesverfassungsschutz im März dieses Jahres den "Flügel" der AfD als Beobachtungsfall einstufte, traf der LKA-Beamte Sebastian Thieler eine Entscheidung. Er war bis dahin Mitglied in der Thüringer AfD gewesen. Zeitgleich mit der Entscheidung im Bund hatte auch der Thüringer Verfassungsschutz den gesamten AfD-Landesverband als Verdachtsfall eingestuft. Damit hätte auch Thieler beobachtet werden können. Vier Stunden nach der Bekanntgabe legte Thieler seine Ämter nieder und trat aus der Partei aus. "Es hat auch damit zu tun, dass ich als Polizeibeamter die Pflicht habe, irgendwann Stopp zu sagen", sagt Thieler heute.


Abgrenzung wegen Provokationen


War ihm die AfD-Thüringen zu radikal geworden? Oder hatte er Angst, seine Karriere bei der Polizei zu gefährden? Wir treffen Sebastian Thieler auf seinem Hof in Elxleben, nördlich von Erfurt. Über seine konkreten Aufgaben als LKA-Beamter will er nicht sprechen. In der Thüringer AfD hatte er Ambitionen. Der Kriminalkommissar war Fraktionsvorsitzender im Kreistag, kandidierte 2018 als Landrat und hatte einen aussichtsreichen Listenplatz bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr.


Heute kritisiert er die Thüringer AfD, insbesondere den Landespartei- und Franktionschef Björn Höcke. "Die Provokationen haben oft eine Grenze erreicht, die für mich nicht vertretbar war." Provokationen, damit meint er etwa Äußerungen wie die von 2017, als Höcke bei einer Rede in Dresden das Berliner Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" bezeichnete. Oder, als er kürzlich bei einem Treffen in Schnellroda davon sprach, parteiinterne Gegner müssten "ausgeschwitzt" werden.


Nicht erfüllte Ambitionen


2014 trat Sebastian Thieler in die AfD ein. Er baute den Kreisverband Ilmkreis-Gotha mit auf. "Wir haben es geschafft, in relativ kurzer Zeit unseren Kreisverband zum größten in Thüringen werden zu lassen", erzählt Thieler. Zuletzt war er Fraktionsvorsitzender im Kreistag. Bei der Thüringer Landtagswahl im vergangenen Jahr trat er als einer von fünf Polizisten an.


Den Einzug in den Landtag verpasste er knapp - wegen eines anderen Polizisten: Ringo Mühlmann, ehemals Sprecher des LKA. Beide wollten sich auf Listenplatz 14 bewerben, sagt Thieler. Er habe seinem Kollegen aber nicht im Weg stehen wollen. "Ich habe gesagt, na gut, ich kandidier nach dir. Mach ich halt 15 oder 16." Ringo Mühlmann schaffte es in den Landtag, Sebastian Thieler nicht. Ihm war zum Verhängnis geworden, dass die AfD in Thüringen zahlreiche Direktmandate geholt hatte und deshalb nur relativ wenige Abgeordnete über einen Listenplatz in den Landtag kamen. Die Direktkandidatur in seinem Wahlkreis hatte die AfD an einen Parteikollegen gegeben, der bereits Landtagsabgeordneter war. "Es ist schade, dass meine Arbeit nicht honoriert worden ist", sagt Thieler. "Sondern dass es einfach parteiintern festgelegt wurde."


Sebastian Thieler war frustriert, blieb aber in der AfD. Als Innenminister Georg Maier sich im vergangenen Jahr kritisch über Polizeibeamte äußerte, die für die AfD bei der Landtagswahl antraten, zeigte sich Thieler in einer Pressemitteilung empört. "Ich wollte mich nicht in diesen Topf werfen lassen", sagt er heute. "Er unterstellt damit den Beamten, die in der AfD sind, sie würden sich nicht an Recht und Gesetz halten. Ich glaube, zu dem Zeitpunkt, als er das geäußert hat, gab es keine extremistische Bewegung in dem Sinne. Sie ist ja erst jetzt im März als solche festgelegt worden."


Sorge um Karriere als Polizeibeamter?


"Keine extremistische Bewegung in dem Sinne" - Das klingt dann doch kurz so, als hätte Sebastian Thieler die rassistischen und demokratiefeindlichen Aussagen seines ehemaligen Vorsitzenden und anderer Mitglieder sechs Jahre lang überhört. Die Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss sitzt für die Thüringer Linke im Innenausschuss. Sie hält eine Distanzierung von der AfD zu diesem Zeitpunkt für unglaubwürdig. Neben Sebastian Thieler trat auch ein weiteres AfD-Mitglied aus, das auf der Landesliste stand, es aber nicht in den Landtag schaffte. "Die Inhalte sind seit Jahren bekannt, und das insbesondere in Thüringen mit Höcke als Landesvorsitzenden.", sagt sie. "Wer jetzt austritt, der versucht, sich vor gegebenenfalls eintretenden disziplinarrechtlichen oder beamtenrechtlichen Konsequenzen zu retten, der tut das aber nicht, weil er die Inhalte nicht mehr teilt."


Hätte die AfD-Mitgliedschaft berufliche Konsequenzen für Sebastian Thieler haben können? In einem Brief an die 8.000 Thüringer Polizisten betonte das Thüringer Innenministerium den Widerspruch zwischen dem Staatsdienst und dem Engagement bei einer verfassungsfeindlichen Gruppierung. Dabei könne die Parteimitgliedschaft als ein Anhaltspunkt dienen. Als kritisch gilt insbesondere eine Zugehörigkeit zum formal aufgelösten "Flügel". Die festzustellen ist allerdings schwer. Mitgliederlisten wurden nicht geführt. In Thüringen mussten Polizeibeamte von sicherheitsüberprüften Bereichen in einem Fragebogen ihr Verhältnis zum "Flügel" erklären. Zu den sicherheitsüberprüften Bereichen zählt auch das Landeskriminalamt.


Höcke- oder Verfassungstreue?


War Sebastian Thieler Teil des "Flügels"? Ein Mitglied der Thüringer AfD spricht unter der Bedingung mit uns, dass wir seinen Namen nicht nennen. In dem aktuellen Konflikt zwischen den Rechtsextremen um Björn Höcke und Andreas Kalbitz und den Nationalliberalen um Jörg Meuthen zählt er sich klar zum Meuthen-Lager.

Auf die Frage, ob Sebastian Thieler zum "Flügel" gehört habe, lacht er. "In keinem Kreisverband wird es jemanden geben, der Fraktionsvorsitzender wird oder auf einer Landesliste landet und keinen Treueeid auf die Führungsperson der Thüringer AfD geschworen hat." In der Thüringer AfD habe nur Karriere machen können, wer zu Höcke hielt.


Sebastian Thieler gibt zu, dass es schwer sei, in der Thüringer AfD Karriere zu machen und sich gleichzeitig gegen den formal aufgelösten "Flügel" zu stellen. Er und sein Kreisverband seien allerdings zu erfolgreich gewesen, sagt er, da hätte man ihn machen lassen müssen - auch ohne zum "Flügel" gehört zu haben. Eine AfD hält Sebastian Thieler noch immer für wichtig. Er wollte trotzdem nicht Teil einer Partei sein, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Das sei für ihn mit seinem Selbstverständnis als Polizeibeamter nicht vereinbar gewesen.


Dieses Thema im Programm: Das Erste | FAKT | 21. Juli 2020 | 21:45 Uhr

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