Marc Engelhardt

Korrespondent, Autor, Afrika-Analyst, Genf

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Radio-Beitrag

Genf: Neutraler Ort für schwierige Gespräche

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Immer wieder richten sich die Augen der Welt auf Genf, im Herzen eine Kleinstadt im äußersten Südwesten der Schweiz. Die Verhandlungen zwischen US-Außenminister Kerry, seinem russischen Amtskollegen Lawrow, dem amtierenden ukrainischen Außenminister Deshchytsia und der EU-Außenbeauftragten Ashton sind nur das jüngste Beispiel. Was hat die Stadt, was andere nicht haben?

Am Tag vor dem Gipfel wehen Flaggen im Wind. Vor dem Genfer Hotel Intercontinental wird die Auffahrt gefegt, ein Angestellter saugt das Foyer. Während die Welt mit Spannung den Gipfel erwartet, der zumindest helfen soll, die Krise im Osten der Ukraine beizulegen, herrscht am Ort des Geschehens Gelassenheit. Kein Wunder: Genf muss sich nicht auf den Gipfel vorbereiten – hier ist man vorbereitet. Das weiß auch der ukrainische Botschafter in Genf, Yurii Klymenko. “Genf ist genau der richtige Ort für diese Gespräche. Wenn man daran denkt, was hier schon erreicht wurde, dann ist es exakt der Platz für multilaterale Verhandlungen, die diese Krise beenden können.”

Abrüstungsgespräche und Atomverhandlungen haben ihren Platz ebenso in Genf wie die Friedensgespräche für Syrien und Verhandlungen über die Zukunft des Iran. Im kalten Krieg war Genf der neutrale Boden, auf dem sich Ost und West begegnen konnten – eine Qualität, die in der Ukrainekrise erneut zum Tragen kommt, glaubt der Genfer UNO-Generaldirektor Michael Müller. “Der Name Genf hat eine Aura. Die Leute wissen, sie können hierher kommen und Dinge besprechen, ohne dass sie von irgendeiner Agenda abgelenkt werden. Es ist ein neutraler Ort, wo das Wissen und die Erfahrung der UNO genutzt werden können. In Genf ist unglaublich viel Potential vorhanden – man muss es jetzt nur nutzen!”

Paul Widmer ist pensionierter Schweizer Diplomat. Er war Botschafter in Berlin, hat in Washington und am UN-Standort New York gearbeitet. Gerade ist ein fünfhundertseitiges Buch von ihm erschienen, der Titel: Diplomatie. Widmer glaubt an die Kraft von Verhandlungen, und an die Macht des richtigen Ortes. “Orte können eine große Bedeutung haben, denn sie können Gesprächen schon einen Stempel aufdrücken. Manchmal sucht man sich einen Ort aus, der möglichst viel Macht beinhaltet, zum Beispiel bei Nahostgesprächen. Aber wenn Sie Gespräche zwischen den stärksten Partnern haben, dann kommt ja nicht noch ein anderer starker Partner in Frage – sondern man sucht möglichst einen neutralen Ort, der kein Eigeninteresse in die Verhandlungen einbringt.”

Anders als das laute und politisch aufgeladene New York ist Genf der Ort, an dem Kompromisse geschlossen werden können, glaubt Widmer. “Genf hat sich sehr lange durch eine große Zurückhaltung des Gastgebers ausgezeichnet. Und ich glaube das ist eine gute Voraussetzung für solche Gespräche, ganz abgesehen davon, dass natürlich auch die Infrastruktur in Genf so gut ist wie sonst fast nirgends – ich meine, Sie haben 173 diplomatische Missionen.”

In den Tagen vor dem Gipfeltreffen hat Kriegsrhetorik dominiert. Doch das dürfte sich ändern, sobald die Türen des Verhandlungssaals geschlossen sind. Der erfahrene Diplomat Widmer zumindest ist sich sicher, dass Ost und West gemeinsame Interessen haben. “Ich würde glauben, man müsste jetzt das Gespräch auf möglichst vielen Ebenen suchen und eben auch die Gemeinsamkeiten. Sowohl auf westlicher Seite sowieso aber auch auf russischer Seite besteht die Überzeugung dass man den Minderheitenschutz in diesem Gebiet stärken muss – sei es durch Maßnahmen zugunsten von Minderheiten oder durch Föderalismus. Und zwar sowohl in der Ukraine selbst wie auf der Krim. Das wäre eine Möglichkeit.”

Schnelle Ergebnisse sind sicher nicht zu erwarten: Diplomatie ist ein manchmal mühsames Geschäft. Und doch gibt es keine Alternative, betont der ukrainische Botschafter Klymenko. “Wir setzen nach wie vor auf eine diplomatische Lösung, nicht auf Gewalt. Wissen Sie, wenn man in der Geschichte zurückblickt, dann sieht man doch: nach jedem Krieg gibt es Frieden, und spätestens dann sitzen die Kriegsparteien alle an einem Tisch und verhandeln.” Nicht nur Klymenko dürfte hoffen, dass die Gespräche in Genf einen drohenden Krieg im Osten der Ukraine noch abwenden können.