Er hat Blumen mitgebracht. Nun betet Do Duc Diu im Schneidersitz zu den Ahnen, der schmale Oberkörper wippt vor und zurück. Zwischen seinen Handflächen hält er Räucherstäbchen. Jeden Abend besucht der Vietnamese diesen Ort außerhalb des Dorfes an einem Hügel: Zwölf kleine rote Truhen stehen dort in einer Grabstätte, eigentlich groß genug für Generationen. Gerade genug Platz für die Särge seiner zwölf Kinder. Sie starben, weil das Erbgut des Vaters geschädigt ist von Dioxin. Die Amerikaner versprühten es über ihm und seinen Kameraden im Krieg vor einem halben Jahrhundert.
Diu lebt in der Provinz Quang Binh in Zentralvietnam. Die Sonne hat seine Haut gebräunt, seine Haare sind grau. Zwölf tote Kinder, obwohl der Krieg längst vorbei ist. Wie kann ein Mensch das ertragen? „Wenn es mir nicht passiert wäre, dann wäre es einem anderen passiert", sagt er in die Kamera des Filmemachers und Fotografen Matthias Leupold aus Berlin. Den lässt dieser Satz bis heute nicht los.
Eigentlich war Leupold 2010 nach Vietnam gekommen, um einen Fotografie-Workshop zu geben. „Da bewegt sich viel, Vietnam ist ein boomendes Land", hatte er von einer Studentin mit vietnamesischen Wurzeln gehört. Tatsächlich sind die Zeiten, in denen in Vietnam eine gefüllte Reisschüssel Luxus war, vorbei. Heute gibt es Kaffee von Starbucks. Motorroller statt Fahrräder verstopfen die Straßen. Westliches Bling-Bling, Coca-Cola und das neueste iPhone sind die Statussymbole. Vietnams Großstädte, allen voran Ho-Chi-Minh-Stadt im Süden und die Hauptstadt Hanoi im Norden, haben sich nach oben geschuftet.
Amerika ist wieder überall. Nicht die Soldaten, die das Land in den elf Jahren des Krieges von 1964 bis 1975 verwüsteten. Heute hat die amerikanische Kultur Vietnams Städte erobert. Friedlich. Sie hatte leichtes Spiel. Vietnam ist hungrig, gierig auf Erfolg, Macht und Geld. Aber noch etwas von Amerika ist hier, ein Erbe aus dem Krieg: „Agent Orange", ein dioxinhaltiges Entlaubungsmittel. Das US-Militär war damals verbündet mit Südvietnam, das kommunistische Nordvietnam wusste den großen Bruder China hinter sich - ein Stellvertreterkrieg. Die USA wollten verhindern, dass die Sowjets ihren Einfluss über China hinaus ausdehnten. Weitere Staaten, so die Befürchtung, würden sonst wie Dominosteine an den Kommunismus fallen. Im Süden Vietnams kämpften die Vietcong aus dem Untergrund heraus gegen die USA. Versorgt wurden sie über den Ho-Chi-Minh-Pfad, benannt nach dem kommunistischen Führer und Präsidenten im Norden. Die USA wollten den Feinden im Süden die Deckung des Dschungels und die Nahrung von den Feldern nehmen und versprühten großflächig Agent Orange und andere dioxinhaltige Entlaubungsmittel. Insgesamt fast 80 Millionen Liter.