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Anonymität im Internet: Hass braucht keinen Namen

Bedeutet Anonymitt zugleich Unehrlichkeit Im Netz wird erneut ber die Klarnamenspflicht diskutiert

Die Debatte ist so neu, wie sie alt ist: Sollen Kommentare nur dann online gestellt werden, wenn der Autor mit seiner wahren Identität dafür einsteht? Oder ist das anonyme Netz doch das bessere?


Seit Arianna Huffingtons Ankündigung, innerhalb des Kommentarforums ihrer Online-Zeitung künftig Klarnamen durchzusetzen, ist sie wieder da: die Kontroverse über die Anonymität im Internet. Bei einer Tagung in Boston argumentierte Huffington, „die Äußerungsfreiheit gebührt Menschen, die für das geradestehen, was sie sagen und sich nicht hinter einer Anonymität verstecken.“. Künftig sei daher das Kommentieren nur noch mit Realnamen zulässig, um das Debattenniveau positiv zu beeinflussen und mutwillige Störer, sogenannte Trolle, abzuschrecken.

Mit dem Denken, dass Klarnamen zu einem ehrlichen wie höheren Diskussionsniveau führen, steht Huffington nicht allein. „Wer identifizierbar ist, benimmt sich besser“, heißt die Devise der Befürworter. Aber stimmt das? Nicht nur Facebook, dessen Richtlinie Klarnamen forciert, zeigt: nein.

Als Beispiel dient ein Präzedenzfall aus dem Jahr 2007: Die Kommunikationskommission in Südkorea gab damals vor, dass Nutzer von Webseiten, die regelmäßig von über 100 000 Nutzern besucht wurden, sich künftig via Ausweis oder Kreditkartennummer eindeutig zu identifizieren und nur mit Klarnamen zu schreiben hätten. Betroffen davon waren 146 südkoreanische Webseiten. Man versprach sich einen Rückgang an beleidigenden Kommentaren, da angenommen wurde, dass mit realem Namen auch ein höheres Verantwortungsgefühl einsetzt. Die Maßnahme wurde Ende 2011 jedoch wieder ausgesetzt, da Studien gezeigt hatten, dass die Zahl an ausfälligen Äußerungen kaum merklich um 0.9 Prozent zurückgegangen war. Das Verifizierungssystem hatte sich darüber hinaus als große Schwachstelle gezeigt. Der „New York Times“ zufolge stahlen Hacker während dieses Zeitraums etwa 35 Millionen persönliche Nutzerdaten wie etwa Steuernummern.

Ein Recht auf Pseudonymität

Fast zeitgleich brandete im Zuge der rigorosen Umsetzung von Klarnamen auf Google+ in den USA die Debatte auf, ob Blogbetreiber, Nutzer von Newsgruppen, sozialer Medien und Chats ein Anrecht auf Anonymität im Internet haben. Auf der Seite mynameisme.org nahmen zahlreiche Befürworter von Pseudonymen gezielt Stellung. Die häufigsten Argumente für ein Pseudonym sind bis heute die anhaltende Angst um Auswirkungen im realen Leben oder die Gefährdung der Existenzgrundlage. Eine potenzielle Diskriminierung könne durch das Verwenden von Pseudonymen verhindert werden.

Auch in Deutschland bezogen in einem offenen Brief zahlreiche Netzaktivisten, Blogger und Bundespolitiker Stellung. Die Unterzeichner verwiesen Google auf das deutsche Telemediengesetz, wonach die Nutzung von Internetdiensten grundsätzlich nicht an die Verwendung von Realnamen gebunden, sondern ein Pseudonym möglich sein sollte. In einer Demokratie muss die freie Meinungsäußerung ohne Angst vor Nachteilen oder Ächtung gewahrt bleiben. Neben der Funktion, Menschen in totalitären Staaten durch die Option des Pseudonyms Schutz vor Repressalien zu bieten, grenzt ein Verzicht dieser Möglichkeit auch die Freiheit von Personen des öffentlichen Lebens ein, Teil eines Netzwerkes zu sein.

Neben der Skepsis vieler Nutzer, persönliche Daten im Internet preiszugeben, ist ein Argument vieler, dass die Debatte um Klarnamen selbst nicht ehrlich geführt wird. Unternehmen wie Google und Facebook argumentieren ihr Anhalten zum Verzicht auf Pseudonyme damit, dass man sich ungleich anderer Bereiche des Internets vornehmlich als eine Plattform und Dienstleistung versteht, die reale Verknüpfungspunkte und soziales Agieren erweitert wie erleichtert. Wer soziale Netzwerke als Verbreitungskanäle so versteht, kann dies nutzen, um sich sowohl im privaten wie auch werbewirksam im beruflichen Leben leichter zu vernetzen. Dass die immer stärkere Verflechtung mit der Realperson auch ein durchaus lukratives Geschäft aufgrund individualisierterer Werbeausschüttung bedeutet, ist zwar kein Geheimnis, findet jedoch kaum Eingang in diese Argumentation.

In Anonymität liegt Ehrlichkeit

Die Begründung von Arianna Huffington zeigt einen Denkfehler. Wer im Netz anonym agiert, der ist nicht ehrlich. Auch in der Anonymität kann Ehrlichkeit liegen, ein User bietet ein Abbild seiner selbst an. Wie realistisch das im Abgleich zur wirklichen Person ist, wird auch ein Klarname nicht ändern können. Nicknames haben eine lang anhaltende Tradition, insbesondere innerhalb der Newsgruppen- und Chatkultur. Grundsätzlich muss daher unterschieden werden zwischen Anonymität und Pseudonymität.


Die Studie der Diskussions-Plattform Disqus kommt zu dem Urteil, dass Pseudonyme Debatten vorantreiben. - SCREENSHOT: DISQUS.COM

Ein Kommentarschreiber, der unter Pseudonym schreibt, gibt seine reale Person zwar nicht preis, ist jedoch nicht zwingend anonym. Vielmehr kreiert er in einer virtuellen Gesprächsrunde eine alternative Identität, mit der er sich sowohl als Realperson schützt als auch klar Position beziehen kann und sich gleichzeitig die Chance offenhält, sein Agieren mit kreativen Möglichkeiten zu versehen, die er im Realen nicht hat. Eine digitale Teil-Identität entsteht. Eine Studie der Diskussionsplattform Disqus kommt zu dem Urteil, dass Nutzer, die unter Pseudonym agieren, die Debatten am stärksten voranbringen, da sie quantitativ wie qualitativ den höchsten Ertrag bieten.

Trolle in Foren werden weiterhin ein Problem bleiben, auch wenn sie lediglich vereinzelt auftreten. Der Leitsatz „Troll, bitte nicht füttern!“, das Ignorieren des Störers, fällt nicht jedem leicht, auch wenn es die ergiebigste Methode ist, ihn letztendlich auszubremsen. Ein „Forentroll“ ist der größte Nutznießer der Anonymität und verdankt sein destruktives Handeln der vermeintlichen Straflosigkeit. Die Nutzung von Klarnamen offeriert jedoch neue Angriffspunkte für Trolle, die bis zum Stalking reichen können.

Der Kommentarbereich ist kein rechtsfreier Raum

Was klar sein muss: Ein Kommentarbereich ist kein rechtsfreier Raum. Viele Chats und Foren werden inzwischen moderiert, Redaktionen setzen eine Netiquette voraus, bei deren Einhaltung allein die Teilnahme erlaubt ist. Darüber hinaus schützt auch die Anonymität nicht vor strafrechtlichen Konsequenzen.

Ist das anonyme Netz also folglich das bessere Netz? Nicht unbedingt. Es gibt kein Allheilmittel gegen destruktive Strukturen. Die Kommentarkultur im Internet ist manchmal frustrierend. Debatten im Allgemeinen bewegen sich jedoch in gruppendynamischen Ritualen und unsachliche Tendenzen werden sich bei längerer Gesprächsdauer immer verstärken. All dies ist Teilaspekt eines lebhaften Netzbereiches, anonym wie personalisiert, der zeigt, dass die virtuelle wie reale Gesprächskultur noch einen weiten Weg vor sich hat.

Das Durchsetzen von Klarnamen als Allheilmittel zu verstehen, bleibt in vielen Punkten fragwürdig. Letztendlich werden sich daraus vor allem große Konsequenzen für die Art und Möglichkeit der Interaktion im Kommentarbereich ergeben. Gleichzeitig wird dies wenig Auswirkungen auf das eigentliche Problem haben. Abschätzige Wortmeldungen bleiben letztlich Spiegel eines individuellen Kommunikationsdefizits. Wer im realen Leben seinen Alltagshass auf andere projiziert und unbegründet die nächstbeste Kassenkraft anmotzt, den wird ein Klarname nicht abhalten, auch im Internet laut, aggressiv, ja pöbelnd aufzutreten.

Was Nutzern stärker vermittelt werden muss, ist, dass auch die digitale Welt den Leitspruch hat: Verhalten, das im realen Leben nicht akzeptabel ist, soll es auch im Netz nicht sein. Wie es Netzkolumnist Sascha Lobo passend formulierte, braucht die Diskussionskultur im Internet noch den Akt der „Digitalen Herzensbildung“, die einen zivilisierten Verhaltenskodex für sich annimmt und selbstständig durchsetzt. Solange werden abschätzige Kommentare der Preis sein für eine lebendige und vielfältige Debatte.


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