Ein Mädchen mit Zöpfen, ein Mann in Uniform, ein ruhiges Waldstück, ein Kuss. "Er fasst nach meiner Hand und drückt sie, drückt sie beruhigend. Mit mir kann dir nichts passieren, sagt seine Hand, die warm und stark ist. Und ich liefere ihn aus. Ich bin die Verräterin."
Im Mai jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 75. Mal, seit Jahrzehnten haben Romane und Sachbücher für junge Leser über den Holocaust, den Alltag im Krieg, über Opfer und Täter einen festen Platz in den Programmen der Verlage. Jetzt, zum Jahrestag, erscheinen zwei neue Jugendromane, die auf den ersten Blick viel gemeinsam haben: Beide spielen in den 1940er-Jahren in einem von Nazi-Deutschland besetzten Land. Beide erzählen von starken jungen Frauen, die versuchen, in den Wirren des Krieges erwachsen zu werden. Und in beiden spielt der Widerstand gegen das Unrecht des Nazi-Regimes eine zentrale Rolle.
In Wilma Geldofs Roman Reden ist Verrat erzählt die 16-jährige Freddie, wie sie sich gemeinsam mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Truus einer Widerstandsgruppe im niederländischen Haarlem anschließt. Vermeintlich eiskalt nutzt Freddie ihre harmlose Erscheinung aus - wer verdächtigt schon ein zierliches Mädchen mit Zöpfen, Anschläge auf Besatzer und Kollaborateure zu verüben? Sie flirtet mit "Moffen", also Nazis, und lockt sie in Hinterhalte, wo andere Widerständler das "Liquidieren" übernehmen. Doch schon bald trägt Freddie selbst eine Waffe bei sich - und benutzt sie.
Der Roman beruht in Teilen auf dem Leben Freddie Oversteegens, die als jüngste Widerstandskämpferin der Niederlande gilt. Für die Recherche und während des Schreibens traf die Autorin die hochbetagte Oversteegen mehrfach zum Gespräch, zuletzt kurz bevor diese im September 2018 verstarb.
Durch geschicktes Verdichten und Verfremden ist Geldof eine mitreißende Geschichte gelungen, die das Leben im Untergrund zugleich beängstigend und reizvoll erscheinen lässt. Atemlos hetzt der Leser mit Freddie auf dem Fahrrad durch das besetzte Haarlem, von Versteck zu Versteck, immer auf der Hut vor der nächsten Polizeikontrolle und beseelt vom Gefühl, dem Unrecht etwas entgegenzusetzen. "Angst verlernt man", sagt Freddie. "Und wenn ich sterbe, habe ich immerhin das Richtige getan."
Im zweiten Roman Beinahe Herbst von Marianne Kaurin liegt der Widerstand gegen die NS-Besatzer wie hinter einem Schleier. Nicht die 15-jährige Hauptfigur Ilse ist im Untergrund aktiv, sondern ihr Schwarm Heinrich. Er hilft dabei, Untergrundzeitungen zu drucken. Ilse ahnt davon nichts. Sie fragt sich nur, warum Heinrich sie versetzt - und macht sich Sorgen, sie sei nicht attraktiv genug für ihn. Vielleicht hat er eine andere? "Eine mit blonden Haaren und hellen Augen, fülliger Figur, großen Brüsten, schmaler Taille."
Ilse Stern ist Jüdin und lebt mit ihren Eltern und ihren zwei Schwestern im norwegischen Oslo. Auch Ilse ist rebellisch, wenngleich auf andere Art als Freddie. Die 15-Jährige liegt mit ihrer Mutter im Dauerclinch - ganz im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester Sonja, die selbstverständlich Verantwortung für den Haushalt und die fünfjährige Schwester Miriam übernimmt und die in der Schneiderei des Vaters hilft.
Der wiederum bemüht sich nach Kräften, seine Familie vor den Schikanen gegen die Juden abzuschirmen. Jeden Morgen steht er lange vor seinen Töchtern auf und eilt zu seinem Geschäft, um hetzerische Schmierereien vom Schaufenster zu wischen.